Nein, nein, nein! hämmerte es in ihrem Kopf. Aber der Rausch war stärker. Vergessen waren in diesem Augenblick alle Bedenken, die sie eben noch gehabt hatte.
Endlich machte sie sich frei und sah ihn an.
»Bitte, tu’s nie wieder«, flüsterte sie.
»Doch«, widersprach er. »Immer wieder!«
Erneut näherte sich sein Mund dem ihren, und Saskia konnte nicht anders, als es zuzulassen. Dann hatte sie plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden und riß sich von ihm los.
An der Ecke der Hütte war nichts zu sehen. Sie atmete auf, überzeugt davon, daß ihr verbotenes Tun unbeobachtet geblieben war.
Doch schon auf der Terrasse meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Saskia suchte nach Anzeichen, daß Kathi vielleicht doch etwas mitbekommen hatte, aber die Freundin zeigte es nicht. Immerhin gab sie sich schweigsam, so daß die Studentin unsicher war, ob die Freundin es nun wußte oder nicht, daß sie von ihrem Freund mit der besten Freundin hintergangen worden war.
Nachdem sie lange darüber nachgedacht hatte, stand Saskia auf und ging aus dem Zimmer. Sie klopfte an Kathis Tür und rief leise deren Namen.
Die Bauerntochter antwortete nicht. Erst als Saskia heftiger klopfte, öffnete sie.
»Was willst du?« fragte sie.
Die Studentin konnte deutlich sehen, daß die Freundin geweint hatte.
»Ich möcht’ mit dir reden«, bat sie.
Doch Kathi schüttelte den Kopf.
»Aber ich net mit dir«, erwiderte sie. »Was ich gesehen hab’, reicht mir. Ich muß es net auch noch hören.«
Damit schloß sie ihre Tür, und Saskia stand wie ein begossener Pudel davor.
Die halbe Nacht schlief sie nicht, sondern machte sich Vorwürfe, daß sie sich dazu hatte hinreißen lassen, Florian zu küssen, anstatt sich seinem Annäherungsversuch zu widersetzen. Erst gegen Morgen schlief sie ein, aber da klingelte schon bald wieder der Wecker.
»Du weißt genau, was los ist«, antwortete die Freundin jetzt auf ihre Frage. »Und ich will net mit dir reden! Hast das verstanden?«
Mit diesen Worten schob sie Saskia beiseite und schloß die Badezimmertür hinter sich.
Die Studentin kehrte in ihr Zimmer zurück, setzte sich auf das Bett und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt.
*
Pfarrer Trenker stellte sein Auto auf dem Parkplatz des Krankenhauses ab und betrat die Eingangshalle. Wie immer herrschte hier ein ständiges Kommen und Gehen. Patienten, die nicht bettlägerig waren, spazierten umher, begrüßten oder verabschiedeten Bekannte und Angehörige. Schwestern und Ärzte eilten geschäftig hin und her, und vor dem Kiosk, an dem man Zeitschriften und Romane, Süßigkeiten und kleine Mitbringsel kaufen konnte, hatte sich eine Schlange gebildet.
Sebastian trat an die Rezeption und erkundigte sich nach Alois Brandhuber.
Die Frau hinter dem Tresen gab den Namen in ihren Computer ein und lächelte den Geistlichen, den sie von früheren Besuchen her kannte, freundlich an.
»Im dritten Stock, Hochwürden«, sagte sie. »Auf der Inneren, Zimmer zwölf.«
Der Bergpfarrer bedankte sich für die Auskunft und fuhr mit dem Aufzug nach oben. In der Abteilung für innere Medizin war er schon öfter gewesen und kannte sich aus. Er ging zum Schwesternzimmer und klopfte an die Tür.
»Grüß Gott«, sagte er. »Ich möcht’ zum Herrn Brandhuber.«
Die junge Schwester erwiderte seinen Gruß.
»Schön, Sie mal wieder zu sehen, Hochwürden«, lächelte sie erfreut. »Ich hab’ schon mit Ihrem Besuch gerechnet, nachdem ich erfahren hab’, daß der Patient aus St. Johann stammt.«
»Wie geht’s ihm denn?«
Schwester Hanna wiegte den Kopf.
