Da wachte die Magd am Bett der Kleinen. Als Vinia die Augen schon einige Zeit geschlossen hatte, schlug sie sie wieder auf und flüsterte: »Wenn mich der Seppi Blatter schon ›Schlechthundekind‹ gerufen hat, so muß ich, wenn ich groß bin, Josi Blatter doch heiraten.«
Die entsetzte Susi schmeichelte: »Schlafe, schlafe, Schäfchen; wenn du groß und ein schönes Mädchen sein wirst, kommen um dich viele Burschen fragen.«
Drauf Vinia: »Ich liebe aber nur Josi! Weil der Vater Franzi nicht genommen hat, muß ich halt den Josi nehmen.«
Seither war Susi überzeugt, das Kind sei besprochen und verhext.
Dem wollte sie schon auf den Grund kommen. Als der Presi fortgeritten und die letzten Gäste gegangen waren, suchte sie das Kind. In seinem Kämmerchen kniete es am Bett.
Sie war wohlwollend zu ihm. Es aber stellte sehr sonderbare Fragen: »Du, Susi, hat mein Vater meine Mutter stark lieb gehabt?« – Wie kam es auf diese Frage? Seit drei Jahren war die selige Beth tot. Als das Kind in sie drang, antwortete Susi: »Natürlich, du Närrchen, hat der Vater die Mutter lieb gehabt.«
Das Kind fuhr mit dem Köpfchen aus dem Kissen, richtete mit unaussprechlicher Verachtung die Augen auf sie: »Du lügst, Susi, er hat sie gar nicht geliebt. Ich frage dich nichts mehr!«
Susi ging im Bewußtsein, daß sie gelogen habe, schamrot aus dem Kämmerlein.
Aber die Neugier trieb sie zu Binia zurück. Sie fuhr das Kind barsch an: »Binia, wer hat dich besprochen – du bist besessen.
»Laß mich,« schreit Binia, »ich bin krank – geh!«
Susi läßt sich nicht abweisen: »Der Kaplan Johannes schlarpt eben mit dem Bettelsack durchs Dorf, der soll dich heilen. Ich rufe ihn!«
»Nein, – nein« – kreischt die Kleine und zittert am ganzen Leib, und wie Susi eine Bewegung gegen die Thüre macht, fällt sie ihr um die Kniee.
»Ums Himmels willen rufe den Kaplan nicht.«
Susi drauf: »Gelt, der ist's, der dich besprochen hat! Jetzt haben wir's schon – dich und Josi. Ist Josi bei dir gewesen?«
»Ja, wir sind auf der Brücke gekniet – das war aber nur Scherz. – – Nein, dir erzähl' ich's nicht, du lügst und bist so dumm.«
Und das Kind hat wieder den Trotzkopf aufgesetzt.
Da bekreuzt sich die abergläubische Magd und geht: »Aber dem Presi darf man nichts sagen – nichts!«
Wie sie fort ist, schluchzt und röchelt Binia. Niemand hat ihr etwas zu leide gethan, sie hat nur gehört, was Fränzi und der Vater geredet, sie hat nur gehört, was Kaplan Johannes zu den anderen Männern sagte: »Die Hand wird ihm aus dem Grabe wachsen.« Alles das ist aber so schrecklich für ihr kleines, feuriges Herz. Sie hat gemeint, einen so trefflichen Mann wie ihren Vater gebe es nicht mehr. Ob er sie schon manchmal anschnauzte, war sie stolz gewesen auf ihn, sie hatte ihn so unendlich lieb und wenn er nur einmal ein wenig freundlich mit ihr redete, – o, dann hätte sie am liebsten die kleinen Arme um seinen Hals geschlungen und ihn vor Freude und Seligkeit in die Wange gebissen. Und jetzt weiß sie so Entsetzliches von ihm. Er hat die tote Mutter nicht geliebt, er hat Fränzi einen Kuß geben wollen, der Schämdichnicht.
Dann das Gräßliche, wie die Unterschrift Seppi Blatters entstanden ist, die Unterschrift, wegen der dem Vater die Hand aus dem Grab wachsen soll!
Das ist zu viel für ihr Köpfchen, es hämmert darin, als sollte es zerspringen. Ja, ja, die Fränzi hat recht, es ist ein Unsegen auf sie gekommen. Darüber möchte sie mit jemand reden, aber nicht mit Susi, die lügt, weil sie ihr alles ausreden will. An eine liebe Brust möchte sie sich lehnen und weinen. Sie denkt an Fränzi, die mit ihrer Mutter gut befreundet gewesen ist, Fränzi hat auch sie lieb, Fränzi lügt nicht. Ja, mit Fränzi will sie reden.
