Daß durch alle Kräfte der Natur nichts wahrhaftig zernichtet werden könne, ist, so viel ich weiß, von keinem Weltweisen noch in Zweifel gezogen worden. Eine natürliche Handlung, hat man von jeher gesagt, muß Anfang, Mittel und Ende haben, das heißt, es muß ein Theil der Zeit verstreichen, bevor sie vollendet wird. Dieser Theil der Zeit mag so klein seyn, als man will, er verläugnet doch niemals die Natur der Zeit, und hat aufeinanderfolgende Augenblicke. Sollen die Kräfte der Natur eine Wirkung hervorbringen; so müssen sie sich dieser Wirkung allmälig nähern, und sie vorbereiten, bevor sie erfolget. Eine Wirkung aber, die nicht vorbereitet werden kann, die in einem Nu erfolgen muß, hört auf natürlich zu seyn, kann nicht von Kräften hervorgebracht werden, die alles in der Zeit thun müssen. Alle diese Sätze sind den Alten nicht unbekannt gewesen, und sie schienen mir in dem Raisonnement des Plato7 von den entgegengesetzten Zuständen und den Uebergängen von einem auf den andern, nicht undeutlich zu liegen. Darum suchte ich sie meinen Lesern nach Platons Weise, aber mit der unsern Zeiten angemessenen Deutlichkeit vorzutragen. Sie leuchten zwar der gesunden Vernunft ziemlich ein; allein durch die Lehre von der Stetigkeit erlangen sie meines Erachtens einen hohen Grad der Gewißheit. Ich ergriff auch nicht ungern die Gelegenheit, meine Leser mit dieser wichtigen Lehre bekannt zu machen, weil sie uns auf richtige Begriffe von den Veränderungen des Leibes und der Seele führet, ohne welche man Tod und Leben, Sterblichkeit und Unsterblichkeit nicht aus dem rechten Gesichtspunkte betrachten kann.
Wie aber? fragt man, kann wohl irgend eine Veränderung ohne alle Zernichtung vorgehen? Muß nicht die Bestimmung einer Sache zernichtet werden, wenn die entgegengesetzte Bestimmung an ihr wirklich werden soll? Und wie ist dieses möglich, wenn die Kräfte der Natur nichts zernichten können? – Ich glaube, man misbraucht hier das Wort zernichten. Wenn ein harter Körper weich, oder ein trockener feuchte wird; so wird nicht die Härte oder Trockenheit zernichtet und die Weichheit oder Feuchtheit dafür hervorgebracht. Ohne die geringste Zernichtung kann das Lange kurz, das Kurze lang, das Kalte warm, und das Warme kalt, das Schöne häßlich und das Häßliche schön werden. Alle diese Modifikationen sind durch allmälige Uebergänge mit einander verbunden, und wir sehen gar deutlich, daß sie ohne die geringste Zernichtung oder Hervorbringung mit einander abwechseln können. Ueberhaupt sind die entgegengesetzten Bestimmungen, die durch natürliche Veränderungen an einer Sache möglich sind, alle von der Art, daß zwischen beiden äussersten auch ein Mittel statt findet. Im Grunde sind sie nur durch das Mehr und Weniger von einander unterschieden. Verändert gewisse Theile in ihrer Lage, bringet diese näher zusammen, jene weiter von einander; so wird das Schöne häßlich, das Lange kurz, u. s. w. Verdunkelt diese Begriffe, und heitert jene auf, schwächet diese Begierden, stärker jene Neigungen, so habet ihr die Einsichten und den Charakter eines Menschen verändert. Alles dieses kann durch einen allmäligen Uebergang, ohne die geringste Zernichtung geschehen, und solche Veränderungen sind der Natur allerdings möglich. Aber zwo entgegengesetzte Bestimmungen, zwischen welchen es kein Mittel giebt, können niemals natürlicher Weise auf einander folgen, und ich kenne kein Gesetz der Bewegung, das diesem Satz zuwider seyn sollte. Hierüber verdiene der Pater Boscovich8 nachgelesen zu werden, welcher das Gesetz der Stetigkeit in ein vortrefliches Licht gesetzt hat.
Allein wozu alle diese stachelichten Untersuchungen in einem sokratischen Gespräche? Sind sie nicht für die einfältige Manier des atheniensischen Weltweisen viel zu spitzfündig?
