Die „kleine Katharina“ bildet den größten Gegensatz zu ihr. Die Fürstin Daschkow ist eine schmächtige, geistige Frau mit unruhigen Bewegungen, einem bleichen, nervösen Gesichtchen, das unendlich gescheit, unendlich veränderlich und unendlich pikant ist.
Die beiden Damen schwiegen geraume Zeit, dann sehen sie sich einen Augenblick an. Sie haben sich sofort verstanden.
„Wollen wir Toilette machen, Katinka?“ spricht die Kaiserin und öffnet ihr Haar. „Nein!“ ruft sie plötzlich und stampft mit dem Fuße. „Wir wollen plaudern.“
Die Fürstin ging rasch zu der Türe, welche in den Vorsaal führte, öffnete sie, blickte hinaus und schloß sie wieder. Dann setzte sie sich auf ein Taburett zu den Füßen der Kaiserin und sagte leise: „Iwan muß sterben.“
„Ja, er muß sterben“, sprach die Kaiserin trübe, dabei stützte sie den Kopf schwermütig in die Hand, wie ein verliebtes Mädchen.
„Du darfst nicht dulden, daß sich dir etwas entgegenstellt“, flüsterte die Daschkow eifrig fort, „jeder Tag bringt neue Gefahren, neue Hemmnisse. Du hast das Recht, sie aus dem Wege zu räumen, und die Pflicht, denn deine Bahn geht aufwärts. Du verfolgst große menschliche Ideen, ihnen mußt du diesen blöden Knaben opfern. Iwan muß sterben.“
„Du bist die einzige Seele, der ich wahrhaft vertraue, meine einzige Freundin“, begann Katharina II.
„Nein, du hast keine Freunde“, fiel die Fürstin ein, „du machst aus Freunden wie aus Feinden Werkzeuge deiner Taten. Du hast Recht. Auch ich bin nur dein Werkzeug, aber du bindest mich mit den stärksten Banden echter Sympathie. Ich liebe die Menschheit, ich liebe mein Vaterland, und beiden dienst du, indem du die Zügel führst.“
„Ich will es“, entgegnete Katharina II., „ob ich es kann, wird die Zukunft, wird die Geschichte entscheiden. Siehst du, ich denke so. Die französischen Philosophen haben die große Wahrheit entdeckt: der Mensch ist zur Freiheit geboren, frei kann er aber nur durch Bildung werden. Ich beherrsche ein Riesenreich. Ich will in diesem Reiche Bildung säen, damit auch hier einst die Saat der Freiheit reift.
Ich weiß, daß kein Mensch das Recht hat, andere zu knechten, aber meine Natur verlangt nach Herrschaft, nach unumschränkter Herrschaft. Und wenn ich Bildung, Freiheit erst zertreten müßte, um zu herrschen, ich zweifle keinen Augenblick, daß ich es täte und ohne Bedenken. In diesem Reiche aber hat mein Wille keine Schranken, ich kann hier gebieten, wie ein Alexander, jede meiner Launen sättigen, wie ein Nero, und für die Menschheit wirken, wie ein Philosoph. Die Gegenwart ist mein, die Zukunft kann ich neidlos meinem Volke geben. Die „Semiramis des Nordens“, wie Voltaire mir schmeichelt, will ich nicht bloß heißen, sondern wahrhaftig sein.
Glaube mir, man verzeiht uns Mächtigen der Erde unsere Laster, aber keine Schwächen, und sind meine Entwürfe nicht groß, nicht menschlich genug, ihnen manchen tollen Kopf zu opfern, manche Unmenschlichkeit zu vergeben?“
„Deine Politik überrascht Europa“, erwiderte die Daschkow, „Frankreich und Oesterreich sehen sich durch dich getäuscht, indem du mit Friedrich dem Großen Hand in Hand gehst. Die katholischen Mächte sehen staunend, wie du die Dissidenten in Polen offen zu beschützen wagst, wie du diesem unruhigen Volke in Poniatowski einen König gibst, der dein gekrönter Sklave ist.“
„Mut ist alles, Katinka. Ich habe den Mut, der eine große Politik macht. Ich bin entschlossen, vorwärts zu gehen, ohne Rücksicht, ohne Erbarmen. Ich will Rußland vor allem groß machen. Die Fäden meiner Diplomatie spielen mit Erfolg nach allen Richtungen, meine Heere bedrohen zugleich Schweden, Polen, die Türkei und Asien. Ich will die Türken aus Europa jagen und Polen teilen: Mein Volk soll sich aus der Barbarei erheben. Große Reformen sind in das Leben getreten. In religiöser Duldung steht mein Reich obenan, der Handel, die Gewerbe blühen auf. Ich kenne das Uebel, das unseren Landbau hemmt und will es an der Wurzel anfassen, ich will die Leibeigenschaft aufheben, ich will Deputierte aller Stände, aller Völker meines Reiches nach meiner Hauptstadt berufen, damit sie ein neues Gesetzbuch schaffen, und diese Versammlung soll der Anfang eines Parlamentes sein.
