Manchmal leicht wie Sonnenschein. Fanny Hedenius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fanny Hedenius
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711464533
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      Ich war überhaupt nicht eifersüchtig. Ich war bloß froh, daß ich ein hochgestreckter Arm unter vielen war. Ich weiß ja, daß die Liebe bescheuert und unterwürfig und verzweifelt sein kann. Das habe ich gesehen, als Mama Papa geliebt hat. Aber ich war trotzdem ein bißchen enttäuscht, daß Loulou so eine merkwürdige und doofe Liebe braucht. Aber Loulou hat ja auch Platz für das Unerwartete. Sie ist auch dann noch sicher, wenn sie verzweifelt ist, und sie kann verliebt sein, obwohl sie sicher ist. Aber das kann ich vielleicht nicht. Oh je, daß man so gar nicht weiß, wie man werden wird! Ich will keine solchen Brüste wie Marta bekommen, und ich will nicht so lieben wie Mama. Aber wahrscheinlich kann ich es mir gar nicht aussuchen. Wahrscheinlich hat man bloß die Wahl, so sein zu wollen, wie man ist und stolz darauf zu sein, so wie Marta. Ich habe richtig gewählt. Dieses Mal jedenfalls. Ich bin froh über das, was mit meiner Liebe passiert ist, die ist nämlich verschwunden, als Kristian brüllte:“ Das war doch nur Spaß!“

      Ich werde Kristians Faxen nicht mehr bewundern, wenn er zum Rechnen an die Tafel muß. Ich werde nicht mehr glücklich sein, daß er ein Gummibärchen auf meine Bank legt, wenn er seinen Bleistift spitzen geht, damit er einen Grund hat vorbeizukommen. Und ich werde auch seine schönen starken Hände nicht mehr beobachten, wenn sie einen Schneeball formen. Das, was heute passiert ist, war größer und wichtiger als meine Liebe, aber Loulous Liebe war noch größer. Ich will sein, wie ich bin, nicht wie Loulou.

      Ich habe Mama den roten Streifen nicht gezeigt, aber ich habe ihr von ihm erzählt. Ich hätte sonst nicht verstehen können, wie alles so plötzlich passierte, als ob ich selbst gar nicht dabeigewesen wäre.

      Im Klassenzimmer wurde alles immer schlimmer und schrecklicher, aber ich saß bloß da und guckte ein „Å“ an und versank in einem Herzchen. Wie können so schreckliche Sachen einfach ablaufen und niemand kann sie stoppen?

      Die Tränen tropfen auf meinen Teller, die letzten Reste des Blaubeertörtchens lösen sich auf und verlaufen.

      „Daß ausgerechnet dir solche Sachen in der Schule passieren müssen. Du bist doch so gescheit und nett und vernünftig“, sagt Mama, und dann streichelt sie mir über den Nakken.

      Sie denkt nur an mich und nicht an Danja. Aber es tut auf jeden Fall gut, daß sie so etwas sagt. Wenn jemand sagt: „Du armes Kleines!“ bekommt man das Gefühl, daß man irgendwie jämmerlich ist, nur weil man Sorgen hat. Oder wenn jemand sagt: „Das wirst du schon schaffen, paß nur auf“, da hat man das Gefühl, daß man es nur nicht richtig versucht hat.

      Aber wenn Mama so etwas sagt wie eben, da kann ich groß und trotzdem traurig sein.

      „Es müssen immer so viele auf der richtigen Seite sein“, sagt Mama dann, „es müssen viele sein, die sich gegenseitig unterstützen, dann kann vielleicht manchmal etwas Gutes dabei herauskommen. Wenn Camilla keine beste Freundin hätte, die Åsa heißt, und die immer an sie glaubt und sie unterstützt, dann hätte sie vielleicht nicht den Mut gehabt zu glauben, daß man sie hören kann. Du hast heute nichts gemacht, aber du hast davor etwas getan. Für Camilla. Und die, die Camilla gewählt hat, die hat ihr auch Kraft gegeben.

      (Daß ich das nicht kapiert habe! Daß sie sich über eine einzige Stimme so freuen würde. Nicht mal seine beste Freundin kann man ganz und gar und durch und durch kennen.)

      Aber was ist mit Danja? Und morgen? Wie soll ich denn morgen in die Schule gehen? Aber das denke ich nur, das sage ich nicht zu Mama. Sie kann unheimlich gut zuhören und mir dabei helfen, zu verstehen, wie die Dinge gewesen sind. Aber sie hilft mir nie weiter, und sie sagt nie: „Du könntest dies oder jenes machen.“

      Sie ist ein Mensch, der nach innen schaut und nach rückwärts hört.

      Oh, mein Papa, komm nach Hause zu mir und schau mich an. Bring mir noch einmal das Schwimmen bei – in diesem überschwappenden und unberechenbaren Alltag! Ich kann nicht einschlafen. Im Zimmer ist es ganz schwarz. Die Dunkelheit ist formlos und unheimlich.

      Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört, daß ich nachts aufwachte, und die Dunkelheit gefährlich wurde und wegglitt. Ich schrie und schrie, und das Schreien wurde wie Dunkelheit. Es quoll aus mir heraus und legte sich über mich, und ich erstickte beinahe in der Dunkelheit und im Schreien. Und das Schreien und die Dunkelheit waren plötzlich ein und dasselbe: das Unbekannte.

      Dann kam Papa und nahm mich hoch. Er trug mich hin und her und summte ganz leise: „La, la, la, mein Kleines, la, la.“

      Schließlich hörte das Schreien auf, und die Dunkelheit legte sich in der Ecke zurecht und stattdessen kamen die Möbel hervor.

      Papa ging dann zum Fenster und schob das Rollo beiseite und zeigte mir, wie draußen die Straßenlaternen schienen. Die Straße und die Bäume waren noch da, und alles wurde wieder richtig. Dann brachte er mich wieder ins Bett und deckte mich fest zu. Da wußte ich dann, daß alles in Ordnung war, weil er es mir gezeigt hatte.

      Kleine Kinder geben sich ganz an ihre Eltern weg. Aber dann wollen die Kinder sich wieder zurückhaben. Papa hat mir die Welt so zurechtgelegt, daß sie wurde, wie sie sein sollte. Mama hat sie mir erzählt, damit ich sie verstand. Aber jetzt wollte ich bald meine eigene Welt haben. Gib mich mir zurück, Papa!

      Mit so einer Sehnsucht zu leben, das ist, wie mit einem unzuverlässigen Monster zu leben. Manchmal ist die Sehnsucht so zahm, dann ist sie fast wie eine Bekannte. Aber manchmal wächst sie und nimmt zu viel Platz ein. Da ist es dann schwer, mit ihr umzugehen.

      Und manchmal kann sie so schrecklich wie die Dunkelheit sein. Da ertränkt sie die Möbel und die Straßen und die Bäume und breitet sich aus, und es gibt nichts mehr außer ihr. So ist es, wenn man verlassen ist. Da hat man das Gefühl, als ob es niemanden mehr gibt, und als ob man sich nicht bewegen könnte, weil es einen selbst nicht mehr gibt.

      So wie ein Vogel zwei Flügel braucht, um fliegen zu können, so braucht ein Kind eine Mutter und einen Vater, um fliegen zu lernen. Ich habe eine Mutter und auch einen Vater, aber er ist in mir drin und macht mich stattdessen manchmal ganz schwer. Er nimmt zu viel Platz ein. Gib mich mir ein bißchen zurück, lieber Papa!

      Das Allerschlimmste, was man machen kann, ist zu versuchen, ihn auch von da drinnen wegzunehmen. Einmal hat meine Großmutter über meinen Papa gesagt: „Carl Johan hat einen großen Fehler gemacht, daß er eine so nette kleine Familie verlassen hat. Aber im Grunde ist es auch wieder nicht schade um ihn.“

      Da wurde ich sehr böse und traurig. Es war, als ob sie versuchen würde, mir ein langes Messer ins Herz zu stechen, um das Bild, das ich da von Papa habe, wegzukratzen. Und ich hatte fast das Gefühl, als ob es ihr auch ein bißchen gelungen wäre.

      Ich muß ihn da haben dürfen, auch wenn er manchmal nur Sehnsucht ist. Ich habe dann das Gefühl, als ob er mich auch in sich hätte, da drüben in Kalifornien. Manchmal kommt es mir vor, als ob ich durch ein unsichtbares Blätterrauschen liefe. Ich glaube dann, daß das Papas Sehnsucht nach mir ist, die ich nicht sehen kann. Gib mich mir zurück, ich sehne mich nach mir! Ich wollte mich dir nicht ganz und gar geben, du bist ja doch abgehauen. Du hast mich nur geliehen, du hast mich ja auch nur eine Zeitlang haben wollen.

      Wenn ich doch nur so einen Orientierungssinn wie Kristian hätte. Dann wüßte ich, wo ich langgehen muß. Was soll ich denn machen? Aber dieses ständige unsichtbare Blätterrauschen verwirrt mich.

      Ich stehe auf und ziehe das Rollo zur Seite. Die Straße und die Bäume sind noch da, obwohl es jetzt eine andere Straße ist und andere Bäume sind. Wir sind ja umgezogen seit der Zeit, wo ich so klein war, daß ich zum Fenster getragen werden konnte. Ich stehe lange am Fenster und schaue hinaus. Alles wird wieder richtig.

      Als ich wieder ins Bett zurücktapse, ist alles wieder an seinem Platz, so, wie es sich gehört.

      Aber auf meinem Nachttisch liegt eine kleine, schmale Sehnsucht, sie hat genau die richtige Größe, und sie gehört nicht zu meinem bisherigen normalen Leben. Und sie ist nicht unsichtbar. Ich mache das Licht an, weil ich das Rot noch einmal sehen will. Es ist nicht richtig rot, nur fast. Irgendwas zwischen rot und rosa.

      Es gibt also einen Jungen, der mich so sehr mag, daß er den Mut hat, das Schlimme, das