Best begeistert nicht nur die mitgefahrenen United-Fans, sondern erobert auch die Herzen des Chelsea-Anhangs. Nach einiger Zeit ärgern sich die Fans der „Blues“ kaum noch über die Ballverluste ihres Teams – sofern der Ball dann bei Best landet. Nach dem Schlusspfiff applaudieren die übrigen 21 Spieler Best. Auch von den Rängen wird der „Man of the Match“ mit Standing Ovations verabschiedet. Der „Daily Mirror“ beobachtet, dass der „little Irishman“ den Platz mit gesenktem Kopf verlassen habe – so peinlich sei ihm gewesen, wie ihm Mit- und Gegenspieler und das Publikum zu Füßen lagen. Chelseas Manager Tommy Docherty hat für Best nur ein Wort übrig: „Fantastisch!“ 41 Jahre später, anlässlich des Todes von Best, schreibt der Publizist Ulrich von Berg über dieses Spiel: „Er packte den Zeitgeist, der gerade im Begriff war, London zur wichtigsten Stadt der Welt zu machen, bei den Hörnern und spielte ihm frech den Ball durch die Beine. Sein Auftritt, der die Selbstsicherheit dessen, der einfach weiß, dass er über Klasse und Charisma verfügt, mit rotziger Aufmüpfigkeit gegen tausend bisher nicht hinterfragte Konventionen paarte, war der vielleicht zaghafteste Ansatz, die Subkulturen des Fußballs und des Pops zueinanderfinden zu lassen.“
Es ist nicht Bests letzter starker Auftritt an der Stamford Bridge. Busby meint, das Stadion habe etwas besessen, was Bests Stimmung stets hob. „Immer wenn wir danach wieder an die Stamford Bridge gefahren sind, habe ich gedacht, dass ich eigentlich die Polizei anrufen und sie warnen müsste, dass in Kürze ein Mord geschieht.“
Neben Old Trafford wird Stamford Bridge zu Bests Lieblingsspielplatz. Der Gegner hat ein Team mit Flair, das Stadion hat Flair, und vor allem hat der gesamte Stadtteil ein Flair, das ihm gefällt. Wäre nicht United gewesen, hätte Best wohl gerne für Chelsea gespielt. Der Westen Londons löst später Manchester als seine Heimat in England ab.
Englischer Meister
Der Sieg an der Stamford Bridge ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Meisterschaft, die nun zu einem Dreikampf zwischen United, Leeds und Chelsea gerät. In taktischer Hinsicht ist United dem Rest der League um Meilen voraus. Busbys Mannschaft irritiert die Gegner durch ein flexibles Angriffsspiel: Spieler tauschen ihre Positionen oder ziehen sich bis zur Mittellinie zurück und entgehen so der gegnerischen Manndeckung. Der dadurch entstehende Raum in der gegnerischen Hälfte wird von den kreativen Mittelfeldspielern Pat Crerand und Bobby Charlton genutzt. In einer Zeit, in der in England die Flügelstürmer aus der Mode kommen – ein Jahr später wird man Fußball-Weltmeister England auch als „wingless wonder“ bezeichnen –, attackieren die „Red Devils“ mit George Best und John Connelly auch über die Außenbahnen. Im Angriffszentrum lassen sich Denis Law und David Herd immer wieder zurückfallen, woraufhin Best in die Mitte vorstößt. United schießt alle denkbaren Arten von Toren.
Nach 42 Spielen haben Manchester und Leeds jeweils 61 Punkte auf ihrem Konto, Chelsea kommt nur auf 56. Dank des deutlich besseren Torverhältnisses wird Busbys Team Meister. United schießt gemeinsam mit Chelsea, dem anderen Team der Swinging Sixties, die meisten Tore (89) und kassiert mit Abstand die wenigsten (39). Law trifft 28-mal, der 18-jährige George Best, der in 41 der 42 Meisterschaftsspiele dabei ist, zehnmal. Für Best ist es der erste Titel mit Uniteds Profis.
Best schlägt Benfica
Sieben Jahre nach der Katastrophe von München hat Busby das erste Etappenziel erreicht: Als Meister kämpft United in der folgenden Saison 1965/66 wieder um die Krone im europäischen Klubfußball. Im Europapokal lässt der Manager anders spielen als in der Liga. Die britischen Teams hatten im Europapokal häufig Probleme, weil sie ihre Taktik nicht auf die andere Spielweise der Kontinentalen einstellten. Sie waren überzeugt: Die beste Methode, um den Gegner einzuschüchtern und zu schlagen, sei, mit dem gleichen Tempo zu spielen wie in den heimischen Wettbewerben. Gegen Teams, die einen kultiviertes Spiel bevorzugten und sich auf Ballbesitz verstanden, erwies sich diese Taktik wiederholt als selbstmörderisch.
