Wie neu geboren. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711740132
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      »Getan? Nichts.«

      »Womit hast du sie so auf die Palme gebracht?«

      Offensichtlich fiel es ihm schwer, ihr die Wahrheit zu sagen. »Ich hätte nie gedacht, daß sie sich so aufregen würde!« murmelte er. »Gehen wir auf mein Zimmer, ja? Dann werde ich dir alles in Ruhe erzählen.« Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie mit sich fort. »Mach’s dir bequem. Was willst du hören? Ich habe die Nußknackersuite von Tschaikowsky aufgelegt.«

      Sie hatte die Schuhe abgestreift und sich auf die Couch gesetzt. »Nein«, entschied sie, »ich glaube, nach Musik ist mir jetzt nicht zumute.« Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Komm einfach her zu mir!«

      Gehorsam setzte er sich zu ihr. Sie streckte sich lang aus, legte den Kopf an seine Brust und schloß die Augen. So, ganz entspannt und in ihrer Lieblingsstellung, fühlte sie sich allem und jedem gewachsen. Ein leises Lächeln der Überlegenheit spielte um ihre Lippen.

      Seine Hand umschloß die ihre. »Ich werde mein Studium aufgeben«, erklärte er schlicht.

      Sie zuckte unwillkürlich zusammen. Diese Neuigkeit war wie ein Schlag ins Gesicht. Es kostete sie ungeheure Kraft, nicht aufzuspringen und laut loszuschreien. Doch von einer Sekunde zur anderen verstand sie, warum seine Mutter so wütend reagiert hatte. Aber das hatte Ida Palmer nichts weiter gebracht, als daß sie sich in seinen Augen unfair verhalten hatte. Sie, Julia, durfte nicht den gleichen Fehler machen.

      »Warum?« fragte sie tonlos.

      »Ich wußte, du würdest mich verstehen!« meinte er erleichtert.

      Sie staunte, wie wenig er sie doch kannte.

      »Sieh mal, das Studium«, fuhr er fort, »würde viel zu lange dauern. Mindestens noch fünf Jahre, wenn ich mich sehr beeile, und selbst dann wäre ich nichts weiter als ein popeliger Assistenzarzt. Damit könnte ich keine Frau ernähren.«

      » Wer erwartet denn von dir, daß du irgend jemanden ernährst?« fragte sie sanft.

      »Ich!« erwiderte er. »Ein Mann, der die Frau, die er liebt, nicht versorgen kann, ist eine Niete.«

      »Das würde ich nicht so sehen.«

      »Weil du eine Frau bist.«

      »Ja, sicher. Ich bin eine berufstätige Frau. Du weißt, ich verdiene gut und habe schon damit begonnen, für deine spätere Praxis zu sparen.«

      »Süße!« Er beugte sich über sie und küßte sie auf die Stirn. » Aber gerade das will ich nicht. Du gibst damit zu, daß ich eine Belastung für dich bin.«

      »Eine Belastung? Du? Jetzt spinnst du aber wirklich.«

      »Jedenfalls in finanzieller Hinsicht, Begreifst du denn nicht, daß ich dir mehr bieten möchte als Picknicks im Wald und Kuscheleien auf dem Sofa?«

      »Mir genügt es.«

      »Mir aber nicht.«

      Sie setzte sich auf, so daß sie ihm fest in die Augen sehen konnte. »Du willst ganz mit mir zusammen sein?«

      »Ja.«

      » Aber wer hindert dich denn daran? Ich warte ja nur darauf.«

      »Ich will dich heiraten. Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, habe ich den Wunsch, dich zu heiraten.«

      »Dann tu es doch.«

      »Und von was sollen wir leben? Wo sollen wir leben? Hier? Bei meiner Mutter etwa? Und wenn ich ausziehen würde, hätte ich noch weniger Geld. Nein, Liebling, so nicht. Wenn wir heiraten, sollst du zumindest deinen eigenen Haushalt haben.«

      »Aber warum müssen wir denn heiraten? Schon so bald, meine ich?« Tränen stiegen ihr in die Augen, und Julia hielt sie nicht zurück. Sie hoffte, ihn dadurch erweichen zu können. »Wir könnten doch auch ohne Trauschein genauso glücklich miteinander sein.«

      »Das wäre etwas anderes«, erwiderte er stur.

