Manchmal leicht wie Sonnenschein. Fanny Hedenius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fanny Hedenius
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711464533
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ihr also zeigen, daß etwas nicht in Ordnung ist, von alleine merkt sie das nie.

      Sie stellt ein Brett mit Mehl und Butter vor mich auf den Tisch. Ich mache einen Kuchenteig. Es soll Blaubeertörtchen zum Nachtisch geben. Ich sage nichts, ich höre auch Mama nicht zu. Aber es macht Spaß, die Butterstückchen und das Mehl zu einem Teig zusammenzukneten, aus dem man eine Kugel formen kann. Mama stellt ihn in den Kühlschrank. Wenn er eine Weile geruht hat, kann man ihn besser in die Form drücken.

      Das würde ich auch gerne mit der Wirklichkeit machen. Ich will nicht, daß alles, was heute passiert ist, nur so in meinem Kopf herumwirbelt und ich es nicht fassen kann – wie Mehl, das staubt, und Butter, die klebt.

      Ich möchte alles zu einem schönen festen Kloß zusammenkneten, mit dem ich umgehen kann und den ich formen und mit den Händen fassen kann.

      Nicht alles, was passiert, ist so, daß „es rumort“. Das meiste kapiert man ja sofort, glaubt man wenigstens, und dann kann man es vergessen oder im Gedächtnis behalten, wie man will.

      Aber das, was heute passiert ist, gehört typisch zu den Sachen, die ich nicht verstehe, wenn sie passieren.

      Ich konnte ja nichts dafür.

      „Was meinst du, soll ich das blaugeblümte Kleid und die Silberhalskette anziehen? Und ihr, Åsa, macht ihr kein Luciafest?“

      „Nein!“

      Ich konnte erst erzählen, als wir die Fischstäbchen, den Spinat und die Kartoffeln gegessen hatten.

      Es war so:

      Ich habe „Loulou“ auf meinen kleinen Zettel geschrieben und ihn viermal längs und einmal quer zu einem kleinen Paket zusammengefaltet. Göran kam sofort zu meiner Bank und hielt mir den grauen Plastikpapierkorb hin. Es waren schon einige zusammengefaltete Stimmzettel drin. Ich fand, daß es sehr spannend war. Oder besser gesagt, man konnte die Spannung in der Luft spüren. Aber eigentlich war Loulou ja wie geschaffen als Lucia.

      Sie ist die einzige, die richtig hübsch ist, und ich weiß gar nicht, woran das liegt. Sie hat eine ganz normale Nase, normale Augen, noch dazu blaue, einen gewöhnlichen Mund und lange, blonde Haare wie ich.

      Aber sie hat auch etwas Unerreichbares, etwas Geheimnisvolles, man will sie die ganze Zeit nur anschauen. Und ihr Gesichtsausdruck sagt: „Ich bin Loulou.“ Die anderen haben Gesichter, die sagen: „Ich wäre gerne wie ... wie ... Loulou zum Beispiel.“

      Sie wirkt auch dann noch sicher, wenn sie nachdenkt.

      Und früher wollte ich auch wie Loulou sein. Bis heute. Ich hätte natürlich auch „Camilla“ auf meinen Zettel schreiben können. Sie ist nämlich meine allerbeste Freundin. Aber das war nicht nötig, weil Camilla nichts dran liegt, Lucia zu werden, hatte ich gedacht.

      Aber sie hat ein Geheimnis.

      Einmal, als ich bei ihr übernachtet habe, hat sie erzählt, daß sie eigentlich anstelle eines anderen Mädchens auf der Welt ist. Sie hat Anna Helena geheißen und ist mit zwei Jahren gestorben.

      Aber ihre Mutter wollte so schrecklich gerne das tote Kind zurückhaben. So schnell es ging, wurde sie wieder schwanger. Aber das Kind war ja nicht Anna Helena. Das Kind war nur Camilla.

      Camilla will nicht wie Loulou sein, sie will wie Anna Helena sein.

      Will sie das nur, um ihrer Mutter zu gefallen?

      Das ist kein solches Geheimnis, über das man miteinander tuschelt, damit die anderen neugierig werden und es auch wissen wollen. Es ist ein richtiges, echtes Geheimnis. Camilla wird auch anders, wenn man es weiß.

      Ich sehe jetzt immer die kleine Anna Helena wie ein schwaches Licht hinter Camilla, und ich mag sie noch lieber. Und die, die sie nicht mögen, könnten vielleicht Anna Helenas Schatten sehen, wenn sie es wüßten.

      Deswegen bin ich ja so froh, daß sie sich getraut hat, es mir zu erzählen, und darauf vertraut hat, daß ich sie deswegen noch mehr und nicht weniger gern haben würde.

