So sich beklagend, schlug er einen Weg ein, der ihn nach London zurückführen sollte, und hier kam er durch den Wald von Broceliande. Als er traurig vor sich hin ritt, hörte er auf einmal zu seiner Rechten eine Stimme, er wandte sich dahin, sah aber nichts als einen leichten Rauch, der sich in der Luft verlor, durch den er aber doch nicht hindurch konnte. Und da hörte er die Stimme wieder, welche rief: »Gawin, Gawin, gräme Dich nicht, denn alles geschieht, was geschehen muß.« – »Wer spricht mit mir«, rief er, »und wer nennt hier mich beim Namen?« – »Wie? kennt Ihr mich nicht mehr, Herr Gawin, ehedem kanntet Ihr mich doch sehr wohl; so ist das Sprichwort doch wahr, welches sagt: Entfernst Du dich vom Hofe, so entfernt der Hof sich auch. Als ich dem König Artus diente und den Hof und die Barone besuchte, da war ich von allen gekannt und geliebt, jetzt aber werde ich verkannt und sollte es doch nicht werden, wenn Treue und Glaube auf Erden wäre.«
Da erkannte Gawin den Merlin und rief. »O Meister Merlin, jetzt erkenne ich Deine Stimme, komm aber hervor, ich bitte Dich, daß ich Dich sehe.« – »Nie wirst du mich sehen«, antwortete Merlin, »auch werde ich nach Dir mit keinem Menschen sprechen, und Du bist der letzte, der meine Stimme vernimmt; auch soll künftig niemand hier nahen, selbst Du wirst nie wieder hierher kommen. Ich kann nimmer hier hinaus, wie weh es mir auch tut, muß ich doch ewig hier bleiben; nur die, welche mich hier hält, hat Macht und Gewalt, ein- und auszugehen nach ihrem Wohlgefallen, und sie ist die einzige, die mich sieht, und mit mir spricht.« – »Wie«, rief Gawin, »mein lieber süßer Freund, bist Du so fest gehalten, daß Du niemals wieder loskommst? wie kann Dir, dem Weisesten der Menschen, solches begegnen?« – »Ich bin auch zugleich der Törichtste«, antwortete Merlin, »denn ich liebe eine andre mehr als mich selbst; ich lehrte meine Liebste, wie sie mich fesseln könne, und nun kann keiner mich befreien.« – »O«, rief Gawin, »dies macht mich sehr betrübt, und es wird auch den König Artus sehr betrüben, der Dich in allen Ländern suchen läßt, weswegen auch ich hier bin.« – »Er muß sich darin finden lernen«, sagte Merlin, »denn er wird mich nie wieder sehen, so wie ich ihn nicht. Jetzt reite zurück, grüße die Königin von mir, den König und alle Fürsten und Barone, erzähle ihnen, wie es mit mir steht; Du wirst den Hof zu Kardueil finden. Gräme Dich auch nicht wegen dem, was Dir begegnet ist; Du wirst der Jungfrau wieder begegnen, und sie wird Dich entzaubern; vergiß aber nicht, sie zu grüßen.« – »Nein, sicher nicht, so es Gott gefällt«, rief Gawin.
»Gehabe Dich wohl«, sagte Merlin, »der Herr segne und behüte den König und sein Reich, samt allen Fürsten, und auch Dich, Gawin; Ihr seid die besten Menschen, die jemals wieder auf Erden leben werden.«
Herr Gawin ritt halb traurig, halb fröhlich fort, denn obgleich es ihm lieb war zu hören, daß er entzaubert werden würde, war ihm doch sehr betrübt zu Sinne, daß Merlin so verloren sei. Er setzte wieder übers Meer, begegnete der Jungfrau, grüßte sie mit lauter Stimme im Namen Gottes und fühlte sich auf der Stelle entzaubert, indem sie ihm den Gruß wiedergab; ritt darauf heitern Mutes in seiner vorigen schönen Gestalt nach Kardueil, wo König Artus Hof hielt, und alle Großen und Fürsten des Landes um ihn her versammelt waren. Groß war die Trauer und das Leid, als Ritter Gawin erzählte, wie niemals jemand Merlin wieder sehen oder hören würde, und in welcher Gefangenschaft er immerdar bleiben müsse; und alle weinten, als sie vernahmen, wie er die Königin, den König und die Barone gegrüßt, und sie alle nebst dem ganzen Reich noch gesegnet.
