Dass sie ihn liebte, machte ihm den Gedanken doppelt schwer, aber er sagte sich, er hätte nicht mehr tun können, als was er in jener Nacht auf der kleinen Eisenbahnstation in den fernen Wäldern von Wisconsin getan hatte. Für ihn war vor allem ihr Glück der erste Beweggrund, und seine kurze Erfahrung mit der Kultur und den Kulturmenschen hatte ihn gelehrt, dass das Leben ohne Geld und ohne Stellung den meisten von ihnen unerträglich war.
Jane Porter war nun einmal für die Güter der Kultur geboren; hätte Tarzan sie diesem Manne weggenommen, so hätte er sie zweifellos in ein Leben gestürzt, das ihr elend und qualvoll erscheinen musste. Tarzans Gedanken schweiften aus der Vergangenheit in die Zukunft. Er versuchte, sich auf die Rückkehr in den Dschungel zu freuen, in den grausamen wilden Dschungel, in dem er geboren worden und wo er von seinen 22 Jahren 20 verlebt hatte. Aber welches von der Myriade Lebewesen des Dschungels würde ihn bei seiner Rückkehr willkommen heißen? Kaum eines! Nur Tantor, den Elefanten, konnte er seinen Freund nennen. Die anderen würden ihn verfolgen oder ihn fliehen, wie sie es früher getan hatten.
Nicht einmal die Affen seines früheren Stammes würden ihm ihre kameradschaftliche Hand entgegenstrecken.
Wenn die Kultur auch sonst nichts für Tarzan getan hatte, so hatte sie ihn doch bis zu einem gewissen Grade gelehrt, sich nach der Gesellschaft gleicher Wesen umzusehen und das Wohltuende der Kameradschaft zu schätzen. Es war ihm jetzt schwer, sich eine Welt ohne irgendeinen Freund zu denken, ohne ein lebendes Wesen, mit dem er sich jetzt doch durch die gelernten Sprachen so gut verständigen konnte. Und so kam es, dass Tarzan recht trübselig in die Zukunft schaute, die er selbst sich vorgezeichnet hatte.
Als er so, eine Zigarette rauchend, in Gedanken versunken da saß, fiel sein Blick auf einen Spiegel vor ihm, und darin sah er einen Tisch, an dem vier kartenspielende Männer saßen. Eben stand einer auf, um fortzugehen und dann näherte sich ein anderer, der sich höflich erbot, den leeren Platz auszufüllen, damit das Spiel nicht unterbrochen würde. Es war der kleinere von beiden, die Tarzan miteinander flüsternd vor dem Rauchzimmer angetroffen hatte.
Das hatte die Neugier Tarzans einigermaßen geweckt, und er konnte nicht umhin, im Spiegel das Bild der Spieler am Tische zu beobachten. Tarzan kannte nur den Namen eines der Spieler, nämlich desjenigen, der gegenüber dem neu hinzugekommenen saß. Es war der Graf Raoul de Coude, den ein zuvorkommender Steward ihm letzthin als eine der Berühmtheiten auf dem Schiffe bezeichnet hatte und der eine hohe Stellung im französischen Kriegsministerium einnehmen sollte.
Plötzlich wurde Tarzans ganze Aufmerksamkeit auf das Bild im Spiegel gelenkt. Der andere Dunkelfarbige, der wie ein Bösewicht aussah, war hereingekommen und stand hinter dem Stuhle des Grafen. Tarzan sah, dass er sich umdrehte und verstohlen umherschaute; sein huschender Blick ruhte aber nicht lange genug auf dem Spiegel, um Tarzans wachsame Augen zu entdecken. Heimlich zog der Mann etwas aus seiner Tasche, aber da er es mit der Hand bedeckte, konnte Tarzan nicht sehen, was es war.
Langsam näherte sich die Hand dem Grafen, um ihm das Ding, das sie enthielt, in die Tasche zu schieben. Der Mann blieb so stehen, dass er die Karten des Franzosen beobachten konnte. Das gab Tarzan zu denken. Er passte jetzt sorgfältig auf und ließ sich keine Einzelheit des Vorfalls entgehen.
Das Spiel ging danach noch etwa zehn Minuten weiter, bis der Graf dem, der zuletzt zum Spiel gekommen war, einen hohen Betrag abgewann. Dann sah Tarzan den Mann, der hinter des Grafen Stuhl stand, seinem Verbündeten zunicken. Sofort erhob sich der Spieler und zeigte mit dem Finger auf den Grafen.
Hätte ich gewusst, dass der Herr ein gewerbsmäßiger Falschspieler ist, sagte er, so wäre ich nicht so schnell bereit gewesen, mich in das Spiel hineinziehen zu lassen.
Im Nu sprangen der Graf und die beiden anderen Spieler auf.
Der Graf war erblasst.
Was wollen Sie damit sagen, Herr? schrie er. Wissen Sie, mit wem Sie sprechen?
Ich weiß, dass ich das letzte Mal mit einem spreche, der beim Kartenspiel betrügt, erwiderte der andere.
Der Graf neigte sich sofort über den Tisch und versetzte dem Mann eine Ohrfeige, ehe die anderen dazwischentreten konnten.
Da liegt unbedingt ein Irrtum vor, Herr! rief einer der anderen Spieler. Das ist ja der Graf de Coude.
Wenn ich mich irre, sagte der, der ihn beschuldigt hatte, so will ich mich gern entschuldigen, aber ehe ich das tue, soll der Herr Graf erklären, wozu er die falschen Karten braucht, die ich ihn in seine Seitentasche stecken sah.
Der Mann, den Tarzan beim Hineinschieben der Karten beobachtet hatte, suchte den Wortwechsel zu benutzen, um sich aus dem Rauchzimmer fortzuschleichen; aber zu seinem Ärger fand er den Ausgang von einem großen grauäugigen Fremden versperrt.
Sie entschuldigen, rief er, indem er versuchte, an ihm vorbeizuschlüpfen.
Warten Sie! sagte Tarzan.
Aber warum, mein Herr? fragte der andere ungeduldig. Gestatten Sie, dass ich vorbeigehe!
Warten Sie, sagte Tarzan, denn hier ist eine Sache zu regeln, die Sie zweifellos aufklären können.
Der Mensch hatte inzwischen seine Ruhe verloren und wollte Tarzan mit einem leisen Fluch zur Seite stoßen. Der Affenmensch aber lachte nur, als er den großen Kerl am Mantelkragen fasste und ihn an den Tisch zurückführte, obschon dieser sich fluchend und schlagend dagegen wehrte.
So machte Nikolaus Rokoff die erste Erfahrung mit den Muskeln, die Tarzan zum Siege über Numa, den Löwen, und Terkop, den großen Menschenaffen, verholfen hatten.
Der Mann, der de Coude beschuldigt hatte, und die zwei anderen Spieler sahen den Grafen erwartungsvoll an. Mehrere andere Passagiere waren infolge des Wortwechsels hinzugekommen und alle warteten auf den Ausgang.