»Na ja, er ist erstmal stabil. Ich würd’ sagen, die Rettung kam in letzter Sekunde. Aber gehen S’ doch zu ihm. Dr. Winkler ist grad bei ihm drin.«
Sebastian nickte ihr dankend zu und ging zu den Patientenzimmern weiter. Er klopfte an die Tür der Nummer zwölf und öffnete sie.
»Darf ich schon hereinkommen?« fragte er.
Der Stationsarzt stand an einem von drei Betten. Der Brandhuber lag darin, die beiden anderen schienen nicht belegt zu sein.
»Freilich, Hochwürden«, sagte er. »Ich bin ohnehin fertig.«
Sebastian trat ein und schaute Loisl an, der wie ein Häufchen Elend in seinem Bett lag. Er war an Apparaturen angeschlossen, die seine Werte maßen und an die Kontrollgeräte im Überwachungszimmer weitergaben.
»Ich weiß, daß Sie mir eigentlich keine Auskunft geben dürfen«, bemerkte der Geistliche, »aber...«
Der Arzt nickte.
»Wenn der Herr Brandhuber einverstanden ist – kein Problem.«
Der selbsternannte Wunderheiler hob den Kopf und nickte ebenfalls.
»Tja, unser Kollege, Dr. Wiesinger, kam in buchstäblich letzter Sekunde«, erklärte der Arzt. »Herr Brandhuber hatte doch keinen Schlaganfall, aber er muß mehrere Tage bewußtlos in seiner Hütte gelegen haben. Es ist beinahe ein Wunder, daß es ihm schon wieder so gutgeht. Seine Lage war wirklich lebensbedrohlich, weil der Flüssigkeitshaushalt seines Körpers nicht mehr funktionierte. Einige Zeit ohne jegliches Essen kann man ohne weiteres verkraften, aber trinken muß man auf jeden Fall. Wir haben den Patienten erst einmal stabilisiert und ihm kreislaufstärkende Mittel verabreicht. Der Flüssigkeitsverlust wird durch eine ständige Infusion ausgeglichen.«
»Wie ist das denn passiert?« wandte sich Sebastian an den Alten, der, im Gegensatz zu sonst, sauber aussah.
Wahrscheinlich hatten ihn die Schwestern ordentlich abgeschrubbt. Sogar das Haar war gekämmt.
»Ich kann mich net erinnern«, antwortete Loisl. »Muß irgendwie gestürzt sein, als ich nach draußen zum Bertl wollte.«
»Bertl?« sagte Sebastian stirnrunzelnd. »Zu welchem Bertl?«
»Na, meinem Stallhasen. Bestimmt ist das arme Viech inzwischen verhungert und verdurstet.«
»Da kann ich dich beruhigen«, schüttelte der Geistliche den Kopf. »Dr. Wiesinger hat ihn mitgenommen. Dein Bertl wird in der Praxis seiner Frau aufgepäppelt, und ich soll dir ausrichten, daß er ganz munter frißt.«
Der Dorfarzt war am Abend ins Krankenhaus gekommen und hatte berichtet, was sich ereignet hatte. Sebastian war bestürzt gewesen. Der Brandhuber war nun freilich kein Kirchgänger. Der Bergpfarrer konnte sich eigentlich nicht erinnern, ihn jemals bei der Heiligen Messe gesehen zu haben. Dennoch war der Loisl für ihn ein Mitglied der Gemeinde, ein irregeleitetes Schäfchen, das nun in Not geraten war und Hilfe brauchte.
Alois Brandhuber atmete auf.
»Dann geht’s ihm besser als mir«, seufzte er.
»Na, du hast nun wirklich keinen Grund, dich zu beschweren«, meinte Sebastian. »Hier im Krankenhaus bist in den besten Händen. Die Ärzte tun alles, daß du wieder gesund wirst.«
»Wo Sie’s grad ansprechen, Hochwürden«, wandte sich Dr. Winkler an Sebastian, »der Herr Brandhuber sagt, er habe keine Krankenkasse, die für die Behandlung aufkommt. Was können wir denn da machen?«
Sebastian strich sich nachdenklich über das Kinn.
»Tja, lassen S’ mich nachdenken«, erwiderte er und sah den selbsternannten Wunderheiler an. »Sag’ mal, Loisl, du verdienst doch net schlecht mit deinen Sachen, die du da unter die Leute bringst. Hast net was von