Ich antworte: man scheinet zu vergessen, daß ich dem Plato, und nicht dem Xenophon nachahme. Dieser letztere vermied alle Spitzfündigkeiten der Dialektik, und lies seinen Lehrer und Freund dem gesunden ungekünstelten Menschenverstande folgen. In sittlichen Materien ist diese Methode unverbesserlich; allein in metaphysischen Untersuchungen führet sie nicht weit genug. Plato, der der Metaphysik hold war, machte seinen Lehrer zum pythagorischen Weltweisen, und lies ihn in den dunkelsten Geheimnissen dieser Schule eingeweihet seyn. Wenn Xenophon auf ein Labyrinth stößt; so läßt er den Weisen lieber schüchtern ausweichen, als sich in Gefahr begeben. Plato hingegen führet ihn durch alle Krümmungen und Irrgänge der Dialektik, und läßt ihn in Untersuchungen sich vertiefen, die weit über die Sphäre des gemeinen Menschenverstandes sind. Es kann seyn, daß Xenophon dem Sinne des Weltweisen, der die Philosophie von dem Himmel herunter geholt, treuer geblieben ist. Ich mußte nichts destoweniger der Methode des Plato folgen, weit diese Materie, meines Erachtens, keine andere Behandlung leidet, und ich lieber subtil seyn, als von der Strenge des Beweises etwas vergeben wollte. Die Sophisterey hat sich in unsern Tagen unter gar verschiedenen Gestalten gezeigt. Bald mit Spitzfündigkeiten gewafnet, bald unter der Larve der gesunden Vernunft, bald als Freundin der Religion, jetzt mit der Dreistigkeit eines vielwissenden Thrasymachus, dann wieder mit der unschuldigen Laune eines nichtswissenden Sokrates. Mit allen diesen Proteuskünsten hat sie gesucht, die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele ungewiß zu machen, und die Gründe jetzt zu verspotten, jetzt im Ernste zu widerlegen. Wie sollen die Freunde dieser Wahrheit sie vertheidigen? Durch sokratische Unwissenheit kann man den Dogmatiker rasend machen, aber nichts festsetzen. Durch Gegenspott wird niemand überzeugt. Ihnen bleibt also kein anderer Weg, als die Gaukeleyen der Zweifelsüchtigen für das zu halten, was sie sind, und nach Vermögen zu beweisen.
Den Beweis, daß die Materie nicht denken könne, im zweiten Gespräche, haben folgende Betrachtungen veranlasset. Cartesius hat gezeigt, daß Ausdehnung und Vorstellung von ganz verschiedener Natur sind, und daß die Eigenschaften des denkenden Wesens sich nicht durch Ausdehnung und Bewegung erklären lassen. Ihm war dieses Beweises genug, daß sie nicht eben derselben Substanz zugeschrieben werden können, denn nach einem bekannten Grundsatze dieses Weltweisen kann eine Eigenschaft, die sich nicht durch die Idee einer Sache deutlich begreifen läßt, dieser Sache nicht zukommen. Allein dieser Grundsatz selbst hat vielfältigen Widerspruch gefunden, und was die Eigenschaften des ausgedehnten und denkenden Wesens betrifft; so hat man den Beweis gefordert, daß sie nicht nur von disparater Natur sind, sondern sich einander widersprechen. Von Eigenschaften, die sich einander schnurstraks widersprechen, sind wir versichert, daß sie nicht eben dem Subjekte zukommen können; allein von Eigenschaften, die nichts mit einander gemein haben, schien dieses so ausgemacht noch nicht.
Als ich die Immaterialität zu erweisen hatte, stieß ich auf diese Schwierigkeit, und ob ich gleich der Meynung bin, daß der Grundsatz des Cartesius, dessen ich vorhin erwähnt, gar wohl ausser Zweifel gesetzt werden könnte: so sahe ich mich dennoch nach einer Beweisart um, die mit weniger Schwierigkeit nach der sokratischen Methode abgehandelt werden könnte. Ein Beweis des Plotinus, den einige Neuere weiter ausgeführt haben, schien mir diese Bequemlichkeit zu versprechen.
»Einer jeden Seele, schließt Plotinus9, wohnet ein Leben (ein inneres Bewußtseyn) bey. Wenn nun die Seele ein körperliches Wesen seyn sollte; so müßten die Theile, aus welchen dieses körperliche Wesen bestehet, entweder ein jeder, oder nur einige, oder gar keine derselben ein Leben (inneres Bewußtseyn) haben. Hat nur ein einziger Theil Leben; so ist dieser Theil die Seele. Mehrere sind überflüßig. Soll aber jeder Theil insbesondere des Lebens beraubt seyn; so kann solches auch durch die Zusammensetzung nicht erhalten werden; denn viele leblose Dinge machen zusammen kein Leben aus, viele verstandlose Dinge keinen Verstand.«
In der Folge wiederholet Plotinus denselben Schluß, mit einiger Veränderung: »Ist die Seele körperlich, wie stehet es um die Theile dieses denkenden Körpers? Sind sie auch Seelen? Und die Theile dieser Theile? Gehet dieses anders immer so fort; so siehet man ja, daß die Größe zum Wesen der Seele nichts beyträgt, welches doch geschehen müßte, wenn die Seele eine körperliche Größe hätte. In unserm Fall