Der weiße Tiger - Abenteuer aus aller Welt. Franz Braumann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Braumann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711968666
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fest.

      Enrico stand mit einem Satz auf den Beinen.

      „Dann sind sie…“

      „Fort – getürmt vor den Cavantes!“

      Enrico und Bernd blickten sich fragend an. Sollte dies das Ende der Suchfahrt nach Mac Parkins sein? Was blieb ihnen noch für eine Wahl, nachdem sie keine Träger, kein Koch, keine Bootbauer, keine Meister des Pfadschlagens im Dschungel mehr begleiteten? Denn einholen oder gar zur Umkehr zwingen ließen sich die Geflüchteten sicher nicht mehr!

      Enricos Gesicht verhärtete sich. „Wir geben nicht auf!“

      „Ich gehe mit!“ Bernd fand nicht mehr Worte in dieser Situation, die, an der dunklen Zukunft gemessen, ernst genug erschien.

      „Hallo, Enrico, auf! Wach schnell auf!“

      Als der Forscher herumfuhr, kniete Bernd gebückt neben ihm und starrte verstört in die Richtung der Lagune, die sie nach acht Tagen völlig erschöpft entdeckt hatten. Hätten sie den flachen Wassertümpel verfehlt, wäre wohl bald die Sonne zum letztenmal über die zwei Lebenden im trockenen Sertao heraufgestiegen. So aber hatten sie getrunken und wieder getrunken und wegen der Moskitoplage am Wasser ihr Zelt etwas abseits im dichten Dorngebüsch aufgestellt.

      „Hörst du sie – jetzt wieder!“ flüsterte Bernd.

      Von irgendwoher außerhalb der Lagune kam ein Gekreisch wie von den großen Aras im Dschungel des Rio Culuene. Der Lärm näherte sich – einzelne Rufe – menschliche Stimmen!

      Bernd hatte nach dem Gewehr gegriffen. Enrico fiel ihm in den Arm. „Was fällt dir ein – wir müssen ihnen unsere friedliche Absicht beweisen!“

      Das dichte Blätterwerk jenseits der Wasserstelle schob sich auseinander. Ein Kopf erschien, ein zweiter – bald wimmelte die Lagune von Indianern.

      Eine ganze Sippe schien sich auf dem Jagdzug zu befinden; die Männer trugen Speere und Bogen als Waffen mit sich. Die Frauen schleppten in geflochtenen Bastmatten ihre Säuglinge auf dem Rücken. Es war nicht zu erkennen, ob das Volk nur Wasser schöpfte oder sich häuslich niederlassen wollte.

      Die Cavantes fühlten sich völlig unter sich und ungefährdet, sonst wären sie nicht ohne Erkundung an die Lagune gekommen. Sie hatten keinen Blick für die Umgebung. Selbst das Zelt war ihnen entgangen. Sie schnatterten mit unverständlichen Lauten.

      Die zwei Lauschenden kauerten noch immer im offenen Zelt hinter dem Gitter der dornigen Büsche. Enrico horchte angestrengt, um einige Worte zu verstehen. Er hatte jahrelang Indianer-Idiome studiert und seine Doktorarbeit über sie geschrieben.

      In diesem Augenblick wurde es drüben still. Einige Indios beugten sich nieder – sie hatten die Abdrücke von Schuhen entdeckt!

      „Raggat, raggat!“ verstand Enrico aus dem Geschnatter.

      „Jetzt aber auf und hinaus!“ drängte Enrico Branco.

      Es war bereits die höchste Zeit. Die Cavantes formierten sich hinter einer Phalanx von Speeren und starrten auf das Zelt, aus dem eben Enrico geschnellt war. Er stand ohne Waffen und winkte mit beiden Händen. „Amigos – amigos! Freunde, Freunde sind wir!“

      Die Cavantes starrten verblüfft auf den Weißen. Ein einzelner „Großer“ im Sertao? Da schlüpfte auch Bernd aus dem Zelt – das weckte ihr Mißtrauen von neuem.

      Enrico wußte, daß es rasch handeln hieß, um den Überraschungsmoment auszunutzen. Wie gut, daß er stets in der Tasche eine Schachtel mit Nadeln und Klammern mit sich trug, wie es ihm der amerikanische Missionar am Rio Cujaba geraten hatte. Er trat aus dem Dickicht und hielt sie den Indios entgegen. „Ich vertausche das alles – was gebt ihr mir?“

      Die Kinder und Frauen waren wie ein Blitz verschwunden. Die Männer zögerten noch – kletterten noch mehr „Große“ aus dem Zelt? Bekleidete Weiße schienen ihnen nicht mehr fremd, nur gefährlich zu sein.

