Black Heart - Die gesamte erste Staffel. Kim Leopold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kim Leopold
Издательство: Bookwire
Серия: Black Heart - Die gesamte Staffel
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783958344129
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Gesicht mit Kohlezeichnungen versieht.

      »Möglich.« Ich zucke vage mit den Schultern und stehe auf. Nachdem er mit den Fotos fertig ist, steckt er das Handy weg. Wir schauen uns um, bevor wir unauffällig mit der Dunkelheit verschmelzen.

      ❤

      »Ich werd' nicht schlau daraus.« Mein Freund wirft sein Handy mit etwas zu viel Schwung auf den Tisch und lehnt sich frustriert zurück. Wir sitzen im Schankraum des kleinen Hotels, in das wir vor drei Tagen eingezogen sind. Das Abendessen ist grauenvoll, aber immerhin stellt hier niemand Fragen. Was vielleicht auch daran liegt, dass wir nicht die einzigen zwielichtigen Gestalten sind, die in dem Halbdunkel des Raumes ein Bier trinken. »Ich dachte, ich hätte mittlerweile schon alles gesehen, aber das hier ergibt keinen Sinn.«

      Ich nehme das Gerät in die Hand und aktiviere das Display, um das Gesicht der Frau zu betrachten. Was aussieht wie die Zeichen eines Rituals, vermischt mit einer Handvoll Zahlen, ergibt auch auf den zweiten Blick keinen Sinn. Ich habe zwar keine magischen Kräfte, aber genug Erfahrung mit diesen Dingen, um sagen zu können, dass diese Frau nicht für einen Zauberspruch gestorben ist.

      Noch dazu kommt mir diese Frau so bekannt vor, dass es schon fast gruselig ist. Solche Zeichnungen habe ich schon mal gesehen … nur wo? Und wann?

      »Meinst du, das ist eine Botschaft?«, fragt mein Freund und winkt dem Wirt zu, um noch eine Runde Getränke zu bestellen. Der Mann erhebt sich murrend von seinem Hocker, um zwei neue Gläser für uns fertigzumachen. Der Typ an der Bar schiebt ihm sein Schnapsglas entgegen und fordert ebenfalls eine weitere Runde.

      »Für uns?« Ich zucke mit den Schultern und widme mich erneut dem Foto. Das Ganze ist ein Kauderwelsch aus Kohle, nichts, was irgendwie zusammenpasst.

      Aber das muss es.

      Niemand tötet eine Frau und malt ihr ohne Grund sinnlose Zeichen ins Gesicht.

      »Wenn es eine Hexe war, wieso benutzt sie dann Kohle und kein Blut?«

      Mein Freund runzelt die Stirn. »Ganz schön … unschuldig für eine Hexe.«

      »Vielleicht war die Frau schon tot, bevor unsere Hexe sie gefunden hat«, überlege ich und denke darüber nach, wie die Frau in die dunkle Gasse gekommen ist. »Die wenigsten Hexen würden jemanden umbringen, um eine Nachricht zu übermitteln.«

      »Sie hätte auch einfach eine SMS schreiben können.«

      Der Wirt stellt noch eine Runde Bier auf den Tisch. Ich sperre den Bildschirm, bevor er die Fotos von der Leiche sehen kann. Sobald er zurück hinter seiner Theke ist, stecken wir die Köpfe zusammen und reden weiter.

      »Vielleicht ist sie nicht der Typ für ein Handy«, gebe ich zu bedenken. »Nicht alle sind so vernarrt in diese Dinger wie du.«

      Mein Freund lacht schnaubend auf und nimmt mir das Gerät ab. »Dieses Ding hat uns jetzt schon so oft geholfen. Du solltest dir auch eins zulegen.«

      Das stimmt allerdings. Wenn er nicht so verdammt geschickt mit der neuen Technik wäre, würden wir vermutlich noch immer in Bulgarien hocken und darauf warten, dass die Lösung für unser größtes Problem vom Himmel fällt.

      Ich denke an mein Zuhause, an die alten Teppiche, die Bilder, die Geschichten erzählen, und die Wände, die mir zuletzt immer mehr wie ein Gefängnis vorgekommen sind. Gerade in den letzten Monaten, da die Zeit zum Greifen nah war, und die Lösung so fern wie noch nie.

      Wenn ich doch bloß wüsste, wo …

      »Das ist es!«, stoße ich hervor. »Gib noch mal her.«

      Mein Freund reicht mir das Handy. Dieses Mal konzentriere ich mich nicht auf die Zeichen, sondern auf die Frau selbst. Auf die langen, getuschten Wimpern und die weißblonden Haare, die feinen Gesichtszüge, die unter den Kohlezeichnungen beinahe untergehen. Wenn sie jetzt die Augen öffnen würde, …

      Wie kann es sein, dass jemand ihr so ähnlich ist?