      Ich erzähle es nicht einmal Mama, obwohl niemand uns zuhört, nur sie und ich sitzen in der Küche und reden beim Nachtisch miteinander.

      Aber ich muß gerade jetzt daran denken. Es ist schön, vor Mama ein Geheimnis zu haben, auch wenn es nicht richtig mein eigenes ist. Ich habe fast keine Geheimnisse. Ich habe nur diese großen Steine im dunklen Wasser, das, was ich spüren, aber nicht sehen kann. Und das ist ja kein Geheimnis. Das ist viel zu gut aufgehoben.

      Mein Geheimnis, das, was ich bisher hatte, war, daß ich in Kristian verliebt war. Und das war leider auch überhaupt kein Geheimnis, weil man es gemerkt hat. Ich mußte ertragen, mich ständig deswegen aufziehen zu lassen.

      Aber ich habe es nicht ertragen.

      Da wäre die Nase von der Saigaantilope praktisch gewesen. Die hätte den ganzen Unsinn auffangen können. Ich bin nämlich immer so wahnsinnig wütend geworden, wenn diese idiotischen Scherze in meine Lungen kamen, ich habe immer gedacht, ich müßte ersticken, und habe gezischt: „Glaubt ihr vielleicht, daß ich in diesen häßlichen, dummen, fetten Kerl verliebt bin?“

      Das war so dumm, daß alles nur noch schlimmer wurde, denn Kristian ist ja weder häßlich noch dumm noch fett.

      Ich hätte mit erhobenem Kopf sagen müssen: „Kristian? Ach der! Doch, der ist ganz nett.“ Das würde nämlich Loulou in so einer Situation sagen.

      Nein, Camilla braucht meine Luciastimme nicht. Sie muß keine Lucia werden, sie muß immer mehr Camilla werden.

      Es war totenstill im Klassenzimmer, als alle ihre Stimmzettel abgegeben hatten. Besonders die Jungens machten den Eindruck, als ob sie sehr gespannt wären.

      Das war fast ein bißchen merkwürdig, denn so etwas Besonderes ist es ja schließlich nicht, eine Lucia zu wählen. Wir hätten eigentlich genauso gut sagen können:

      „Loulou ist unsere Lucia.“

      Als Göran gerade den Papierkorb mit den Stimmzetteln aufs Pult gestellt hatte, klingelte das Haustelefon.

      Das passiert neuerdings ziemlich oft. Göran dreht uns den Rücken zu, wenn er drangeht, aber wir hören trotzdem, was er sagt. Deswegen sagt er immer nur: „Jaa ... ja ... jaa!“

      Und wenn er sich dann umdreht, ist er bis zum Hals voll mit Heimlichtuerei. Das hätte er wohl gern!

      Als ob wir Analphabeten wären! Als ob wir nicht an seinem Gesicht ablesen könnten, daß Marta übers Haustelefon angerufen hat. Marta ist die Klassenlehrerin der Parallelklasse, und sie ist unheimlich toll, aber auf eine sehr eigene Art, das muß man schon sagen.

      Sie ist klein und hat einen ziemlich dicken Hintern. Ihre Haare sind lang und dunkel und geflochten, und sie hat sie wie zwei Ohrenschützer rechts und links am Kopf aufgesteckt. Sie hat eine runde Brille mit schwarzem Gestell, eine Stupsnase, Sommersprossen und riesige Brüste.

      Wenn ich solche Brüste hätte, würde ich mich schämen. Marta schämt sich nicht. Sie rückt sie bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten ins rechte Licht. Wenn sie zum Beispiel in unser Klassenzimmer kommt, um etwas zu besprechen, dann beugt sie sich vor und legt sie auf Görans Pult. Oder sie verschränkt die Arme und hebt sie. Als ob man sie nicht so schon genug sehen würde! Das würde ich nie machen! Und hoffentlich kriege ich keine solchen Brüste!

      Aber lieb ist sie und wahnsinnig nett, und in ihrer Klasse machen sie immer ganz tolle Sachen. Manchmal scheint Göran etwas von ihr zu lernen, und dann machen wir die gleichen Sachen, aber immer ein paar Tage später.

      Vor einiger Zeit hat sie mal eine Weile überhaupt nicht mehr angerufen, und sie ist auch nicht ins Klassenzimmer gekommen. Da war Göran völlig unmöglich. In Bio sind wir nur nach dem Buch vorgegangen, oder wir mußten den ganzen Tag still lesen, oder wir mußten den Trimmpfad viermal hintereinander laufen, nur weil ihm nichts eingefallen ist.

      „Das darf doch nicht erlaubt sein, einen solchen Unterricht zu halten“, hat Camillas Mutter am Telefon zu meiner Mutter gesagt. Aber was will man machen, wenn er so down ist? Und Marta ist verheiratet.