Es war also richtig, daß er Absichten auf Mrs. Graham hatte und würde, wenn sie ehrenhaft gewesen wären, sich nicht so viele Mühe gegeben haben, sie zu verhehlen Sie war natürlich tadellos, er jedoch über alle Maßen verabscheuenswert.
Während diese Gedanken durch meinen Geist zuckten erhob sich meine Gesellschafterin hastig; rief ihrem Sohn, sagte, daß sie jetzt die Gesellschaft aufsuchen wolle, und entfernte sich die Allee hinauf. Ohne Zweifel hatte sie von Miß Wilsons Bemerkungen etwas gehört oder errathen und es war, daher natürlich genug, daß sie keine Lust hatte, das tête-à-tête, fortzusetzen, besonders da in diesem Augenblicke mein Gesicht von Indignation gegen meinen früheren Freund glühte, was sie für ein Erröthen dummer Verlegenheit halten konnte. Dies hatte Miß Wilson eben falls zu verantworten, und je mehr ich über ihr Benehmen nachdachte, desto mehr haßte ich sie.
Es war spät am Abend, ehe ich wieder zur Gesellschaft kam; ich fand Mrs. Graham bereits zum Scheiden gerüstet und mit Abschiednehmen von den Uebrigen, welche jetzt nach dem Hause zurückgekehrt waren, beschäftigt. Ich erbot mich — ja bat, sie heimbegleiten zu dürfen. Mr. Lawrence stand dabei und unterhielt sich mit einer andern Person; er sah sich nicht nach uns um, hielt aber, als er meine Bitte hörte, mitten in einem Satze ein, um ihre Antwort anzuhören, und fuhr mit einem Blicke ruhiger Zufriedenheit in seinem Gespräche fort, sobald er fand, daß sie mir es abschlug.
Es war, eine Weigerung, entschieden, wenn auch nicht unfreundlich; sie konnte sich nicht überreden lassen, zu denken, daß für sie oder ihr Kind Gefahr darin liege, wenn sie ohne Begleitung über die einsamen Hecken- und Feldwege nach Hause gehe. Es war noch hell und sie würde keinem Menschen begegnen, oder wenn sie es that, so waren die Leute ruhig und harmlos, davon war sie überzeugt.
In der That wollte sie nichts davon hören, daß sich irgend Jemand bemühen solle, um sie zu begleiten, obgleich Fergus geruhte, »ihr seine Dienste anzubieten, falls sie annehmbarer sein sollten, als die meinen, und meine Mutter bat, einen von den Gutsknechten mitschicken zu dürfen. Sobald sie fort war, erschien mir alles Uebrige öd und leer, oder noch schlimmer. Lawrence versuchte es, mich in ein Gespräch zu ziehen, aber ich fertigte ihn kurz ab, und begab mich nach einem anderen Theile des Zimmers. Kurz nachher brach die Gesellschaft auf, und er nahm ebenfalls Abschiede als er zu mir kam, war ich blind für seine aus gestreckte Hand, und taub für seine »gute Nacht«. — bis er es wiederholte und dann brummte ich, um ihn los zu werden, eine von einem mürrischen Kopfnicken begleitete, unverständliche Antwort.
»Was haben Sie, Markham,« flüsterte er.
Ich antwortete nur durch ein zorniges und verächtliches Anstarren.
»Sind Sie erzürnt, weil Sie Mrs. Graham nicht mit nach Hause gehen lassen wollte?« fragte er mit einem schwachen Lächeln, welches mich so erbitterte, daß ich mich fast nicht mehr beherrschen konnte.
Ich schluckte jedoch die wüthende Antwort, welche ich ihm geben wollte, hinab, und sagte blos:
»Was geht das Ihnen an?«
»Allerdings nichts,« antwortete er mit mich fast zur Verzweiflung dringender Ruhe, »nur « — und hier erhob er die Augen, zu meinem Gesichte, und sprach mit ungewöhnlicher Feierlichkeit — »nur lassen Sie sich sagen, Markham daß, wenn Sie Absichten auf die Dame haben, dieselben sicherlich erfolglos bleiben werden und es mir leid thut, Sie falsche Hoffnungen nähren und Ihre Kräfte mit nutzlosen Anstrengungen verschwenden zu sehen, denn —« »Heuchler!« rief ich, und er hielt den Athem an und sah sehr verwirrt aus, erbleichte und ging fort, ohne weiter ein Wort zu sprechen.
Ich hatte ihn tief verwundet und freute mich darüber.
Zehntes Kapitel.
Ein Kontrakt und ein Zank.
