Wie neu geboren. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711740132
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hätte ihn ihren Freundinnen liebend gern vorgestellt, und sie tat es auch, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bot. Sie war so stolz auf ihn.

      Enttäuscht war sie nur, als sich herausstellte, daß er äußerst ungern in eine Disco oder ein Tanzlokal ging. Ihn störten der Rauch und der Lärm, wie er behauptete. Sie dachte, daß seine Abneigung gegen derartige Unternehmungen daran läge, daß er immer knapp bei Kasse war. Deshalb bestand sie nur ein- oder höchstens zweimal im Monat darauf, abends mit ihm auszugehen. Ganz freiwillig tat er es nie, und er jammerte vorher auch immer. Dabei tanzte er gut und zeigte sehr viel Gefühl für Rhythmus.

      Wenn sie dann nachher wieder auf der Straße standen, dankte er dem Himmel, daß es überstanden war.

      Sie lachte ihn aus. »Aber wieso denn? Es war doch herrlich!«

      Natürlich küßten sie sich unter der Haustür, und sie genoß seine Zärtlichkeit. Nur schwer konnten sie sich voneinander trennen.

      Oft kam es vor, daß Julia erst noch mit ihm zu seiner Wohnung fuhr. Erneute Küsse. Dann wollte er sie nicht allein nach Hause laufen lassen die Häuser, in denen sie wohnten, lagen nur wenige Straßenzüge voneinander entfernt — und fuhr sie wieder zurück. So ging es mehrfach hin und her, bis der Benzintank seines Motorrads fast leer war.

      Julia und Robert schmusten auch bei ihren Picknicks in der Natur. Aber da war es etwas anderes. Es erregte sie sehr, wenn er ihren Busen streichelte und sie auf den Hals und hinter das Ohr küßte. Sie war ihm gegenüber ohne Vorbehalte. Aber sehr bald mußte sie die Erfahr rung machen, daß er noch nicht bereit war, den letzten Schritt zu tun. Das verwirrte und enttäuschte sie.

      »Ich liebe dich zu sehr«, behauptete er. »Ich könnte dich nie verletzen.«

      »Verletzen? Aber ich bitte dich! Meinst du, ich will eine alte Jungfer werden?«

      »Das bestimmt nicht. Du weißt doch, daß du meine Frau wirst.«

      »Du siehst immer noch die Braut in Weiß in mir«, schmollte sie.

      »Ja«, gab Robert zu, »und das macht mich glücklich.«

      Vielleicht hätte sie ihn verführen können, aber irgend etwas hielt sie davon ab. Sie war nicht emanzipiert genug, um das Tempo ihrer Beziehung bestimmen zu wollen. Außerdem: so ruhig auch die Plätze waren, an denen sie sich auf der rot-grün karierten Decke niederließen, ganz ungestört waren sie doch nicht. Es gab andere Liebespaare in der Nähe, schnüffelnde Hunde, spielende Kinder oder auch nur kribbelnde Ameisen.

      Also drängte sie nicht auf Erfüllung, sondern war bemüht, ihrer beider Leidenschaft nicht anzufachen, sondern sie auf kleiner Flamme zu halten, gerade noch lebendig genug, daß sie nicht ganz verlöschte. Sie wehrte Robert ab, hielt ihn zurück, und genau das schien ihm in seiner Rolle des »Nichtverführers« zu passen. Für Julia war es anstrengend und kein reines Vergnügen.

      Körperliche Begierde war ja zum Glück beileibe nicht das einzige, was sie miteinander verband. Sie hatten so unendlich viel miteinander zu reden. Er erzählte ihr viel aus seinem Leben, allerdings nichts von früheren Erlebnissen mit Frauen, die er ihrer Meinung nach gehabt haben mußte, denn er war einige Jahre älter als sie.

      Wenn Julia ihn direkt darauf ansprach, wehrte er ab. »Das ist ohne jede Bedeutung.«

      Für sie gab es nichts, was sie vor ihm hätte verbergen müssen. Sie schilderte ihm alles, was sie erlebt hatte und was tagtäglich bei »Pro vobis« geschah.

      Von ihm erfuhr sie vom frühen Tod seines Vaters, der Arzt gewesen war, von seiner verwitweten Mutter, die ihn, wie er fand, allzusehr einengen wollte. Er war in Verden an der Aller groß geworden und hatte lange warten müssen, ehe er einen Platz zum Medizinstudium bekommen hatte, und zwar in Düsseldorf. Er hätte gern die Gelegenheit wahrgenommen, sich von der Mutter zu trennen und nach Düsseldorf zu ziehen. Aber da hatte ein Großonkel ihm und seiner Mutter eine Wohnung in Ratingen angeboten, und er hatte sich dem beugen müssen, Von dort aus war es mit der S-Bahn ja nur ein Katzensprung nach Düsseldorf.