Im Viertelfinale trifft United auf Benfica Lissabon, den zweimaligen Sieger des Wettbewerbs. Im Old Trafford gewinnen die „Red Devils“ mit 3:2. Nicht die beste Ausgangsposition für das Rückspiel in Lissabon, wo man zwei Jahre zuvor im kleineren europäischen Wettbewerb gegen Sporting, Lissabons Nummer zwei, mit 0:5 untergegangen ist. Zudem hat Benfica im Europapokal zu Hause noch nie verloren. Und in den letzten 17 Europapokalspielen haben die Portugiesen im Schnitt 4,3 Tore pro Spiel geschossen.
Aber am 9. März 1966 zelebriert Busbys Team vor über 90.000 Zuschauern im Estádio da Luz seinen spielerischen Höhepunkt. Der Manager empfiehlt seinen Spielern für die ersten 15 bis 20 Minuten einen lockeren, abwartenden und kontrollierten Beginn. Best: „Er hatte uns das niemals zuvor gesagt, und wir wussten nicht, wie man das macht. Wir wussten nur, wie man Gegner verprügelt – und genau das taten wir.“
Vor allem Best hält sich nicht an den Marschbefehl des Managers. In der 6. Minute köpft er nach einem Freistoß von Dunne zum 1:0 ein, und nur fünf Minuten später umkurvt er drei Verteidiger der Portugiesen und erzielt das 2:0. Nach weiteren 14 Minuten trifft John Connelly zum 3:0, was auch der Pausenstand ist. Shay Brennan unterläuft in der 51. Minute ein Eigentor, aber anschließend landet der Ball nur noch im Tor der Portugiesen. Crerand (76.) und Charlton (87.) komplettieren einen 5:1-Erfolg.
Noch beeindruckender als das Ergebnis ist die Art und Weise, wie der Sieg errungen wird. United spielt die Portugiesen in Grund und Boden. Mann des Abends ist der 19-jährige Best. Manche sagen, es sei Bests größter Auftritt im roten Dress gewesen. Über das 5:1 von Lissabon wird noch viele Jahre später mehr geredet als über den zwei Jahre späteren Gewinn des Europapokals. In England konstatieren die Zeitungen den besten Aufritt einer britischen Mannschaft auf dem Kontinent.
In Italien schreibt der „Corriere dello Sport“: „Benficas Mythos brach innerhalb von 15 Minuten zusammen, zerstört von einem kraftvollen und unwiderstehlichen Manchester United, dessen Spieler sich als die großen Stars des europäischen Fußballs präsentierten.“ „Times“-Korrespondent Geoffrey Green hat in den letzten 20 Jahren kein britisches Team gesehen, das im Ausland „so inspiriert und inspirierend und dominant“ aufgetreten sei wie United. Und über Best: „Er war der Beste auf dem Platz, indem er zu einem neuen, beinahe unbekannten Best wurde. Best schien sich ganz plötzlich in den Ball verknallt zu haben, und die ganze Mannschaft ist ihm als einem Leitwolf gefolgt. Vor unseren erstaunten Augen fiel das große Benfica-Team auseinander.“
Im Estádio da Luz triumphiert ein britisch-irisches Team. Drei der elf Spieler sind Nord- oder Südiren (Best, Gregg, Dunne), zwei sind Anglo-Iren (Brennan, Stiles), einer ist Schotte mit irischen Wurzeln (Crerand), und zwei sind Schotten (Law, Herd). Bei allen elf Spielern handelt es sich um ehemalige oder amtierende Nationalspieler, die sich aber auf vier Nationalmannschaften verteilen: Nordirland (Best, Gregg), Republik Irland (Brennan, Dunne), Schottland (Crerand, Herd, Law) und England (Charlton, Connelly, Foulkes, Stiles).
Der „fünfte Beatle“
Der Auftritt von Jungstar Best lässt die Presse verrückt spielen – und dies nicht nur in England. In Portugal tauft die Sportzeitung „Bola“ George Best „El Beatle“. Vor dem Rückflug nach Manchester kauft sich Best auf dem Lissaboner Flughafen einen bescheuerten Sombrero – und die Party beginnt.
Mit Lissabon avanciert Best endgültig zum ersten Popstar des Fußballs. Best: „Außerhalb des Fußballfeldes drehte alles durch. Die Beatlemania befand sich auf ihrem Höhepunkt. Zum ersten Mal hatten die jungen Leute Stars, die genauso alt waren wie sie. Nach den strengen 1950ern wurde alles relaxter. Kids wollten ihre Gefühle zeigen, und nachdem mir die Presse den Spitznamen ‚der fünfte Beatle‘ gegeben hatte, wurde ich zu ihrem Ziel. (…) Ich war derjenige, der Fußball von den Rückseiten der Zeitungen auf die Titelseiten brachte.“ Das Problem ist nur, dass die Medien eine Scheinwelt schaffen, in der sich der Jungstar zu verlieren droht: