Der weiße Tiger - Abenteuer aus aller Welt. Franz Braumann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Braumann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711968666
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und von den Cavantes-Trägern verlassen an diesen Fluß gekommen war. Als ihn die Cahambas entdeckten, gab er sich als Doktor aus, der alle Wunden und Krankheiten heilen könne. Man nahm ihm darauf alles ab und behielt ihn bei sich. Er hatte mit Wundheilungen Glück. Eine schwere Infektion brachte ihn selbst vor zwei Monaten an den Rand des Todes. Er wurde gepflegt, seither ist er nicht mehr in Gefahr. Doch die Indianer wollen nicht, daß sie ihr guter Medizinmann verläßt. – Er zuckte die Schultern. „Ich war auch zu schwach, um zu fliehen!“

      Enrico nickte verstehend. „Und was halten die Cahambas von uns?“

      „Sie wollten euch vertreiben, aber nicht töten, wenn ihr sofort weitergezogen wäret. Ihre heimlichen Unterhaltungen machten mich aufmerksam – dann behauptete ich rasch, Ihr seid gekommen, mir Medizinen und Verbandzeug nachzuliefern. Da schickten sie mich zu euch – packt bitte einiges aus, damit meine Behauptung zutrifft!“

      Es war eine sonderbare Situation – drei weiße Männer, die unter den vielen beobachtenden Augen der unsichtbaren Cahambas Kopfschmerz- und Abführtabletten aus einer Hand in die andere reichten, Verbandmittel und Penicillin-Ampullen auf den weißen Sand stapelten.

      „Sie dürfen mich nicht bis zum Lager der Cahambas begleiten, Senhores – das mußte ich dem Ältesten versprechen. Sie wollen für immer verborgen bleiben und nichts mit den fremden Weißen zu tun haben.“

      „Sie kommen nicht mit uns?“ fragte Enrico fassungslos.

      Parkins zuckte die Schultern. „Ich würde es noch nicht schaffen, sieben oder zehn Tage, vielleicht noch länger zu Fuß unterwegs zu sein. Vielleicht ließen sie mich fort, wenn ich verspräche, wieder zurückzukommen. Die Cahambas vertrauen mir, und ich konnte ihr Leben studieren. Ich will bei ihnen bleiben – vorläufig.“

      Enrico Branco atmete tief und erregt. „Ich sehe das ein; wir besitzen weder ein Boot noch ein Flugzeug. Wir haben uns nur an diesen Fluß verirrt, und Sie retteten uns das Leben. Aber wir kommen wieder – bald!“

      Mac Parkins lächelte nachsichtig. „Erst müssen sie selbst aus der Wildnis des Sertao kommen. Es ist mir unbekannt, was Sie auf Ihrer Wanderung noch erwartet. Nach meiner Berechnung mündet unser Rio irgendwo in den Araguay. Viele Tagereisen weit liegen seine Ufer unbewohnt; sie sollten sich ein Floß bauen, später! Und übereilen Sie nicht meine Rettung – ich lebe im Schutz der Cahambas.“

      Sie trennten sich. Enrico Branco und Bernd Hoyer wanderten weiter, ohne einen einzigen Cahamba-Indianer gesehen zu haben.

      Zwei Monate später landete ein Hubschrauber der brasilianischen Luftwaffe mitten im Lager der Cahambas. Es gab einige Pfeilschüsse, und die entsetzten Cahambas tauchten im Dschungel unter. Mac Parkins tat es sehr leid, nicht von der ganzen Sippe freundlichen Abschied nehmen zu können. Er kehrte über Rio nach London zurück.

      Im Taigasumpf verirrt

      Die zwei Jäger hatten die erste Sattelhöhe des Gebirgszuges zwischen dem oberen Jenissei und dem Kemtschik-Fluß im Altaigebirge erreicht. Ein kalter Oststurm brauste um die steinübersäten Hänge, auf denen ein undurchdringliches Gewirr von niederen Bergerlen, von kniehohem Rosmarin, Thymian und Lavendel wucherte. Aus der Tiefe des Tales hatten diese Höhen völlig kahl ausgesehen – nun aber konnten die Jäger Michel Prank und Peter Semling nur schrittweise vorwärtskommen. „Vor uns liegt ein unübersichtliches Hochplateau statt des erwarteten Gebirgskammes!“ stellte Peter Semling enttäuscht fest. „Wir werden den Kemtschik-Fluß heute nicht mehr erreichen.“

      „Was tut es?“ Sein Begleiter zuckte mit den Schultern. „Wir tragen Zelt und Schlafsack mit uns und haben schon mehr Nächte in der Wildnis überstanden!“

      Die zwei Männer sprachen deutsch! Wie waren sie in die Wildnis des sibirischen Altaigebirges gekommen? Als sich bei dem letzten großen Krieg die Deutschen der Wolga genähert hatten, waren die zwei Millionen Wolgadeutschen nach Sibirien deportiert und in der unendlichen Weite dieses Riesenlandes verstreut angesiedelt worden – in Kasachstan, auf dem Ust-Urt-Plateau und am Oberlauf des Jenissei. In der damals noch „Autonomen Republik Tannu-Tuwa“ hatte man in den fruchtbaren Talsteppen einige zehntausend Bauern in riesigen Kolchosen festgesetzt. Peter Semling und Michel Prank hatten dies alles noch als Kinder erlebt – jetzt standen sie als Jäger auf Zobel, Nerz und Kabarga beim „Staatlichen Pelzmonopol“ im Dienst. Längst hieß nun ihre neue Heimat „Tuwinisches Autonomes Gebiet“.

