»Fragt sich nur noch, wie lang’!« stieß das Madl hervor. »Ich könnt’ ihm die Augen auskratzen und ihr gleich dazu.«
»Still! Da kommen sie.«
Saskia und Florian kamen herangeschlendert, wobei sie ein Stückchen vor dem Bauernsohn ging. Sie schritten die Stufen hinauf und setzten sich wieder.
Saskia hantierte angelegentlich mit ihrem Fotoapparat, und Tobias fragte sich, ob sie doch etwas gemerkt hatte, weil sie so verlegen wirkte.
Kathi zwang sich dazu, ihren Freund und Saskia nicht sofort zur Rede zu stellen. Glücklicherweise erschien im selben Moment der Bergpfarrer und schlug vor, daß sie sich die Käserei anschauen sollten. Die Studentin stand sofort auf. Auch Tobias machte Anstalten, sich zu erheben.
»Kommt ihr net mit?« fragte er, an Kathi und Florian gewandt.
Die Bauerntochter nickte und sah ihren Freund an.
»Was ist mit dir?«
Florian zuckte die Schultern.
»Das interessiert mich net«, erwiderte er. »Ich weiß, wie Käse gemacht wird.«
»Dann eben net«, sagte Kathi und folgte den beiden anderen.
Natürlich kannte sie auch die Arbeit bei der Käseherstellung. Sie war dabei sogar schon öfter dem Franz zur Hand gegangen. Trotzdem stand sie in dem gekachelten Raum und hörte zu, während der Senner erzählte, worauf es ankam, wenn man einen wirklich guten Käse machen wollte.
Aber Kathi hörte nur mit halbem Ohr hin. In Gedanken war sie bei der Szene, die sich hinter der Hütte abgespielt hatte, und sie fragte sich, ob sie das wirklich gesehen hatte.
Warum hat er das getan?
Sie wußte ja, daß Florian ein angeberischer Draufgänger war, der es liebte, mit den Madln zu flirten.
Aber warum konnte er nicht die Finger von Saskia lassen?
Sebastian Trenker bemerkte sofort die eigenartige Stimmung, die zwischen den jungen Leuten herrschte. Auf dem Rückweg grübelte er darüber nach, was geschehen sein konnte. Aber er stellte keine Fragen. Wenn es Probleme zwischen ihnen gab, die sich nicht selber lösen konnten, würde der eine oder andere sich ohnehin an ihn wenden, war er sicher.
Vor der Kirche verabschiedete er sich. Die vier bedankten sich bei ihm für den schönen Tag und standen schließlich schweigend da.
»Tja, ich geh’ dann auch mal«, sagte Tobias und nickte ihnen zu.
Kathi und Saskia nickten zurück. Der Student wußte nicht genau, ob es richtig war, jetzt zu gehen. Aber dann überlegte er, daß es in erster Linie eine Angelegenheit zwischen den Madln und dem Bauernsohn war, die sie unter sich klären mußten. Er hatte kein Recht, sich da einzumischen.
»Wollen wir dann auch?« fragte Florian.
Er schloß sein Auto auf, und die Madln stiegen schweigend ein. Schweigend verlief auch die Fahrt zum Raitmayrhof. Dort stieg Florian gar nicht erst aus, sondern fuhr gleich weiter.
»Ich meld’ mich«, rief er noch aus dem geöffneten Fenster, bevor er wendete.
»Ich bin ziemlich erschlagen«, sagte Saskia und blickte die Freundin an.
Kathi nickte stumm.
»Du kannst zuerst ins Bad«, meinte sie und ging zum Haus.
Die Studentin sah ihr hinterher.
»Ist was?« fragte Saskia.
Sie bekam keine Antwort und ging achselzuckend hinterher. Während sie ihre Sachen aus dem Zimmer holte und zum Duschen ging, saß Kathi in ihrer Kammer auf dem Bett und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
Was sie gesehen hatte, war eindeutig und unleugbar gewesen. Florian und Saskia hatten sich geküßt. Wild und leidenschaftlich, und nicht freundschaftlich, wie man jemandem, den man sympathisch fand, vielleicht einen Kuß auf die Wange gab.
