»Seid ihr in Apsuhol die herrschende Spezies?«
Er drehte den Kopf, um die Reporter anzusehen. Von ihrer anfänglichen Scheu war kaum etwas geblieben. Mit ihren Mikrofonen und Kameras drängten sie sich immer näher an den Haluter.
»Es gibt nur wenige von uns«, sagte Haad.
»Seid ihr verhasst?«, rief eine Frau, die sich mit einem breitkrempigen Hut vor dem Regen schützte.
»Haben sich die anderen Völker in Apsuhol gegen euch zusammengeschlossen?« Der Fragesteller sprach in hektischem Singsang.
Neben ihm sah eine Frau Haad offen an. »Was führt euch nach Bhantamiur?« Sie wirkte ehrlich interessiert, nicht sensationslüstern, und ihre Frage hatte eine schöne Melodie.
Bhantamiur, so nannten die Bhanlamurer die Zwerggalaxis Cassiopeia. Die Linguisten an Bord der BJO BREISKOLL meinten, das bedeutete so etwas wie neues Tamanium, ein Bezug zu jenem Reich, das die lemurische Historie dominierte. Zudem ein weiterer Hinweis auf die Zugehörigkeit der Bhanlamurer zu dieser Völkerfamilie, wie auch Apsuhol. So hatten schon die alten Lemurer die Milchstraße genannt, während sie Andromeda als Karahol bezeichnet hatten, als Zweite Insel.
»Wir befinden uns auf einer Forschungsreise«, behauptete Haad. »Dabei hoffen wir, unser Wissen um Dinge zu erweitern, über die wir bisher lediglich aus der Ferne Informationen bekommen konnten.«
Das war nicht gelogen, es war nur nicht die ganze Wahrheit. Schließlich wollten sie die Zwerggalaxis tatsächlich erkunden. Ihr Ziel war allerdings kein allgemeiner Wissensgewinn. Sie wollten den Chaoporter FENERIK aufspüren, von dem angebliche Deserteure behaupteten, dass er dort havariert sei. Ein Schiff der Chaosmächte, deren Aktivität die gesamte Lokale Gruppe inklusive der Milchstraße bedrohen konnte.
»Was sind das für Dinge?«, fragte der Hektiker. »Geht es um Rohstoffe? Um fruchtbare Planeten als Siedlungsgebiet?«
»Stimmt es, dass du dich unsichtbar machen kannst?«
»Trägst du eine Energierüstung oder ist deine Haut kugelfest?«
Haad stand das Grauen am Strand von Frobher deutlich vor Augen. Die schwer verbrannten Toten ... Er wollte der Furcht entgegenwirken, die die Bhanlamurer vor vierarmigen Wesen empfanden, die wesentlich größer waren als sie selbst. Bei diesen Reportern schlug das unerwartet schnell ins Gegenteil um. Der Haluter fühlte sich bedrängt.
Er war froh, als er einen Rotorflieger entdeckte, der sich über den Häusern von Thaur näherte. Die Maschine war mit dem Symbol der Lebensblume versehen, was bei den Bhanlamurern Einheiten des Sanitätsdiensts kennzeichnete.
»Bitte, entschuldigt mich.« Haad wandte sich dem Landefeld zu, das eine Handvoll gepanzerter Radfahrzeuge sicherten. »Ich muss meinen Termin mit eurem Temart wahrnehmen.«
Hinter ihm sprachen die Reporter hastig in ihre Mikrofone, während sie das weitere Geschehen für die Zuschauer kommentierten.
Die Düsen des Fluggeräts verstummten. Die drei Rotoren drückten das Gras bei der Landung flach auf den Boden.
Haad wartete innerhalb des Sicherungskreises, der die Presse zurückhielt, bis sich die Luke öffnete. Nessu-Ghorat kam mit federndem Schritt heraus. Der Temart lächelte in die Kameras und winkte mit seiner verbliebenen Hand. Der Ärmel des unter dem Ellbogen endenden Arms war akkurat vernäht. Sein Rock und das rot-weiß gestreifte Cape flatterten im Wind.
Eine Ordonnanz eilte mit einem Regenschirm hinzu.
Haad interessierte sich mehr für die Liege, die auf Rollen hinter dem Regierungsoberhaupt hergeschoben wurde. Die transparente Abdeckung gab ihr etwas von einer Suspensionseinheit. Ein Mann mit einer Umhängetasche, auf der die Lebensblume in hellem Rot angebracht war, vermutlich ein Mediker, folgte der Liege.