Als Alle fort waren, erfuhr ich, daß die niederträchtige Verläumdung wirklich in Gegenwart ihres Opfers unter der ganzen Gesellschaft verbreitet worden war. Rosa betheuerte jedoch, daß sie dieselbe nicht glauben könne und wolle, und meine Mutter gab die gleiche Erklärung ab, wiewohl, wie ich fürchte, nicht mit derselben wahren, hartnäckigen Ungläubigkeit. Es schien ihr beständig im Kopfe zu liegen und sie erzürnte mich von Zeit zu Zeit durch Ausdrücke wie: »Du lieber Himmel, wer hätte das gedacht! — nun, ich habe immer gesagt, daß sie etwas Sonderbares an sich habe — da seht ihr, was es heißt, wenn die Weiber thun, als ob sie anders wären wie andere Leute.« Einmal hieß es sogar:
»Ich habe mir über die Geheimnißthuerei gleich von Anfang an Gedanken gemacht — ich dachte, daß nichts Gutes daraus kommen würde; aber dies ist allerdings eine schlimme, schlimme Geschichte!«
»Ei, Mutter, Sie sagten ja, daß Sie nicht an diese Gerüchte glaubten,« meinte Fergus.
»Das thue ich auch nicht, mein Kind; aber weißt Du, es muß doch ein Grund dazu vorhanden sein?«
»Der Grund ist die Bosheit und Lügenhaftigkeit der Welt sagte ich, »und der Umstand, daß Mr. Lawrence ein paar Mal Abends auf dem Wege dorthin gesehen worden ist, und die Dorfklatschen sagen, daß er hingehe, um der fremden Dame den Hof zu machen und die Lästerzungen haben sich des Gerüchtes begierig bemächtigt, um es zur Grundlage ihres eignen, satanischen Gebäudes zu machen.«
»Nun, aber Gilbert, es muß doch etwas in ihrem Wesen liegen, um solchen Gerüchten Begründung zu verleihen.«
»Haben Sie etwas Besonderes in ihrem Wesen gesehen?«
»Nein, allerdings nicht, aber Du weißt doch, daß ich immer gesagt habe, daß sie etwas Sonderbares an sich hätte.«
Ich glaube, es war an demselben Abende, daß ich wieder einen Einfall in Wilder Hall zu machen wagte. Von der Zeit unserer Gesellschaft an, die vor länger als einer Woche stattgefunden, hatte ich mich täglich bemüht, der Dame auf ihren Spaziergängen zu begegnen, aber immer umsonst (sie muß es absichtlich so eingerichtet haben), und jeden Abend nach einem Vorwande zu einem neuen Besuche umgeschaut. Endlich dachte ich, daß die Trennung nicht länger zu ertragen sei (Sie sehen, daß es jetzt ziemlich weit mit mir gekommen war), nahm aus dem Bücherschrank ein altes Buch, an dem ich dachte, daß sie Antheil nehmen könne, obgleich ich wegen seines etwas zerlesenen Zustandes noch nicht gewagt hatte, es ihr zum Durchlesen anzubieten, und eilte fort, aber nicht ohne Befürchtungen, wie sie mich aufnehmen würde, oder wie ich Muth genug aufbieten solle, um mich ihr mit einer so geringfügigen Entschuldigung vorzustellen. Vielleicht aber sah ich sie auf dem Felde oder im Garten und dann hatte die Sache keine große Schwierigkeit, es war nur das förmliche Klopfen an der Thüre mit der Aussicht darauf, ernsthaft von Rahel zu einer überraschten, unfreundlichen Herrin hineingewiesen zu werden, die mich so beunruhigte.
Mein Wunsch wurde jedoch nicht befriedigt, Mrs. Graham selbst war nicht sichtbar. Arthur aber spielte mit seinem muntern Hündchen im Garten. Ich sah über die Thür und rief ihn zu mir her; er verlangte, daß ich hereinkommen solle, ich sagte ihm aber, daß ich es ohne die Erlaubniß seiner Mutter nicht thun könne.
»Ich will zu ihr gehen, und sie fragen,« sagte das Kind.
»Nein, nein, Arthur,d« das darfst Du nicht thun — aber wenn sie nicht beschäftigt ist, so bitte sie, auf eine Minute herauszukommen, und sage ihr, daß ich mit ihr zu sprechen habe.«
Er lief fort, um mein Gebot zu erfüllen, und kehrte schnell mit seiner Mutter zurück. Wie schön sie aussah als ihre dunkeln Locken im milden Sonnenwinde flatterten, ihre schöne Wange leicht geröthet, und ihr Gesicht von strahlendem Lächeln erhellt war. — Du lieber Arthur, wie viel verdankte ich Dir nicht für dieses und jedes andere glückliche Zusammentreffen? — Durch ihn kam ich, sofort von allen Formalitäten, Schrecken und allem Zwanglose in der Liebe gibt es keinen besseren Vermittler, als ein fröhliches, offenes Kind, das stets bereit ist, getrennte Herzen zu vereinigen, den unfreundlichen Abgrund der Gesellschaftsgebräuche auszufüllen, das Eis kalter Zurückhaltung zu zerschmelzen, und die Scheidewände furchtbarer Convenienz und des Stolzes niederzuwerfen.
»Nun, Mr. Markham, was gibt es?« fragte die junge Mutter, indem sie mit einem freundlichen Lächeln auf mich