Dieses war das Ende unseres Freundes, o Echekrates! eines Mannes, der unter allen Menschen, die wir kannten, unstreitig der rechtschaffenste, weiseste, und gerechteste gewesen.
Anhang zur 2. Auflage des Phädon 1768
Anhang, einige Einwürfe betreffend, die dem Verfasser gemacht worden sind.
Verschiedene Freunde der Wahrheit haben die Gewogenheit gehabt, mir ihre Erinnerungen und Anmerkungen über obige Gespräche, theils in Privatbriefen und theils in öffentlichen Blättern, zu Gesichte kommen zu lassen. Nicht wenige derselben habe ich bey dieser zwoten Auflage mit Nutzen gebraucht. Ich habe hier und da verändert, an einigen Stellen mich deutlicher erklärt, und andere durch Noten erläutert. Dieses ist der einzige Dank, den diese würdige Männer von mir erwarten. Aber alles habe ich nicht aus dem Wege räumen können, was meinen Richtern anstößig geschienen. Zum Theil haben mich ihre Gründe nicht überzeugt, und zum Theil giengen ihre Anforderungen über meine Kräfte. Man erlaube, daß ich mich hier über einige Erinnerungen von dieser Art erkläre.
Ueberhaupt muß ich bekennen, daß die Kunstrichter in Ansehung meiner eher nachsichtsvoll, als strenge gewesen sind. Ich habe mich über keinen unbilligen Tadel zu beschweren, vielleicht eher über unbilliges Lob, davon mich die Selbsterkenntniß versichert, daß es übertrieben ist. Unmäßiges Lob pflegt mehr die Absicht zu haben andere zu demüthigen, als den Gegenstand desselben anzuspornen. Ich habe mir niemals in den Sinn kommen lassen, Epoche in der Weltweisheit zu machen, oder durch ein eigenes System berühmt zu werden. Wo ich eine betretene Bahn vor mir sehe, da suche ich keine neue zu brechen. Haben meine Vorgänger die Bedeutung eines Worts festgesetzt, warum sollte ich davon abweichen? Haben sie eine Wahrheit ans Licht gebracht, warum sollte ich mich stellen, als wüßte ich es nicht? Der Vorwurf der Sektirerey schreckt mich nicht ab, von andern mit dankbarem Herzen anzunehmen, was ich bey ihnen brauchbares und nützliches finde. Ich gestehe es, der Sektiergeist hat dem Fortgange der Weltweisheit sehr geschadet, aber er kann, meines Erachtens, von Liebe zur Wahrheit eher im Zaume gehalten werden, als die Neuerungssucht.
Jedoch ich soll selbst in dem ersten Gespräche, allwo ich genauer beym Plato geblieben zu seyn vorgebe, Sätze aus Wolf und Baumgarten ohne Beweis vorausgesetzt haben, die nicht jeder Leser so schlechterdings annimmt. – Welches sind denn diese Sätze? Etwa, daß die Kräfte der Natur stets wirksam sind? Ich glaube, dieser Satz sey so alt, als die Weltweisheit selbst. Man hat von je her gewußt, daß ein wirksames Ding, wenn es nicht gehemmet wird, die ihm angemessene Wirkung hervorbringt, und wenn es Widerstand findet; so wirkt es in diesen Widerstand zurück. Es ist also niemals in Ruhe. Diese Begriffe leuchten der gesunden Vernunft so sehr ein, daß sie keines Beweises bedürfen, und die Weltweisen aller Zeiten haben sie gedacht, nur diese so, jene anders ausgedrückt.
