Manchmal leicht wie Sonnenschein. Fanny Hedenius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fanny Hedenius
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711464533
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den Mund und sagte: „Nein ... nee ... ach so!“

      Nach einer etwas zu langen Weile drehte er sich zu uns um, und er sah aus, als ob alle Heimlichkeiten zusammen mit der Lebenskraft aus ihm herausgelaufen wären. Er hatte ein ganz graues Gesicht. Er nahm die Brille ab, damit er uns nicht sehen mußte, und dann hat er Agnes aufgerufen, daß sie nach vorne kommen und die Stimmen auszählen soll.

      Sobald Agnes vorne war, haben alle sie angeschaut und den armen Göran vergessen. Sie ist groß und breit, und sie bewegt sich langsam und sicher. Aber sie hat manchmal schreckliche Launen. Sie schaute die ganze Zeit mit ihren kleinen, hellen, klaren Augen auf uns herab. Ihre Augen liegen sehr tief unter den Augenbrauen, und um diese kleine, helle Stelle haben sie einen fast schwarzen Ring, fast so, als ob das forschende Licht irgendwie zusammengehalten werden müßte. Ihre braunen Haare sind knapp unter den Ohrläppchen gerade abgeschnitten, und sie liegen ganz glatt an.

      Agnes nahm den ersten Zettel.

      Ich war unheimlich gespannt, aber eigentlich nur, weil die anderen auch so gespannt waren.

      Sie las: „Danja.“

      Berit kontrollierte den Zettel, und Agnes schaute uns alle sehr prüfend an, als ob sie vielleicht sehen könnte, wer den Zettel geschrieben hat.

      Danja ist Türkin. Sie hat kurze, schwarze Haare und paßt überhaupt nicht als Lucia, sie ist nämlich außerdem noch ständig sauer, wütend und gemein. Aber niemand sagte einen Pieps, und Agnes schrieb „Danja“ an die Tafel und machte einen Strich hinter den Namen.

      Dann kamen zwei Zettel mit „Loulou“ und einer mit „Camilla“. Loulou machte ein Gesicht, als ob sie in aller Ruhe an Kristian denken würde, aber Camilla hat sich so gefreut, daß sie einen ganz roten Nacken bekam, und auch das sommersprossige Stück, das man von ihrem Rücken sieht, wurde ganz rot. Sie drehte sich zur Wand, es war also das einzige, was ich von ihr sehen konnte.

      Berit kontrollierte und Agnes schrieb „Loulou“ an die Tafel und machte zwei Striche dahinter. Dann schrieb sie „Camilla“ und machte auch dahinter einen Strich. Dann kam ein Zettel, auf dem gar nichts stand, sagte Agnes. Aber diejenigen, die genau aufgepaßt hatten, als sie ihn aufgewickelt hatte, hatten gesehen, daß ein roter Papierstreifen auf den Boden gesegelt war. Berit hob ihn schnell auf und drehte und wendete ihn. Sie sagte, daß nichts drauf stünde und warf ihn weg. Aber da Agnes sehr genau ist, wenn sie das Sagen hat, hob sie also den schmalen, roten Zettel noch einmal auf und schaute ihn noch einmal genau an. Sie schaute mich so direkt mit ihren forschenden Augen an, daß ich mich weder wegdrehen noch auf die Nase der Saigaantilope konzentrieren konnte. Dann lächelte sie mich freundlich an, wie eine richtige Lehrerin und sagte, ohne neidisch zu sein oder mich ärgern zu wollen:

      „Da steht nur ein ‚Å‘ drauf, und daneben ist ein kleines Herzchen gemalt.“

      Dann kam sie bis zu meinem Platz und gab mir den Zettel, damit ich selbst sehen konnte. Als sie wieder an der Tafel war, schrieb sie „Åsa“ dran und machte einen Strich.

      Der schmale, rote Zettel lag auf meiner Bank.

      Er war in ein Stimmzettelpaket eingewickelt gewesen, und sowohl Berit als auch Agnes hatten an ihm herumgefingert, aber er leuchtete trotzdem und tanzte vor meinen Augen, und das kleine Herz stand ganz eng beim „Å“.

      Jemand mußte ihn schon vorher zurechtgemacht haben und ihn dann in den Stimmzettel geschmuggelt haben, wir hätten doch sonst gesehen, wie er ihn geschrieben hat. Und es war auf jeden Fall nicht Kristian, ich habe mich nämlich umgedreht und gesehen, wie er einen Namen auf seinen richtigen, weißen Zettel schrieb.

      Ich dachte so intensiv über meinen merkwürdigen Zettel nach, daß ich erst nach einer ganzen Weile wieder hochschaute. Und da merkte ich, daß etwas nicht stimmte.