      Enrico hatte sich inzwischen den vorderen Cavantes genähert. „Amigos, amigos – bem, bem!“ versuchte er beruhigend einige portugiesische Wörter anzubringen. „Ich suchte euch schon lange, fragen will ich euch etwas – perguntar!“

      Ein alter Cavante, der ein paar Fetzen Kattun am Leib trug, wies auf ein Kreuz an einem Lederstreifen um den Hals. „Missao?“ fragte er. „Missao, bem – gut!“

      Er hielt Enrico für einen Mann der Mission – nicht des oft gefürchteten Indianer-Schutzdienstes –, das erleichterte die Sache. Branco ließ sich auf dem Sand nieder und bedeutete auch Bernd, es zu tun. Es konnte ihr Tod sein – ein Stoß aus zehn Speeren – vorbei! Aber Enrico wagte es – und überzeugte! Die erhobenen Speere sanken nieder, der alte Indio folgte seinem Beispiel.

      Bernd verstand kein Wort von der Unterhaltung, die jetzt begann. Ab und zu ließ Enrico eine Erklärung fallen: „Sie haben Mac Parkins gesehen – als Doktor bot er sich an –, er muß es gewesen sein! Nein – er ging nicht dorthin, sondern dahin!“

      Viele redeten jetzt durcheinander, fragten, forderten – der Fremde, der vor einem Jahr vorbeigekommen war, interessierte sie nicht lange. Sie wollten Geschenke – kaufen – tauschen!

      Enrico Branco wußte aus seinem Indianerstudium, daß es gefährlich war, unzivilisierten Indianern Geschenke zu verteilen. Sie wollten mehr, immer mehr, ihr Besitzhunger erwachte – und wenn es keine Geschenke mehr gab, rissen sie dem wehrlos ausgelieferten Weißen oder Caboclo die Kleider vom Leib; und wenn sie ihn nicht gar töteten, ließen sie ihn ausgeplündert liegen.

      „Ich verkaufe – was gebt ihr mir zum Tausch?“ Endlich konnte er sich mit einigen Worten verständlich machen.

      Sie brachten Lanzenspitzen zum Vorschein, Ketten aus Sykomorenkernen, sogar eine getötete Eidechse, die noch nicht gebraten war. Enrico feilschte lange zum Schein, ehe die Waren ihren Besitzer wechselten. „Sie müssen uns den Weg führen, den Parkins fortwanderte!“ raunte er Bernd zu. „Pack unauffällig das Zelt zusammen!“

      Das gelang nicht „unauffällig“ – er wurde bedrängt, auch dieses zum Tausch zu geben. Ein Cavante bot dafür Speer und Bogen. Bernd antwortete nur immer: „Nao bem – nicht gut!“ Sie verstanden ihn sicher nicht, höchstens seine deutliche Handbewegung.

      Enrico hatte es erreicht, daß ihm drei Cavantes den Weg zeigen würden, den Parkins gegangen war – gegen drei Taschenmesser mit Kunstharzgriffen.

      Lange begleitete sie der ganze Schwarm. Allmählich blieben die Cavantes zurück, als es nichts mehr einzutauschen gab. Die drei indianischen Führer gingen so rasch, daß die Forscher kaum mit ihnen Schritt halten konnten. Sie fanden Durchschlüpfe durch dornige Knüppelhecken, an denen sich die Weißen endlos mit dem Messer abgemüht hätten. So brachten sie eine Strecke hinter sich, die mindestens zwei früheren Tagesstrecken entsprach.

      Die Sonne lag auf einer fernen Bodenwelle, als die Cavantes anhielten und ihren Lohn begehrten. Enrico zahlte und fragte sogleich: „Bleibt noch einen Tag bei uns! Ich zahle doppelt!“

      Sie schüttelten die Köpfe. Wozu? Sie hatten, was sie erstrebten; mehr konnten sie sich nicht vorstellen. Enrico umarmte die „Freunde“ der Reihe nach; Bernd galt ihnen wahrscheinlich nur als Diener, und sie beachteten ihn nicht. Einige gezischte Laute, ein Rascheln im hohen Gras – der Sertao hatte sie verschluckt.

      Wieder lag der gelbe Sertao viele Tage ausgestorben da. Die Landkarte konnte längst nicht mehr stimmen. Es war unmöglich, auf ihr richtige Standorteintragungen durchzuführen. Wo es eine Lagune geben sollte, war nur dürres Land; wo eine Erhebung angedeutet war, lag der Boden platt wie eine Tenne.

      Und dennoch hatten sie bis jetzt Glück gehabt und nach mehreren Tagesmärschen jedesmal wieder Wasser gefunden. War es auch faulig und warm, sie hatten die Angst vor Infektionen verloren. Sie tranken nach einer ganz gewöhnlichen Filterung jedes Wasser. Der Proviant war längst zu Ende. Man hatte von vornherein geplant, daß man auch von dem leben wollte, was der Sertao hergab. Die Caboclos sollten täglich auf Jagd ausstreifen, während die Forscher ihre Eintragungen schrieben, Kartenmaße