Aber sie darf nicht zu Fränzi gehen! Warum nicht? Sie weiß es im Wirrwarr ihrer Gedanken nicht, es ist ihr aber, wie wenn Blut und Feuer zwischen ihr und Fränzi, zwischen ihr, Vroni und Josi lägen.
Und aus dem Gefühl tiefer Hilflosigkeit schreit sie: »Mutter – Mutter – liebe tote Mutter!« – –
Mit einigem Herzklopfen ritt der Presi auf seinem Wege nach Hospel über die Unglücksstätte, sein kluger Verstand sagte ihm wohl, die Kaufbriefgeschichte sei damit, daß an den Weißen Brettern der Hammer wieder töne, noch nicht erledigt. War er mit Blindheit geschlagen gewesen, daß er die tolle Angelegenheit nicht sofort am anderen Morgen geordnet hatte?
Nun zuckte und wühlte sie im Dorf, er hatte es aus den verlegenen Mienen der Männer gelesen, die an der Beerdigung Seppi Blatters teilnahmen.
Er schwitzte – er sehnte sich nach Hospel, die Welt schien ihm dort freier – hier legte sich etwas wie Zentnerlast auf die Brust – es war zum Ersticken. Gut, daß er jetzt die Weißen Bretter, den Teufelsgarten mit den zertretenen Blumen, das Schmelzwerk und die Kapelle hinter sich hatte.
Der hundertstimmige Schrei beim Sturz Seppi Blatters gellte ihm noch in den Ohren.
»Ta-ta-ta. Ich bin der Presi!« denkt er.
Er kommt in das Kreuz nach Hospel, aber Frau Cresenz zeigt sich gar nicht und der stolze Kreuzwirt, der behäbigste Gastwirt am Weg von der Stadt bis zum Hochpaß, sein zukünftiger Schwager, empfängt ihn frostig.
»Was hast, Kreuzwirt, warum magst mir nicht recht die Ehre geben?«
»Von dir läuft ja die Schande auf allen Straßen. Und Seppi Blatter ist so ein braver Mann gewesen. Ist's wahr, daß du ihm, wie er betrunken gewesen ist und geschlafen hat, die Feder geführt hast?«
Da schlägt der Presi die Faust auf den Tisch, springt auf: »Vor Gericht müssen mir die räudigen Hunde – Wer hat's gesagt?«
»Von rechtschaffenen Leuten ist's hier im Kreuz verhandelt worden, aber, daß ich dir die Namen nenne, giebt's nicht.«
»Es ist eine elende Verleumdung. Horch, Joch, wie's zugegangen ist. Man hat einen Mann haben müssen, mit dem Losen ist's gar eine mißliche Sache.« Der Presi erzählte und schloß mit der Frage: »Was sprichst jetzt?«
»Ich sage, daß die Geschichte nicht sauber ist! Geplagt hast du Seppi, das giebst ja selber zu. Wo hast du dir das Herz hergenommen, ihn grad an dem Tag, wo du dich mit der Cresenz verlobt hast, mit dem Kaufbrief zu kreuzigen? Das gefällt uns nicht. Wenn du Seppi Blatter die hundertachtzig Franken aus Anlaß deiner Verlobung geschenkt hättest, so hätte es mich und die Cresenz gefreut. Man hätte dann aus dir etwas Glück gespürt. Jetzt aber kränkt sich Cresenz.«
Der Presi wurde ganz klein – das traf. Er wußte wohl, daß er sonst der Gescheitere war als der vornehme hohle Kreuzwirt. Aber jetzt hatte der recht! Und er murrte verlegen und stoßweise.
Der Kreuzwirt fuhr fort: »Warum fragst du nicht, wo sie bleibt? Weil du dich schämst, weil du weißt: es ist ein Schandfleck auf deiner Ehre!«
»Ein Schandfleck auf meiner Ehre!« wiederholte der Presi. Sein Gesicht war blutleer und seine Hand langte mechanisch nach dem Zündhölzchenstein.
»Laß den Stein liegen,« sagte der Kreuzwirt ruhig, »es ist jetzt genug an Gewaltthätigkeit. Cresenz aber will sich besinnen, ob sie Bärenwirtin von St. Peter werden will. Sie schreibt dir darüber in den nächsten Tagen.« Als der Presi heimritt, kam er sich vor wie ein vom Hagelwetter erschlagener Baum. Die Wut über die Verleumdung tötete ihn fast. »Die schlechten Hunde – die elenden Tröpfe – – Ist die Wahrheit nicht genug?« stammelte er vor sich hin.
Er sah die blauen, großen, vorwurfsvollen Augen Fränzis, die schönen und guten Augen. O, wie er sie jetzt haßte!
Schweißgebadet ritt er durch die Dämmerung. Jetzt sah er Seppi Blatter,