Indessen, unter Gleichheit ist offenbar in Rechtsverhältnissen nicht ganz dasselbe zu verstehen wie in Freundschaftsverhältnissen. In Rechtsverhältnissen bedeutet das gleiche in erster Linie das was nach der Würdigkeit bemessen ist, und erst in zweiter Linie einfache Gleichheit der Größe nach; im Freundschaftsverhältnis steht umgekehrt das der Größe nach gleiche voran, und die Abmessung nach der Würdigkeit kommt erst in zweiter Reihe. Das tritt klar hervor, wenn der Abstand in sittlichem oder unsittlichem Charakter, in Wohlstand oder sonst etwas anderem beträchtlich wird. Dann sind die so Verschiedenen gar nicht mehr Freunde, noch verlangen sie es zu sein. Am augenscheinlichsten wird dies den Göttern gegenüber; denn diese sind durch jede Art von Gütern über allen Vergleich erhaben. Man sieht es aber auch bei den Königen; denn Menschen, die in weit geringerer Stellung sind, lassen gar nicht den Gedanken in sich aufkommen, ihre Freunde sein zu wollen, ebensowenig wie die ihres Unwertes sich Bewußten daran denken, Freunde der Edelsten und geistig Höchststehenden zu werden. Es gibt für diese Dinge keine exakte Grenze, bis an die noch von Freunden geredet werden kann. Man kann auf der einen Seite viel abziehen, und es kann immer noch Freundschaft bestehen; nicht aber, wenn die Kluft allzuweit wird, wie die zwischen Mensch und Gott. Daher das Bedenken, ob wohl Freunde den Freunden wirklich die größten Güter gönnen, z.B. das, Götter zu sein. Denn dann würden sie selbst nicht mehr ihre Freunde sein, also auch nicht mehr für sie einen wertvollen Besitz bedeuten; denn Freunde sind ein wertvoller Besitz. Ist nun der Satz richtig, daß der Freund dem Freunde alles Gute um seiner selbst willen wünscht, so wäre demnach erforderlich, daß dieser bleibe was er ist, und ihm als Menschen wird der Freund die größten Güter wünschen. Allerdings nicht alle; denn jeder Mensch wünscht an erster Stelle alles Gute sich selbst.
Wenn die meisten Menschen wünschen, Beweise freundlicher Gesinnung mehr entgegenzunehmen als solche zu gewähren, so nimmt man an, daß es Ehrsucht ist, was sie dazu treibt. Darum haben die meisten die Schmeichler gern. Denn der Schmeichler ist ein gutmeinender Mensch, der sich unterordnet, oder er gibt sich wenigstens so, und nimmt die Miene an, als ob er mehr Freundlichkeit zu erweisen als zu empfangen wünschte. Solche Beweise von Zuneigung zu empfangen macht beinahe denselben Eindruck, wie Beweise der Ehrerbietung zu empfangen, und das ist es gerade worauf die meisten sich spitzen. Indessen möchte man annehmen, als strebten die Menschen nach solcher Ehre nicht um dieser selbst, sondern um dessen willen was daran hängt. Wenn die meisten durch Auszeichnung, die ihnen von den Mächtigen widerfährt, beglückt sind, so ist der Grund die dadurch eröffnete Aussicht; sie meinen nämlich durch jene erlangen zu können was ihnen not tut, und freuen sich an der Auszeichnung als an einem Vorzeichen künftigen Wohlergehens. Diejenigen aber, die von charaktervollen und durch Geist hervorragenden Männern ausgezeichnet zu werden wünschen, sind von der Begierde beseelt, die eigene Meinung die sie von sich hegen durch jene sichergestellt zu sehen. Sie erwärmen sich also an dem Gedanken, Männer von Verdienst zu sein und sich auf das Urteil derjenigen die sie dafür erklären stützen zu können. Dagegen Beweise von freundlicher Gesinnung zu empfangen macht an und für sich Freude. Deshalb sollte man diese für wertvoller halten als erfahrene Auszeichnung, und freundschaftliche Zuneigung sollte um ihrer selbst willen für begehrenswert gelten.