Haad ließ sich auf die Laufarme nieder, damit Nessu-Ghorat den Kopf nicht in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu schauen. »Ich bin sicher, es ist gleich so weit.«
Der Temart nickte. »Unsere Raumüberwachung hat das Objekt bereits erfasst.« Sein Blick taxierte den Haluter, als musterte er einen Panzer. »Ich bin froh, dass wir Verbündete sind.«
Das war nachvollziehbar. Auf dieser Welt gab es nichts, was den Haluter daran hätte hindern können, den Bhanlamurer zu zerreißen und anschließend sowohl den Rotorflieger als auch die Radfahrzeuge zu zermalmen.
Aber das lag nicht in Haads Interesse. Durch die transparente Abdeckung der Liege erkannte er das Gesicht von Myrilla Entrepe. Sie war bleicher als bei ihrer Begegnung in der Ruine, die Sommersprossen traten deutlicher hervor. Die Lider waren geschlossen. Oberhalb der Stirn steckte der Kopf in einer Art Helm, von dem mehrere Schläuche abgingen.
»Ein schweres Schädeltrauma«, erläuterte Nessu-Ghorat. »Aber sie ist stabil. Eure Ärzte werden ...« Er hob den Blick zu den Wolken, die über dem Grasland in starke Bewegung gerieten. »... zweifellos ...«
Der Kugelrumpf der BJO BREISKOLL drückte die Wolken auseinander. Weiter und weiter schwoll er an, bis zum sechseckigen Ringwulst mit seinem Durchmesser von 600 Metern. Der Schatten des Schlachtkreuzers tauchte einen weiten Bereich der Landschaft in nächtliches Dunkel. Unter ihm versiegte der Regen. Wirbel bildeten sich im Gras, weil die gewaltige Masse eigene Luftströmungen erzeugte.
»Wie ein Berg«, flüsterte der Temart. »Ein Berg aus Stahl.«
Die Landestützen fuhren aus.
Nessu-Ghorat erschrak sichtlich. »Wie tief wird das Schiff einsinken? Bei dem Gewicht ...«
»Sorge dich nicht«, beruhigte Haad. »Die Stützen dienen lediglich der Stabilisierung. Die BJO BREISKOLL wird ihre Antigravgeneratoren nutzen.«
Verständnislos sah der Bhanlamurer ihn an.
»Sie wird nur einen Bruchteil ihrer Masse einsetzen, um die Bodenhaftung zu halten«, erläuterte Haad. »Ansonsten wird sie schwerelos sein.«
»Schwerelos.« Nessu-Ghorat hustete ein ungläubiges Lachen. Es musste schwerfallen, Dinge als Realität zu akzeptieren, die gerade noch Märchen gewesen waren. Selbst, wenn man sie mit eigenen Augen sah. »Willst du mir etwa auch noch erzählen, dass sich diese fliegende Stadt unsichtbar machen könnte?«
Haad beschloss, den Paros-Schattenschirm vorerst unerwähnt zu lassen. Zumal er anderenfalls auch hätte erklären müssen, dass bei seinem Einsatz das geschützte Objekt – im Gegensatz zur Umhüllung mit einem Deflektor – immerhin schattenhaft erkennbar blieb, auch wenn es kaum noch mit dem Standarduniversum interagierte.
»Es würde uns beruhigen, wenn wir unsere Soldatin rasch an Bord bringen dürften«, sagte er stattdessen.
»Selbstverständlich.«
Die BJO BREISKOLL setzte auf. Haad vermutete, dass die Bürger der Metropole Thaur den stählernen Berg, der nun auf der Weide stand, vom Flachdach jedes Hauses aus sehen konnten.
2.
Die Alten Augen
Die Entwicklung überschlug sich dermaßen, dass Lat-Antin gar nicht daran denken konnte, die Richtung zu bestimmen, in der sie sich bewegte. Sie brauchte all ihre Kraft, um sich im Spiel zu halten. Am Tag zuvor hätte sie darauf bestanden, jeden zu erschießen, der auch nur einen Blick ins Hauptquartier der Alten Augen warf, ohne vorher wochenlange Hintergrundchecks durchlaufen zu haben. Mittlerweile war sie froh, dass sich der Anführer der Neu-Lemurer, der Mann namens Perry Rhodan, und das seltsame Pelzwesen, das Gucky hieß, im Überwachungsraum eingefunden hatten.
Bildschirme nahmen den Großteil der Wände ein. Analysten arbeiteten an ihren Terminals und warfen verstohlene Blicke auf die Besucher. Gardari Thont dagegen beäugte sie mit unverhohlenem Interesse. Ein Lächeln zuckte um die Lippen des Adjutanten, der sich mit auf dem Rücken verschränkten Armen neben der Tür hielt. Sein langes Haar fiel