Der Hexenmeister
(Heinrich Seidel)
Herr Zuckermahn
Winkelburg war eine sonderbare, alte, verschnörkelte Stadt. Die Hauptstraßen waren schon eng und krumm, allein die Nebengassen noch viel enger und krummer, und dabei liefen sie so sonderbar durcheinander oder waren plötzlich an einem Kanal mit trübfließendem Wasser zu Ende oder gingen in finstere Höfe als Sackgassen aus, daß Winkelburg für Fremde eine rechte Vexierstadt war und es lange dauerte, ehe sich jemand zurechtfand in allen diesen Kniffen und Sonderbarkeiten. Wunderliche, alte, düster Tore gab es dort, in denen es schmetternd hallte, wenn ein Wagen hindurchfuhr, und eine solche Versammlung von merkwürdigen, alten Giebelhäusern bestand wohl nicht zum zweitenmal in der Welt. Einige waren vorübergebeugt, als hätten sie auf der Straße etwas verloren und suchten es nun; einige hatten sich vornehm zurückgelehnt, als ginge sie die Welt nichts an, und andere wieder waren ein wenig seitwärts gegen ihr Nachbarhaus gesunken und schienen froh zu sein, daß sie auf diese Art am Umfallen verhindert wurden. In einigen Gassen waren nun gar die Stockwerke übereinander hinausgebaut, so daß sich die Häuser nach oben immer näher kamen und zuletzt der Himmel nur duch einen kleinen Spalt hineinblickte. Wenn sich da oben zwei gute Freunde gegenüber wohnten, da konnten sie sich die Hände reichen beim Gutenmorgensagen und der eine seine Pfeife an dem Fidibus des anderen anstecken. Welch eine Fülle von wunderlichen Erkern, sonderbaren kleinen Fenstern und abenteuerlichem Schnitzwerk, welche eine Unzahl von seltsamen Türmchen und Giebelchen und knarrenden Wetterfahnen, welch eine Menge von verschnörkelten Herbergsschildern und Zunftszeichen gab es in dieser Stadt! Wahrlich, wenn man in einer Mondscheinnacht durch diese schweigenden Straßen ging und alle die wunderlichen Giebel und Zacken schwarz gegen den hellen Himmel standen und hier ein helles Licht auf den grinsenden Fratzen der Balkenköpfe lag, dort so ein altes Haus wie ein grauliches Gesicht mit geöffnetem Rachen aus der Finsternis stierte, dann konnte man denken, dies alles sei nur hingezaubert und würde mit dem ersten Strahl der Sonne wegschwinden wie ein Traum.
In dieser Stadt lebte nun ganz allein in einem der allerwunderlichsten Häuser an der Stadtmauer ein alter Mann namens Zuckermahn. Über diesen Mann waren die sonderbarsten Gerüchte verbreitet. Man hielt ihn allgemein für einen Hexenmeister, und die Sage ging, daß er besser hexen könne als irgendeiner im ganzen Lande. Vor Zeiten, erzählte man sich, sei ein fremder Mann in einer vergoldeten Kutsche in die Stadt gekommen; es soll ein Graf gewesen sein. Im »Goldenen Löwen« hat er die besten Zimmer bewohnt. Der ist eigens wegen des Herrn Zuckermahn hergekommen, um von ihm das Hexen zu lernen. Für einen großen Beutel voll Gold – manche sagen, es sei ein Scheffelsack voll spanischer Dublonen gewesen, andere aber meinen, nur eine Geldkatze voll, wie sie die Viehhändler um den Leib tragen – für eine Menge Geld also hat sich der Mann auch bereitfinden lassen, den Fremden seine Künste zu lehren. Da haben sie denn tagelang in dem alten Hause zusammengesteckt, und wer dort vorbeigekommen ist, hat allerlei wunderliches Rumoren und Mauzen und näselndes Gesinge hervortönen hören. Zuweilen ist ein veilchenfarbiges Räuchlein aus dem Schornstein gestiegen, und dann hat es in der ganzen Gegend nach Narzissen und Hyazinthen gedurftet, ob es gleich mitten im Winter gewesen ist. Eines Abends hat das ganze Haus von innen heraus in einem roten Schein gestanden, so daß man gedacht hat, es brenne. Die Leute, die herzugelaufen sind, haben aber duch die Fenster mitten in der dunkelroten Glut Herrn Zuckermahn und den Fremden als zwei feurige Gestalten sitzen und brennenden Punsch trinken sehen, worüber sie