      Dieser Großonkel mütterlicherseits spielte noch eine andere Rolle in Roberts Leben. Ihm gehörte ein Geschäft in bester Lage, »Edmund Singer, Glas- und Porzellanwaren«, und hier jobbte der junge Student bei jeder Gelegenheit. Er half im Lager aus und beim Versand, räumte auf, wenn die festen Mitarbeiter schon gegangen waren, und sprang auch im Verkauf ein. In Onkel Edmunds Laden hatte er auch an jenem Freitag zu tun gehabt, als er Julia angesprochen hatte.

      Seine Mutter schätzte diese Tätigkeit nicht. »Ich könnte meinen Schmuck verkaufen«, erbot sie sich ein ums andere Mal.

      »Deinen Schmuck?« gab Robert zurück. »Das würde höchstens für ein paar Monate reichen!«

      »Sag das nicht! Wenn man es klug genug anfängt, könnte man bestimmt einen guten Preis erzielen.«

      Damit war das Thema erledigt. Einen ernsthaften Versuch, ihre Ringe, Armbänder, Ohrringe und Ketten zu verkaufen — Geschenke seines verstorbenen Vaters, an denen sie sehr hing —, unternahm sie jedenfalls nicht.

      Seine Mutter, Frau Ida Palmer, war überhaupt ein Kapitel für sich. Es dauerte geraume Zeit, bis Robert sich dazu durchrang, ihr Julia vorzustellen, und Julia nahm es ihm nicht übel. Sie hatte wenig Lust, dieser strengen Danie unter die Augen zu treten.

      Ihren Vater hatte sie sehr bald mit Robert bekannt gemacht, und er hatte zu ihrer Erleichterung ohne eine Spur von väterlicher Eifersucht reagiert. Die beiden so verschiedenen Männer hatten sich sogar recht gut unterhalten. Dann hatte Julia sich mit Robert auf ihr Zimmer zurückgezogen, bei offener Tür, um den Vater nicht zu beunruhigen.

      »Also … wie gefällt er dir?« hatte sie mit glänzenden Augen gefragt, nachdem Robert sich zu angemessener Stunde verabschiedet hatte.

      »Es gibt nichts gegen ihn zu sagen«, erwiderte ihr Vater.

      »Ist das alles?«

      »Er sieht gut aus, das weißt du selbst, ist gut angezogen, intelligent und hat bestimmt noch eine Menge anderer guter Eigenschaften.«

      »Gut, gut, gut!« wiederholte Julia. »Als wenn er nichts als gut wäre!«

      Der Vater klopfte seine Pfeife aus. »Ich bin ja nicht in ihn verliebt. Was erwartest du also von mir?«

      »Daß du deine Einwände ausspuckst!«

      Der Vater reinigte ohne aufzusehen den Pfeifenkopf. »Sollte ich denn welche haben?«

      »Solltest du nicht, aber hast du. Also, raus damit!«

      »Na ja, ich meine nur, daß er etwas nicht ganz ernst nimmt — entweder dich oder sein Studium.«

      »Versteh’ ich nicht.«

      »Er sagt, daß er dich heiraten will …«

      »Das will er wirklich.«

      »Bleib ganz ruhig, Mädchen! Du wolltest ja die Wahrheit hören. Ich verstehe ja nicht viel von solchen Sachen, aber ich denke doch, daß ein Mediziner eine Frau mit Vermögen heiraten muß. Ewig angestellt bleiben, das bringt doch nichts. Aber sich selbständig zu machen kostet viel Geld. Also braucht er eine Frau, die es mitbringt oder die einen Vater hat, der selbst Doktor ist oder Professor und bei dem er einsteigen kann.«

      Julia warf den Kopf zurück. »Robert denkt nicht so materialistisch.«

      »Kann schon sein, daß er ein bißchen weltfremd ist.« Der Vater klopfte seine Pfeife nochmals aus, steckte sie in die Hosentasche und stand auf. »Dann schlaf mal gut, mein Mädchen! Laß dir von mir altem Mann deine hübsche Liebesgeschichte nicht vermiesen. Euch beiden bleibt noch Zeit genug, erwachsen zu werden.«

      Sie kamen nie wieder auf dieses Gespräch zurück, aber Julia gingen die Warnungen ihres Vaters noch lange im Kopf herum. Trotz aller Verliebtheit dachte sie realistisch genug, um zu begreifen, daß zumindest ein Körnchen Wahrheit in ihnen stecken mußte.

      Auch Ida Palmer empfing Julia nicht ohne Freundlichkeit. Zwar paßte ihr Julias familiärer Hintergrund nicht — die Heinkes waren in ihren Augen kleine