Der weiße Tiger - Abenteuer aus aller Welt. Franz Braumann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Braumann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711968666
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ständig hungerten – ein Hokko-Vogel, eine Juba, krächzende, uralte Aras und einmal nur ein Veado, ein mageres, zartes Reh. Der Sertao entließ seine Bewohner nie aus der Drohung des Hungers!

      Eines Tages erschien in der Ferne ein blasser Höhenzug. Er lief von Südwest nach Nordost und schnitt die Linie ihres Vormarsches, die sie seit der Führung durch die Cavantes eingehalten hatten. „Die Serra do Roncador?“ fragte Bernd überrascht.

      „Es müssen die ‚Schnarchberge‘ sein“, Enrico zog sein Fernglas – er konnte nur eine eintönig hinlaufende Höhenwelle erkennen, kleine Felswände, Zacken, die nie eine Stadt hätten vortäuschen können. „Die Portugiesen haben 1743 phantasiert, als sie diese Berge zum erstenmal sahen!“ lachte Bernd bitter.

      „Sie kamen von Osten, wir aus Westen. Vielleicht fallen die Berge felsartig zum Rio das Mortes ab!“ warf Enrico ein.

      „Es gibt keine vorgeschichtliche Stadt dort drüben – alles abenteuerliche Märchen!“ Bernd redete sich diesmal in Zorn.

      „Wir suchen nicht die sagenhafte Stadt, die Parkins finden wollte; wir forschen nur nach ihm selber!“

      Bernd lag eine Entgegnung auf der Zunge. „Der Sertao hat ihn längst verschlungen“, wollte er widersprechen – da blieb er überrascht stehen. „Siehst du dort drüben vor den Bergen den Rauch!“

      Auch Enrico erkannte schwärzlichen Qualm hinter dem milchig dunstigen Schleier, der den Sertao bedeckte, seit der Banzeiro eingeschlafen war. „Wo Rauch ist, gibt es auch Feuer! Und Feuer kann nur von Menschen stammen!“ sagte er erleichtert. „Wir sollten von der Marschrichtung abbiegen und nach Südosten in Richtung des Rauches wandern!“

      „Du willst die Cavantes einfach aufsuchen?“ fragte Bernd betroffen. Er war nicht frei von Unbehagen vor den Wilden.

      „Wer sonst kann mir über Parkins Auskunft geben? Wenn die Indios wollten, hätten sie uns schon längst stillgemacht!“

      Bernd blickte um sich – das mannshohe Pampagras, das Dorngestrüpp hätte zu jeder Zeit ein Anschleichen der Indianer ermöglicht – falls nicht überhaupt das Land vor der Serra völlig menschenleer war!

      Sie markierten den Punkt ihrer Abzweigung von der Route auf der Karte. Jetzt hatten sie wieder ein Ziel, ein nahes, sichtbares Ziel! Ihr Interesse, ihre Lebensgeister erwachten neu.

      „Der Rauch breitet sich aus!“ stellte Bernd fest.

      Er nahm tatsächlich gegen Süden und Norden hin zu. Ein leichter Südwind wehte herüber – jetzt bekamen sie den ersten Brandgeruch in die Nase. Enrico wurde blaß.

      „Sie brennen den Sertao nieder!“

      Bernd lief bis zu einem niedrigen Dornbaum, von dessen Ästen er sich einen Ausblick über das hohe Grasmeer hinaus erhoffte. Er riß sich die Hände wund, bis er endlich oben stand. Als er das Fernglas an die Augen hob, lief ihm ein Schauder über den Rücken hinab.

      Soweit er den Sertao im Süden überblicken konnte, wogte eine schwarze, niedrige Rauchwolke auf und wälzte sich langsam aber unaufhaltsam gegen Norden. Der Brand fraß sich mit unheimlicher Breite in drohend düsterer Farbigkeit durch das gelbe Pampagras heran.

      Sie waren unwillkürlich wieder in die alte Marschrichtung eingeschwenkt. Der heimlich drohende, unangenehme Brandgeruch nahm zu. Er erfüllte beißend die Luft. Wo das Gras niedriger wurde und einen Ausblick freigab, konnten die Dahinhastenden jetzt schon deutlich im Süden aufzüngelnde Flammen sehen. Die Brandwolken hatten bereits den halben Himmel überwallt und verfinsterten die Sonne. Wie ein glutroter Ball flammte sie durch die grauen Schwaden, die in der Höhe über die Fliehenden hinhuschten. Aus dem hastenden Gang war ein keuchender Lauf geworden. Sie rannten an der Front der heranrollenden Feuerwalze entlang um ihr Leben.

      Enrico warf seine Traglast ab. „Wir müssen ein Gegenfeuer anzünden!“ Bernd verstand ihn sofort. Bei Camp- und Pampasbränden im Süden Brasiliens halfen sich manchmal die Hirten der großen Rinderherden, indem sie eine runde Campfläche niederbrannten und auf den verkohlten Platz die Tiere vor dem Feuer retteten.