Eigentlich aber liegt der Wert derselben doch mehr in der Liebe die man erweist, als in der die man erfährt. Einen Beweis dafür liefert das Mutterglück; dies besteht im Erweisen von Liebe. Es kommt vor, daß Mütter ihren Kindern die Nahrung von anderen reichen lassen und sie mit ausdrücklichem Bewußt sein lieb haben, ohne Gegenliebe zu verlangen, wenn beides nicht zusammen sein kann; sie sind ganz zufrieden, wenn sie nur sehen, daß es ihren Kindern gut geht, und sie haben sie lieb, auch wenn diese, weil sie ihre Mutter gar nicht kennen, ihr nichts von dem erweisen was einer Mutter zukommt. Ist aber bei dem Bande das die Menschen verbindet die Hauptsache die Liebe, die man erweist, und gewinnen sich diejenigen Beifall, die ihren Freunden Liebe erweisen, so darf man Liebeserweis als die Tugend des Freundes bezeichnen, und die Folge ist, daß wo solche Liebe in Hinblick auf den hohen Wert der Persönlichkeit erwiesen wird, die Freunde beständig sind und ihre Freundschaft festgefügt ist.
Auf diese Weise kann noch am ehesten Freundschaft ohne Gleichheit bestehen; denn so findet leicht eine Ausgleichung statt. Gleichheit und Ähnlichkeit aber macht Freundschaft, und am meisten die Ähnlichkeit der von sittlichem Streben Erfüllten. Diese bleiben, wie sie an und für sich beständig sind, auch einander treu; sie bedürfen nicht der Menschen von niederer Art, noch leisten sie sich gegenseitig bedenkliche Dienste, sondern eher noch darf man sagen, sie weisen sie ab. Denn das ist die Art edelgesinnter Gemüter, weder selbst falsche Wege zu gehen, noch es den Freunden zu gestatten. Auf charakterlose Menschen ist kein Verlaß. Sie bleiben nicht einmal sich selber treu und gleichförmig; nur für kurze Zeit befreunden sie sich, und nur für kurze Zeit ist dem einen die niedrige Gesinnung des andern willkommen. Demgegenüber sind diejenigen, die einander Nutzen oder Unterhaltung gewähren, immer noch beharrlicher; denn sie halten zusammen, solange sie einander Unterhaltung oder Vorteil gewähren.
Freundschaft, bei der es sich um den Vorteil handelt, möchte am ehesten zwischen solchen Menschen zustande kommen, die in entgegengesetzter Lage sich befinden, so zwischen einem Armen und einem Reichen, einem Ungebildeten und einem geistig Hochstehenden. Wer in die Lage gerät, etwas zu bedürfen, der sucht es zu erlangen dadurch, daß er dafür eine Gegenleistung gewährt. Hierfür darf man auch den Liebhaber und den Geliebten, den Schönen und den Häßlichen heranziehen. Liebhaber machen darum bisweilen einen lächerlichen Eindruck, wenn sie verlangen, ebenso heiß geliebt zu werden, wie sie lieben; da wäre doch wohl zu fordern, daß sie auch ebenso liebenswert seien, und haben sie von dieser Eigenschaft nichts an sich, so wird ihr Verlangen lächerlich. Im allgemeinen gilt der Satz, daß wenn Entgegengesetztes einander zustrebt, dies nicht an der Sache selbst, sondern an besonderen Umständen liegt. Das Streben geht auf das Mittlere zwischen den Gegensätzen; denn dieses Mittlere bezeichnet das Gute. So ist es für das Dürre gut, nicht daß es naß werde, sondern daß es in den mittleren Zustand gelange, und das gleiche gilt auch für das Warme und so fort. Indessen, darauf wollen wir uns hier nicht weiter einlassen; es liegt von unserm Gegenstande zu weit ab.
3. Freundschaftsverhältnis und Rechtsverhältnis
d) In der wirtschaftlichen Gemeinschaft
a) Allgemein
Wie wir gleich im Anfang bemerkt haben, darf man annehmen, daß es dasselbe Gebiet und dieselben Personen sind, die für das Freundschafts- wie für das Rechtsverhältnis in Betracht kommen. Überall wo Gemeinschaft ist, gibt es auch ein Rechtsverhältnis und ein Verhältnis der Befreundung. Man spricht als von seinen Freunden von den Genossen auf einer Seereise