Nein, da hatte mehr dahintergesteckt als bloße Sympathie!
Die Bauerntochter schluchzte tief auf und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Saskia kam aus dem Bad und ging in ihr Zimmer.
Ob sie was bemerkt hatte?
Diese Frage stellte Saskia sich die ganze Zeit. Als Florian sie in seine Arme gezogen und geküßt hatte, da war es ihr, als hätte sie an der Ecke der Hütte eine Bewegung gesehen. Schnell hatte sie sich von ihm losgemacht und zurückgeschaut. Aber da war niemand zu sehen gewesen.
»Hey, was ist denn?« fragte der Bauernsohn und wollte sie wieder an sich ziehen.
Doch sie wand sich aus seinem Griff und ging zur Terrasse zurück. Saskia war sicher, daß es ihr auf der Stirn geschrieben stehen müsse, was eben geschehen war, doch Kathi hatte sie nur angesehen und nichts weiter gesehen.
Vielleicht ist’s ja noch mal gutgegangen, dachte die Studentin erleichtert.
Aber dann war wieder dieses Gefühl da, bei etwas Verbotenem erwischt worden zu sein, und die eigenartige Stimmung schien ihr recht zu geben.
»Ich muß mit Kathi reden«, murmelte sie halblaut vor sich hin, während sie ihre Haare bürstete. »Das darf net unausgesprochen bleiben.«
*
»Guten Morgen«, sagte Saskia am nächsten Morgen, als sie aus dem Zimmer kam und Kathi begegnete.
Die Freundin antwortete mit einem kurzen Kopfnicken und öffnete die Tür zum Bad.
Die Studentin stellte sich ihr in den Weg.
»Kathi, was ist los?« fragte sie, obgleich sie den Grund für die ablehnende Haltung der Brieffreundin ahnte.
Gestern abend war es sehr schweigsam am Abendbrotstisch gewesen. Kathis Eltern, insbesondere ihre Mutter, argwöhnte, daß die beiden Madln sich zerstritten hatten. Aber sie wagte nicht, nachzufragen. Schon bald nach dem Essen ging Saskia in ihr Zimmer.
»Es war ein langer Tag«, entschuldigte sie sich.
Auf ihrem Bett stützte sie den Kopf in ihre Hände und dachte nach.
Florians »Angriff« war für sie völlig überraschend gekommen. Sie hatte ein paar Fotos von den Tieren gemacht und war dann auf die andere Seite der Sennerhütte gegangen, um dort den phantastischen Ausblick hinunter ins Tal zu fotografieren, als er plötzlich hinter ihr stand.
»Hier steckst also«, sagte er und lächelte sie an. »Soll ich dich auch mal fotografieren?«
Saskia nickte. Es war natürlich schön, ein Foto von sich vor diesem Panorama zu haben. Sie reichte ihm die Kamera und stellte sich in Positur. Florian machte ein paar Aufnahmen und kam wieder zu ihr.
»Herrlich, hier oben, was?« meinte die Studentin.
»Ja, aber das Schönste von allem bist du«, erwiderte der Bauernsohn und trat ganz dicht an sie heran.
»Blödmann«, sagte sie, halb verärgert, halb gutgelaunt. »Und laß das vor allem net Kathi hören.«
Sie sah das Begehren in seinen Augen.
»Ach was«, schüttelte Florian den Kopf und legte seinen Arm um ihre Taille. »Weißt eigentlich, daß ich dich sehr mag...«
Sie schluckte.
»Du sollst so was net sagen«, kam es ihr wie ein Hauch über die Lippen.
»Aber wenn’s doch wahr ist!« erwiderte er mit rauher Stimme. »Ich kann an nix andres mehr denken, als an dich. Wenn du net da bist, dann seh’ ich immer dein Gesicht vor mir.«
»Florian, bitte, hör’ auf!«
Wieder schüttelte er den Kopf.
»Warum willst dagegen ankämpfen?« fragte er. »Du magst mich doch auch. Ich spür’s ganz deutlich.«