Mutter Angelica. Raymond Arroyo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Raymond Arroyo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783947931774
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„Sie war eine reizende und interessante Person, und man konnte sich nett mit ihr unterhalten“, erzählte er mir. „Aber es war nichts Ernstes, sondern wir waren immer ganz zwanglos zusammen.“

      Ritas beste Freundin zu dieser Zeit, Elsie Machuga, stimmte dem zu: „Ich glaube, er traf sich gerne mit ihr und brachte ihr auch immer wieder Devotionalien mit. Aber sie war zu jedem freundlich.“

      Über ihr Verhältnis zu Schulte befragt, sagte Mutter Angelica ganz offen: „Ich war nie verrückt auf Sex und wollte mich auch nie verabreden. In dieser Hinsicht bin ich ein Eunuch. Es war mir überhaupt nicht wichtig. Das war einfach nichts für mich.“

      Nur einmal zeigte Rita in der Öffentlichkeit ihre Zuneigung. Steven Zaleski, der aus Canton stammte und mit Rita seit dieser Zeit bekannt war, erinnerte sich an eine Mission in der Herz-Jesu-Kirche in der Clark Avenue. Als die Gläubigen nach vorne gingen, um den aus Holz geschnitzten gekreuzigten Christus zu verehren und anzubeten, „küsste Rita Ihn auf sein Herz mit großer Inbrunst, sehr persönlich, als ob Er ihr Geliebter wäre“.

      In ihrem Schlafzimmer hatte Rita, ganz nach dem Vorbild von Rhoda Wise, einen Altar am Fuß ihres Bettes aufgestellt. Er war mit hellem Stoff bedeckt. Darauf standen zwei große Statuen des Heiligsten Herzens Jesu und der Muttergottes, umgeben von kleinen Bildern des Prager Jesulein, des hl. Antonius von Padua sowie genau in der Mitte der hl. Theresia von Lisieux. Vor dem Altar befand sich eine schlichte Kniebank, auf der Rita in den frühen Morgenstunden betete – eine Gepflogenheit, die ihre Mutter verhindern wollte. Eines Morgens stellte Mae zu ihrem Entsetzen fest, dass unter Ritas Schlafanzug ein Bußgürtel herausschaute.

      „Sie bekam damit einen dezenten Hinweis, dass irgendetwas im Gange war, und darüber war sie nicht gerade froh“, erinnerte sich Mutter Angelica lachend mehr als fünfzig Jahre später. Die Liebe zu Christus nahm in Ritas Leben jetzt die vorrangige Stellung ein und nahm langsam allen anderen Beziehungen ihren Stellenwert, selbst der Beziehung zu Mae Rizzo.

      Vielleicht fühlte sich Mae bedroht, jedenfalls warnte sie Rita davor, „allzu fromm“ zu werden. Sie brachte dies auch der Großmutter Gianfrancesco gegenüber zum Ausdruck. „Sie gehört uns jetzt nicht mehr“, sagte die runzlige alte Frau, als ob sie eine Vorahnung hätte. Das wollte aber Mae nicht hören. Etwa zur selben Zeit erhielt sie weitere schlechte Nachrichten.

      Im Sommer 1943 heiratete John Rizzo zum zweiten Mal. Mit fünfzig Jahren heiratete er eine vierundzwanzigjährige Frau, eine Schulkameradin von Rita. Es gibt zwar keine Aufzeichnung über Maes Reaktion, aber Ritas Heilung, verbunden mit Maes Festanstellung, milderten den Schlag vermutlich ab. Mae hatte zu dieser Zeit den Namen Rizzo bereits abgelegt und nannte sich nunmehr Mae Francis. Sie bestand darauf, dass auch Rita diesen neuen Namen annahm.

      An einem Nachmittag im Herbst 1943 hatte die einundzwanzigjährige Rita Francis gerade ihren gewohnten Kreuzweg in der St. Antonius-Kirche beendet. Sie kniete am Seitenalter vor der Statue der Schmerzensmutter – es war übrigens dieselbe Statue, die am Tag ihrer Taufe auf sie herabgeschaut hatte. Als Rita das Abschlussgebet der Danksagung anstimmte, überkam sie eine „tiefe Erkenntnis“, dass sie „eine Berufung habe“. Ganz plötzlich spürte sie, dass sie „dorthin gehen müsse, wo immer der Herr sie hinsenden sollte“. Sie wurde immer noch von den Gedanken an die harten Nonnen aus der Grundschule geplagt. Deshalb zögerte sie zunächst, bevor sie sich ihrer Eingebung wieder zuwandte. Mutter Angelica erzählte mir: „Ich habe immer gedacht, wenn der Herr mir etwas befiehlt, dann mache ich das auch.“ Und so geschah es.

      Sie suchte Monsignore Habig, den Seelenführer von Rhoda Wise, auf, um seinen Rat einzuholen. Er bestätigte ihre religiöse Berufung und war damit einverstanden, sie geheim zu halten, um Mae Francis nicht übermäßig zu beunruhigen. Zur Festigung ihrer Berufung verbrachte Rita nun mehr Zeit im Haus der Rhoda Wise.