      »Laß es uns doch wenigstens versuchen.« Plötzlich öffnete sie den Reißverschluß ihres Kleides, sprang auf und schüttelte es von sich; dieses eine Mal dachte sie nicht daran, es ordentlich hinzulegen oder wenigstens aufzuheben. Sie lief zum Fenster und zog die Vorhänge zu, so daß es dämmrig in dem großen Zimmer wurde. Damit nicht zufrieden, zündete sie die Kerze an, die in einem Messingleuchter auf dem Schreibtisch stand. Entschlossen streifte sie ihren Slip und die Strümpfe ab und warf sich nackt in seine Arme. »Ich liebe dich so, Robert! Lieber, lieber Robert!« Tränen flossen ihr über die Wangen.

      Als sie sich an ihn schmiegte und ihre Lippen auf die seinen preßte, spürte sie, wie seine Leidenschaft erwachte. Aber wie eh und je war er krampfhaft bemüht, sich zurückzuhalten. Diesmal aber half sie ihm nicht. Sie war entschlossen, ihn zu verführen, und sie scheute kein Mittel, ihr Ziel zu erreichen. Nur mit dem Geschenk ihres Körpers glaubte sie, ihn von seinem verrückten Plan abhalten zu können.

      Sie erreichte es schließlich, daß er in sie drang. Selbst empfand sie keine Wollust, es tat nur weh — ein scharfer, stechender Schmerz, den sie nicht erwartet hatte. Dennoch machte das Gefühl des Triumphes, die Gewißheit, ihn endlich ganz erobert zu haben, sie unermeßlich glücklich. Er hatte leise aufgeschrien, als er seinen Höhepunkt erreichte. Auch danach hielt er sie fest in den Armen, und sie schmiegte ihr Gesicht an seine nackte Brust.

      »Das hätten wir nicht tun sollen«, keuchte er.

      »Aber es war doch schön. Gib zu, daß es schön für dich war.«

      »Ich habe es nicht gewollt.«

      »Ich weiß, ich weiß. Nun ist es eben passiert.«

      »Verzeih mir!«

      »Daß du mich liebst?«

      Es lag ihr auf der Zunge zu fragen, ob er nicht einsähe, daß überhaupt keine Notwendigkeit bestand, sein Studium aufzugeben, um mit ihr zusammenzusein. Aber sie verkniff sich die Frage, um ihm nicht zu verraten, daß sie versucht hatte, ihn zu manipulieren.

      »Wir müssen sobald wie möglich heiraten«, erklärte er.

      Sie schaute überrascht zu ihm auf. Sie hatte genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen wollte. »Nein«, sagte sie entschieden.

      »Und wenn du nun ein Kind bekommst?«

      »Nach dem ersten Mal? Sehr unwahrscheinlich.«

      »Aber wenn doch?«

      »Bleibt uns immer noch Zeit, darüber nachzudenken,« Sie löste sich von ihm und sprang aus dem Bett.

      »Wo willst du hin?«

      Sie raffte ihre Wäsche und ihr Kleid zusammen. »Ins Bad.«

      »Und wenn Mutter kommt?«

      »Das ist nicht so bald zu erwarten«, erwiderte sie und wunderte sich über ihre Gereiztheit.

      Als sie sich gewaschen und angezogen hatte, betrachtete sie sich aufmerksam im Spiegel. Nein, sie hatte sich nicht verändert. Sie sah so unschuldsvoll aus wie eh und je. Die leichten Schatten unter ihren Augen hätten auch von einer Disco-Nacht herrühren können.

      Würde Robert sie nun weniger lieben? Sie hatte es riskiert, hatte es riskieren müssen. Eines wußte Julia genau: sie wollte nicht Hals über Kopf heiraten und ihren Beruf aufgeben. Sie hatte nicht die Absicht, sich irgendwo einsperren zu lassen. Das Leben hatte für sie ja gerade erst begonnen. Und sie würde auch ihm klarmachen, daß er seine Pläne ihretwegen nicht aufgeben dürfte.

      Als sie in sein Zimmer zurückkam, hatte er die Bettcouch gerichtet, sich angezogen und eine Platte aufgelegt. Sie nahm an, daß es sich bei der sehr rhythmischen Musik um die angekündigte Ballettsuite handelte. Aber das war ihr im Moment sehr gleichgültig. Die Vorhänge waren wieder aufgezogen, und die Flamme der Kerze war erloschen.

      »Ich habe mir etwas überlegt«, sagte er. »Notfalls können wir auch hier wohnen. Mutter wird sich schon wieder beruhigen.«