Ist etwa dieser Satz Wolfisch: daß alles Veränderliche keinen Augenblick unverändert bleibe? – Nicht doch, die Schriften des Plato sind voll davon. Alle vergängliche Dinge, sagt dieser Weltweise im Theaetetus und an vielen andern Stellen, sind in beständigem Wechsel von Gestalten, und bleiben keinen Augenblick sich selbst ähnlich. Er schreibt ihnen daher kein wirkliches Daseyn; sondern ein Entstehen zu6. Sie sind nicht vorhanden, spricht er, sondern entstehen durch die Bewegung und Veränderung, und vergehen. Dieses ist ein Hauptgrundsatz der platonischen Lehre, und hierauf gründet sich seine Theorie von dem wahren Daseyn der allgemeinen unveränderlichen Begriffe, sein Unterschied zwischen Wissenschaft und Meynung, seine Lehre von Gott, und von der Glückseligkeit, seine ganze Philosophie.
Alle Schulen der Alten sind beschäftiget gewesen, diesen Satz zu bestätigen, oder zu widerlegen. Man weiß das Gleichniß von einem Baume, der seinen Schatten auf ein vorbeyfließendes Wasser wirft. Der Schatten scheinet immer derselbe zu seyn, obgleich der Grund, auf welchem er gezeichnet ist, sich beständig fortbewegt. So, sagten die Anhänger des Plato, scheinen uns die Dinge Beständigkeit zu haben, ob sie gleich in stetem Wechsel sind. Daß diese Lehren auch im Wolf und Baumgarten vorkommen, ist kein Wunder, da sie seit den Zeiten des Heraclitus und Pythagoras von jedem Weltweisen haben untersucht werden müssen. Ich würde durchaus antik geblieben seyn, wenn ich keine neueren Sätze hätte brauchen dürfen, als diese.
Ich soll aber meine ganze Demonstration auf den Satz gegründet haben, daß empfinden, denken und wollen die einzigen Wirkungen der Seele sind, und dieser Satz soll ausser der Schule, der ich anhänge, nicht angenommen werden. Ja, setzt ein Kunstrichter hinzu, wenn er auch von der Seele, als Seele, zugegeben wird; so kann er doch nicht von der Seele als Substanz gelten. Als Substanz muß sie auch noch eine bewegende und widerstehende Kraft haben, die mit der denkenden gar nichts gemein hat. Durch diese Unterscheidung soll einer von meinen Hauptbeweisen über den Hauffen fallen, denn die Seele kann nach dem Tode als Substanz würksam bleiben, ohne als Seele zu empfinden, zu denken und zu wollen.
Wir wollen sehen! Mein Beweis, sagt man, gründe sich auf einen Satz, der nicht wahr ist, und ich? ich glaube, der Satz sey wahr, aber mein Beweis gründe sich nicht darauf. Ob eine Substanz nur eine Grundkraft, oder mehrere haben könne, ob denken und wollen aus einer, oder mehrern Grundthätigkeiten fließen, ob die Seele den Leib bewege, oder nicht bewege; diese und mehrere dahin einschlagende Untersuchungen kann ich als unausgemacht dahin gestellt seyn lassen. Für mich habe ich zwar Partey genommen; allein die Beweise für die Unsterblichkeit der Seele sollen mit so wenig andern Streitfragen, als möglich, verwickelt bleiben. Das Vermögen zu denken und zu wollen nenne ich Seele, und mein ganzer Beweis gründet sich auf folgendes Dilemma: Denken und wollen sind entweder Eigenschaften des Zusammengesetzten, oder des Einfachen. Jenes wird im zweyten Gespräche untersucht. In dem ersten betrachte ich sie als Eigenschaften des einfachen Wesens. Die Eigenschaften des einfachen Wesens sind entweder Grundthätigkeiten, oder Modifikationen anderer Thätigkeiten. Man gestehet ein, daß denken und wollen nicht bloße Modifikationen anderer Kräfte; sondern ursprüngliche Thätigkeiten seyn müssen. Eine, oder mehrere, das thut nichts; die einfachen Wesen mögen auch ausser dem Denken und Wollen noch andere Kräfte haben, bewegende, widerstehende, stoßende oder anziehende, so viel man nur will, und Namen erdenken kann. Genug, daß denken und