      »Ich glaube, ich weiß, worum es hier geht.« Ich lege das Handy auf den Tisch. »Die Frau erinnert mich an jemanden. An eine Hexe, um genau zu sein. Ihr Name ist Freya.«

      Mein Freund runzelt die Stirn. »Die Freya?«

      Ich nicke und werfe noch einen Blick auf die Kohlezeichnungen, die plötzlich einen Sinn ergeben. »Und das hier, mein Freund, ist eine Karte zu ihrem Aufenthaltsort.«

      Ein kleines Dorf in Norwegen, 1768 n. Chr.

      Freya

      ❤

      Das Gefühl von rauem Backstein unter meinen Fingerspitzen wiegt mich in Sicherheit. Ich lasse meine Finger an der Hauswand entlanggleiten, bis ich schließlich den kleinen Vorsprung spüre und die Wand loslasse, um vierunddreißig Schritte geradeaus zu gehen. Mein Weg führt mich vom Schatten in die Sonne, und ich verharre einen Augenblick bei dreiundzwanzig Schritten, um das warme Gefühl auf meinem Gesicht zu genießen. Anschließend setze ich meinen Weg fort, elf Schritt vor, zehn nach links, dann zwanzig nach rechts, bis ich nur noch die Hand ausstrecken muss, um die gewohnten Steine des Brunnens unter meinen Händen zu-

      Ein Ruck reißt mich zu Boden. Dumpfe Schmerzen jagen durch meinen Oberarm und mein Eimer fällt mit einem lauten Poltern zu Boden.

      »Oh nein, entschuldige bitte.« Eine angenehme Stimme füllt mein Ohr, während ich mich aufrichte. »Habe ich dir wehgetan?«

      Ich schüttle den Kopf und reibe meinen Oberarm. Die Stimme ist tief und männlich, und ich würde gerne das Gesicht dazu sehen. Jemand, der klingt wie er, muss einfach hübsch sein.

      »Es geht schon«, murmle ich verlegen.

      »Ich«, setzt der Mann an und scharrt mit den Füßen. Mir wird bewusst, dass mein Anblick ihn nervös machen muss, also schließe ich die Augen.

      »Ich bin Mikael«, stellt er sich plötzlich vor.

      Verwundert öffne ich die Augen wieder, obwohl ich ihn sowieso nicht sehen kann. Wieso läuft er nicht weg? Wieso bleibt er hier und stellt sich vor? Hat er keine Angst vor einem Krüppel wie mir?

      »Freya«, erwidere ich schüchtern und erstarre, als er nach meiner Hand greift. Seine Finger sind schlank und lang, die Haut weich und trocken. Sein Griff verleiht mir ein merkwürdiges Gefühl von Sicherheit, und als ich dann noch seine zarten Lippen auf meinem Handrücken spüre, ist es um mich geschehen. Noch nie hat sich ein Mann die Mühe gemacht, sich mir vernünftig vorzustellen, geschweige denn, mir einen Handkuss zu geben. Für alle anderen bin ich nicht viel besser als Garall, der mit seinem fehlenden Bein ein noch größerer Krüppel ist.

      »Du bist nicht von hier«, stelle ich fest, während er sich wieder von mir löst. »Ich … ich erkenne deine Stimme nicht.«

      »Du hast gute Ohren. Ich bin aus Christiania«, antwortet er. Seine Stimme entfernt sich kurz. Er hebt den Eimer auf, bemerke ich verblüfft. Ohne seine Hilfe hätte ich mich auf den Boden hocken und jeden Zentimeter absuchen müssen, bis ich den Eimer wiedergefunden hätte. Und dann hätte ich vielleicht die Orientierung verloren und wäre noch weiter umhergeirrt.

      Plötzlich spüre ich seine Hand an meinem Ellbogen. Zögernd wartet er darauf, dass ich ihm die Erlaubnis gebe, mich zu begleiten. Mein Herz klopft schneller, während ich die Kontrolle in seine Hände übergebe und mich von ihm zum Brunnen leiten lasse.

      »Was verschlägt dich hierher?«, frage ich ihn, um mich von meiner Aufregung abzulenken.

      »Der Dienst am königlichen Hof.« Seine Stimme ist genau die richtige Mischung aus sanft und männlich. Wenn ich mir den Menschen dazu vorstelle, sehe ich einen hochgewachsenen, schlanken Mann, ein paar Jahre älter als ich vielleicht. Mit blondem Haar und blauen Augen, wie das hier im Norden so üblich ist. Wie blondes Haar aussieht, weiß ich nicht. Ich weiß nur, wie es sich anfühlt, wenn ich meine eigenen Haare bürste und flechte.

      »Du kennst den König?«, frage ich aufgeregt. Ich habe noch nie jemanden kennengelernt,