Hat je ein Monarch dies alles freiwillig getan, wenn ihn keine Empörung dazu zwang?
Ich tue es, weil ich will, und dies gibt mir ein Recht, zu herrschen. Daß ich dies Recht so schwer erkaufen muß, ist das meine Schuld? Ich hasse Maria Theresia, weil es ihr so leicht gemacht wird, zugleich groß und tugendhaft zu sein. Kein starkes Herz kann ohne Liebe und Ehrgeiz leben.
Ich habe meinen Gatten gestürzt, getötet, weil ich mußte, weil ich ihn nicht liebte und weil ich herrschen wollte. Er konnte es nicht. Hätte er mir den Thron freiwillig geräumt, ich hätte ihn geschont. Ich habe einmal Blut vergießen müssen, um zu regieren, jetzt kann von etwas mehr oder weniger nicht mehr die Rede sein. Wer sich gegen mich empört, soll in den Kasematten meiner Festung verfaulen. Ich habe ein Recht zu herrschen, und ich will herrschen!“
Die Fürstin sah sie mit einem bedeutungsvollen Blicke an.
„Du glaubst wohl, Katinka, ich täusche mich über meine Lage“, fuhr die Kaiserin fort. „Ich schrieb einmal an Voltaire — wie gleich?“ — sie dachte nach.
„So war es: In der ungeheuren Ausdehnung Rußlands ist ein Jahr nur ein Tag, wie tausend Jahre vor dem Herrn. Dies meine Entschuldigung, daß ich noch nicht so viel getan habe, als ich sollte. Dazu die vielen rohen und widerstrebenden Elemente, die Unzufriedenheit aller jener, welche auf die Thronumwälzung ihre Hoffnung gebaut haben und sich getäuscht sehen, aller jener, die sich durch meine Reformen in ihren Interessen bedroht finden. Bis jetzt habe ich glücklich laviert, die Partei Orlow und die Partei Panin gegeneinander abgenützt, mir beide dienstbar gemacht, meine Mitschuldigen vor meinen Triumphwagen gespannt. Liegt nicht sogar Humor darin, wenn ich den Arzt, der dem Vater das Gift bereitet, zum Leibarzt des Sohnes machte?“
„Zum Leibarzt deines Sohnes, des Thronfolgers“, warf die Fürstin ein.
Die Kaiserin zuckte die Achseln. „Ich habe sogar aus dem Geliebten meinen Sklaven gemacht, und doch bedroht mich jeder Tag mit neuen schlimmen Zeichen. Als ich in Moskau festlich einzog, im kaiserlichen Hermelin, hat mich auch nur ein einziger Jubelruf begrüßt? Das Volk stand schweigend in den Straßen und staunte das Gepränge an. Die Garden bereuen ihre Tat, und diese ehrgeizige Priesterschaft, die ich mit den Waffen des Jahrhunderts bekämpfe, stellt mir diesen Popanz entgegen, diesen blöden Prinzen Iwan? Aber dieser Popanz hat zum Unglück Blut in den Adern, und ich werde dieses Blut vergießen müssen, gegen meinen Willen.“
„Aber wie?“ fragte die Daschkow mit reizender Naivität.
„Wie?“ Die Kaiserin versank in Nachdenken. „Wie? — das ist es. Auf dem Hermelin sieht man jeden Blutfleck abscheulich. Ich darf kein neues Blut vergießen.“
„Ist das nötig?“ dachte die kleine Fürstin mit den Spitzen spielend, welche den Schlafrock ihrer Herrin umsäumten. „Du wirst ihn liebenswürdig töten, ohne Aufsehen.“
„Meinst du? — Apropos — du siehst so blaß aus. Härmst du dich um deinen General in Polen? Soll ich deinem Gatten einen Urlaub geben?“
„Um Gotteswillen“, fiel die Daschkow lebhaft ein, die Hände flehend zu der Despotin erhoben, „du erschreckst mich.“
Die Zarin lachte und legte den Arm leicht auf ihren Nacken. „Hat Panin deine Schlinge noch fest um den Hals, meine Kleine?“
„Er wohnt mit mir in Gatschina.“
„Sehr gut. Du darfst ihn jetzt am wenigsten loslassen, Katinka, du mußt ihn unter deiner Aufsicht behalten. Der alte Geck hätte nicht übel Lust, meinen Sohn auf den Thron zu setzen, den Knaben Paul, und den Regenten zu spielen. Behalte ihn im Auge und — in der Schlinge.“
„Verlasse dich auf mich.“
Die Kaiserin