      Soweit das Auge reichte, wogte die grüne Taiga Welle an Welle bis in wolkenverhangene Fernen. „Wir werden einige Tage zu wandern haben, bis wir zu unseren Bauern am Kemtschik absteigen können“, brummte Peter Semling. „Irgendwo soll ein alter Goldsuchersteig über dieses abflußlose Hochland führen. Wenn wir den finden, sind die Schwierigkeiten halb so schlimm.“

      Michel Prank hatte nur geringe Hoffnung, den sagenhaften Pfad zu kreuzen. In den Bergschluchten des Altai schwemmten noch heute mongolische Erzsucher Gold aus dem Flußsand. Es ging die Rede, daß da und dort gediegene Goldadern ans Tageslicht traten – aber wer solche fand, wurde dennoch nicht reich. Das staatliche Goldmonopol trat ja als alleiniger Abnehmer des Goldes auf.

      Die Jäger faßten nun einen markanten Punkt eines gegenüber der Senke liegenden kahlen Felsbuckels ins Auge, der für diesen Tag ihr Ziel werden sollte. Dann stiegen sie in ein unübersehbares, strauchüberwuchertes Sumpfgebiet hinab, in das von drei Seiten her die Wässer der anliegenden Höhen strömten. Bald gluckste zwischen hohen Rasenbüscheln schwarzes Wasser herauf. Die Männer sprangen von Büschel zu Büschel über die stillen, schwarzen Morastlöcher hinweg. Nach jedem Sprung quoll das Wasser unter ihren Füßen hervor. Wehe, wenn sie nicht sofort einen neuen Halt für ihren nächsten Sprung entdeckten! Dann tauchte der Rasen gurgelnd unter die schwarze Brühe und sank unaufhaltsam tiefer.

      „Achtung – ausweichen! Der Strauch ist dürr!“ Eintönig fielen die Warnrufe des Vorausspringenden. Nach und nach gewöhnten sich die Jäger an den schwankenden Boden unter den Füßen.

      Eine offene Sumpfpfütze mußte umgangen werden. Peter Semling schätzte die Ausdehnung jenseits der Büsche, die die Sicht nahmen. Rechts von ihm schien durch hohes Sumpfgras ein Übergang möglich. Der Boden gab unter ihm gurgelnd nach – er sprang rasch vorwärts und suchte mit den Augen den nächsten Aufsprung.

      Aber auch Michel Prank, der etwas zurückgeblieben war, hatte einen Durchgang entdeckt. Nun drang jeder für sich vorwärts. Sie entfernten sich dabei immer weiter voneinander. Als sich Semling später einmal umwandte, hatten sie bereits keine Verbindung mehr. Er sah nur noch weit entfernt hinter dichten Erlenbüschen den Freund von Rasen zu Rasen springen.

      Sollte er umkehren? Aber ein Blick zurück sagte ihm, daß die eingedrückten Rasenbüschel noch nicht wieder aufgetaucht waren. Das Wasser um sie herum hatte sich getrübt – ein Tritt daneben konnte ihn das Leben kosten! Es gab keine Wahl – er mußte vorwärts, vorwärts! Jenseits des großen Taigasumpfes mußten sie sich wohl wieder treffen.

      Jetzt rief Michel Prank zu ihm herüber: „Achtung, links halten! Vor dir liegt offener Sumpf!“

      „Jaaa!“ hallte Semlings Antwort aus der Weite des Sumpfes unter den schwarzen Erlen zurück. Später schien es ihm, als hätte Michel Prank noch einmal gerufen, aber er konnte im Windrauschen der Büsche um sich kein Wort mehr verstehen.

      Semling sah, daß sich zu seiner Linken, in der Richtung, aus der der Freund gerufen hatte, immer größere Tümpel ausbreiteten. Rechter Hand hingegen schien sich der Boden leicht zu heben. Als er mit weitem Sprung wieder über eine Moorlache schnellte, fanden seine Füße keinen festen Boden mehr. Mit den Händen krallte er sich an einen Weidenstrauch. Unheimlich schnell sackte er tiefer ab. Der Strauch neigte sich über ihn – es half nichts, daß er verzweifelt nach immer neuen Zweigen griff. Glucksend zog ihn der Moorschlamm hinab.

      Aus Leibeskräften brüllte er: „Herrgott, hilf! Hallo, Michel, ich sinke!“

      Die niedrigen Büsche um ihn, die mit ihren Ästen ins Wasser klatschten, verschlangen jeden Laut. Nicht einmal das Echo kehrte in dieser grausig drohenden Urlandschaft wieder.

      Peter Semling schlug wild um