      Das Feuer schoß im wachsenden Wind vor ihnen empor und breitete sich schnell gegen Norden aus. Die Glut des Bodens strahlte schwelende Hitze aus. Die Männer mußten zurückweichen und standen nun zwischen zwei Feuern.

      Sie hätten dieses Rennen verloren, wäre nicht der Südwind plötzlich eingeschlafen. Die Flammenfront im Süden rückte langsamer vor. Der Funkenflug sank ab – plötzlich fielen einzelne schwere Regentropfen, die zu einem schauerlichen Wolkenbruch anwuchsen. Blitze fuhren über den verdüsterten Himmel, Donner krachte. Das warme Regenwasser lief den Schutzlosen über Genick und Rücken hinab.

      Sie sammelten lachend die Wasserflut und tranken, tranken.

      Der Brand im Sertao lag drei Tage weit hinter ihnen. Die Serra do Roncador hatte sich in der Nähe als ein Hügelzug erwiesen, der quer gegen Osten hin von dicht mit Busch verwachsenen Tälern durchschnitten war.

      Die Reisenden wandten sich dem nächsten Einschnitt zu – sie suchten Wasser! Alles Interesse an sagenhaften Städten war erloschen vor dem Durst.

      Jetzt hatten sie endlich den Rand einer Senke erreicht! Der Busch stand so dicht, daß man keine Hand dazwischenschieben konnte. Und irgendwo weit unter ihnen – das Wasser!

      Enrico lächelte bitter. „Wer schlägt uns einen Pfad – ich kann es nicht mehr!“

      Bernd ließ sich nieder. „Schlafen wir doch, wo wir stehen; ich kann die Arme kaum mehr heben!“

      Doch da war der Durst – die Hoffnung, ihn zu stillen!

      Sie tasteten sich in der rasch sinkenden Dämmerung an der Wand der Büsche entlang – wozu nur –, hofften sie denn auf einen Pfad der Indianer? Sie hatten längst alle Vorsicht abgelegt. Als sie in ein Dorngestrüpp gerieten, das kein Ende mehr zu haben schien, blieben sie schließlich liegen. Sie schliefen fast im selben Augenblick ein.

      Vogelgeschrei weckte sie am Morgen. Vögel suchten stets die Nähe des Wassers! Die Schläfer fühlten sich gekräftigt und fingen an, sich einen Durchstieg in das harte Strauchgewirr zu schneiden. Sie erkannten, daß sie schnell tiefer kamen.

      Als Bernd einen Ast vor sich fortstieß, klatschte unter ihm Wasser auf. Es gab keinen offenen Wasserlauf; er war unter niedergesunkenen Bäumen und wuchernden Sträuchern erstickt. Das Wasser mundete herrlich kühl.

      „Ob es auch Fische gibt?“ fragte Bernd mit neu erwachtem Hunger. Sie warfen die Angel mit einem großen Käfer als Köder aus – ein blauschwarzer Fisch zappelte fast sofort daran.

      „Hallo, der Sertao, das Durstland, liegt hinter uns!“

      Schade nur, daß sie noch einmal das Wasser verlassen und durch das dornige Dickicht, das noch kein Dschungel war, einen Pfad schlagen mußten, damit sie überhaupt in einer Lichtung eine Stelle fanden, auf der sie sitzen und ein Feuer anmachen konnten!

      Draußen briet bald der Fisch über der Flamme. Von dieser Höhe über dem Wasser sahen sie weit über die flach ausschwingende Niederung hin. Kein Flußlauf, keine Lichtung im Busch!

      „Die große Mühe beginnt erst – wir werden uns noch den offenen geräumigen Sertao zurückwünschen!“ stöhnte Bernd.

      „Dafür fehlt uns nie das Wasser!“ tröstete Enrico.

      Und siehe, als sie gegen den Abend flußab wieder den Wasserlauf erreichten, landeten sie auf einer schmalen Praia mit schneeweißem, trockenem Sand! Ein Lagerplatz wie im Traum!

      Sie fingen sich Fische, soviel sie essen konnten; der Rauch des grünen Feuers vertrieb die Moskitos. Sie waren diesmal zu faul, das Zelt zu bauen, wühlten sich in den warmen Sand wie einst die Caboclos, wickelten sich in das Zelttuch und schliefen wie Götter. Keine Riesenschlange erdrückte sie in der Nacht, kein Ameisenheer fraß ihnen im Schlaf die Kleider vom Leib, wie es in „echten“ Abenteuerberichten vorgekommen sein sollte!

      Doch der Busch starrte ihnen am nächsten Morgen genauso abweisend entgegen wie am letzten Tag. Bernd