      An der Tafel standen zwei neue Namen, „Agnes“ mit vier Strichen und „Ann-Katrin“ mit einem Strich. Ann-Katrin hat sich sicher selbst gewählt, niemand anders kann sie gewählt haben, sie spinnt nämlich. Berit und Ria hatten jede einen Strich bekommen, sie haben sich sicher gegenseitig gewählt, das machen sie immer. Loulou hatte sieben Striche.

      Aber das, was nicht stimmen konnte, war, daß Danja zehn Striche hinter ihrem Namen hatte.

      Sie sah völlig verwirrt aus. Sie hatte überhaupt nicht mehr ihr kleines Steingesicht, das alle immer nur verschlossen und wütend anstarrt. Sie konnte nicht stillsitzen, sie drehte sich die ganze Zeit um und schaute einen nach dem anderen an, um herauszufinden, wer sie nett anschaute und gewählt hatte. Aber Agnes sah sehr besorgt aus. Sie schaute Danja traurig an und sagte mit leiser Stimme: „Danja ist Lucia geworden.“

      Da ging es auf einmal los mit Hurra und Gelächter und Geklatsche. Die Jungens haben sich sehr über ihren gelungenen Scherz gefreut.

      „Was soll das?“ schrie Agnes so wütend, als ob sie verhöhnt worden wäre.

      „Das war doch nur Spaß!“ brüllte Kristian.

      Danja stand auf und schlug die Hände vors Gesicht. Sie stolperte und stieß überall an. Wir schauten alle zu ihr, sie sah aber nichts und stieß noch einen leeren Stuhl um, ehe sie draußen war.

      Göran, der die ganze Zeit abwesend mit hängenden Armen dagestanden hatte, wachte plötzlich auf und rannte ihr hinterher.

      Ausgerechnet Camilla, die ängstliche Camilla, wurde so unglaublich wütend. Sie ist richtig gewachsen und hat sich sozusagen selbst ausgefüllt. In dem Moment brauchte man nicht darüber nachzudenken, ob sie Licht oder Schatten war, sie war nur noch Hitze.

      Daß die Sanftmut in Person so schimpfen und schreien kann!

      Und wie sie die Jungens beschimpft hat! Daß es nur so krachte! Daß sie den Mut hatte! Sie ist nämlich sonst so schüchtern, weil sie glaubt, daß kein Junge sie mag. Aber jetzt sprang sie mit beiden Beinen in die Arena. Wenn bloß Danja sie gehört hätte!

      Es gab ein fürchterliches Tohuwabohu im Klassenzimmer, und Marta kam angerast und fragte, was los ist.

      Agnes stand immer noch steif und aufrecht an der Tafel, die zerknitterten Zettel waren auf dem Pult verstreut.

      „Wir wählen eine Lucia“, flüsterte sie.

      „Und wo ist Göran?“

      „Draußen.“

      Marta kann furchtbar giftig und böse sein, wenn sie will. Und sie wollte. Ihre unglaublichen Brüste kamen in Bewegung und wogten, und sehr bald war alles wieder ruhig.

      „Ich habe jetzt keine Zeit mehr für euch, ich habe schließlich eine eigene Klasse. Ihr bringt das jetzt bitteschön selbst in Ordnung. Und zwar sofort. Und wenn ich noch einen Mucks höre, dann könnt ihr was erleben!“

      Als Marta gegangen war, drehten sich alle zu Agnes um.

      „Alle, die der Meinung sind, daß Loulou die Lucia sein soll, heben jetzt die Hand“, sagte sie klar und bestimmt.

      Da haben alle außer Loulou und Kristian die Hand hochgestreckt.

      Die saßen bloß da und schauten sich verliebt an.

      Wie konnte sie bloß! Wie konnte sie Kristian noch mögen, nachdem er doch schuld war, daß alle sich schämen mußten. Es schämten sich auch alle außer ihm. Er schaute fröhlich und triumphierend Loulou an. Es sah aus, als ob es die schreckliche Spannung, die Tränen und den Krach wert war, daß er jetzt so zusammen mit Loulou in einer Lichtung saß, um sie herum ein Wald von hochgestreckten Armen. Wenn er sie Loulou hätte wählen lassen, wie sie alle von Anfang an wollten, dann wäre er jetzt nicht mit ihr allein gewesen. Er tat nämlich so, als ob er an der Idee mit Danja als Lucia festhalten würde. Aber er hatte sich ja doch nicht ausrechnen können, wie es ausgehen würde. Es gibt Menschen, die genau wissen, was sie machen müssen, damit sie das bekommen, was sie wollen. Das ist so eine Art Orientierungssinn, der ihnen den Weg zeigt, und es ist ihnen auch völlig egal, was sie alles niedertrampeln müssen, um ans Ziel zu kommen.

      Aber Loulou freute sich nicht. Sie war kreideweiß und ganz steif. Sie war irgendwie verzweifelt, aber auch verliebt. Das konnte man sehen, vor