      Es war in jeder Hinsicht ein seltsames Haus. Besucher beschrieben ein helles Licht, das im vorderen Schlafzimmer immer dann auftauchte, wenn Rhoda mit Jesus sprach. Sie berichteten außerdem auch, gelegentlich ein Geräusch zu hören, das durch das ganze Haus hallte, und das Frau Wise der Erscheinung der hl. Theresia zuschrieb. In den Vierzigerjahren zogen solche unerklärlichen Vorgänge und natürlich auch die Mystikerin selbst einen andauernden Strom von Menschen an. Darunter waren auch Nonnen. Rhoda Wise war mit vielen Ordensfrauen befreundet. So wurde sie für Ritas Berufung eine stärkende Quelle. Da die Mystikerin von Ritas Absicht erfuhr, in einen Orden einzutreten, beschaffte sie der jungen Frau eine Liste mit Ordensgemeinschaften sowie den jeweiligen Oberinnen, die sie anschreiben konnte.

      Doch Ritas Schulzeugnisse waren so schlecht, dass sie von keinem Schulorden angenommen wurde. Später begegnete sie im Haus von Rhoda Wise einer Gruppe von Josephitinnen, die in Buffalo mit den Taubstummen arbeiteten. Dies weckte Ritas Interesse und sie beschloss, die Josephitinnen im Staat New York zu besuchen.

       Der Schwindel mit Buffalo

      Um nach Buffalo zu fahren, ohne dass es bekannt wurde, musste Rita die Stadt heimlich verlassen. Ritas Freundin Elsie Machuga und deren Mutter Anna unterstützten Ritas religiöse Berufung. Sie ermutigten sie, Gottes Anruf zu folgen, auch wenn es bedeutete, Mae zurückzulassen. So wurden die Machugas Ende 1943 zu ihren Komplizinnen.

      Für Mae ersann man daher folgende Geschichte: Rita und Elsie sollten am Wochenende nach Cleveland fahren. Mae misstraute dieser Geschichte, da Rita damals kaum jemals eine Nacht außer Haus verbrachte. Doch schließlich war sie mit dem Vorhaben einverstanden. Der Trick mit Cleveland würde Rita die Gelegenheit bieten, die Schwestern in Buffalo zu besuchen und am Sonntagabend wieder zurückzukehren, ohne dass Mae etwas davon bemerkte. Zumindest war das der Plan.

      Am Sonntagabend klingelte um 22 Uhr im Haus der Machugas das Telefon. Elsie hob den Hörer ab, weil sie dachte, es sei Rita, die von ihrem Abenteuer aus Buffalo zurück wäre. Doch stattdessen hörte sie die wütende Stimme von Mae Francis:

      „Wo ist Rita? Wie kommt es, dass du bereits zu Hause bist?“ herrschte Mae Elsie an.

      „Sie wird bald da sein“, erwiderte Elsie.

      „Du hast das alles angezettelt und bist verantwortlich für alles, was mit ihr geschieht“, brüllte Mae. „Ich werde kommen und dich in Stücke schneiden, wenn ihr irgendetwas passiert ist.“ Plötzlich trat eine Pause ein. Im Hintergrund konnte Elsie Ritas Stimme hören.

      „Sie ist da“, verkündete Mae schroff, und dann war die Leitung tot.

      Am nächsten Tag entschuldigte sich Rita vom Büro aus bei Elsie für das Betragen ihrer Mutter.

      Obwohl Mae noch immer nichts von der Berufung ihrer Tochter wusste, musste sie gespürt haben, wie sich ihre Tochter von ihr löste. Maes fast verzweifelte emotionale Bindung erdrückte die junge Frau. „Ich glaube, dass das, was ihr Leben belastete, auch begann, mein Leben zu überschatten“, erklärte mir Mutter Angelica später.

      Maes andauernde Beschäftigung mit Verletzungen aus ihrer Vergangenheit und ihr krankhafter Argwohn gegenüber jedem Menschen, der im Leben ihrer Tochter auftauchte, hemmte die Persönlichkeitsentwicklung von Rita. Obwohl Mae nach Ritas Heilung sogar selbst ihre eigene Bekehrung erlebte und eine aufrichtige Vertiefung ihres Glaubens erfuhr, konnte sie sich doch nicht zu einer völligen Unabhängigkeit durchringen. Ihre einundzwanzigjährige Stütze wurde immer noch gebraucht, wie man es an einer oft zitierten Geschichte erkennen kann. Mae behauptete, dass Rita ihr als Kind einmal sagte: „Irgendwann werde ich ein Schloss bauen und dich mit mir nehmen, damit wir dann beide darin wohnen.“ Nicht einmal zwanzig Jahre später sollten diese gehegten und gepflegten Worte prophetische Dimensionen annehmen. Zu jener Zeit wiesen sie jedoch auf eine Frau hin, die für ihr Überleben und für ihren Lebensunterhalt fast wie ein Parasit von ihrer Tochter abhängig war.

      Unterdessen folgte Rita heimlich ihrer religiösen Berufung, zu der sie sich von Gott berufen fühlte. Ein Brief von den Josephitinnen wurde aufgeregt an Monsignore Habig weitergegeben. Darin stand, dass einige der Schwestern glaubten, dass Rita einen Ruf zum kontemplativen Leben habe, dass sie aber dafür stimmten, Rita trotzdem in den aktiven Orden aufzunehmen. Mit einem dünnlippigen Grinsen legte der alte Monsignore