Anfangs fuhr Nitribitt einen Ford, das Fahrzeug der unteren Mittelklasse. Nachdem sie ihren Taunus 12 M zu Schrott gefahren hatte, schenkte ein türkischer Unternehmer ihr 1954 das Geld für einen Opel Kapitän. Man gab ihr den Namen „Käpt’n Lady“. Eine Lady! Damals ein außergewöhnlicher Besitz für eine Frau Anfang der 21. Mit dem noblen 6-Zylinder tourt die Prostituierte durch Frankfurt und Umgebung auf der Suche nach Kundschaft.
In den fünfziger Jahren, als Westdeutschlands Wirtschaft wieder Fahrt aufnahm, symbolisierte vor allem das Auto den Wiederaufstieg des Landes. Der Mercedes-Stern war die Krönung dieses Symbols. Schnittige Karosserien der Oberklasse . Bereits Mitte 1956 erwarb Rosemarie Nitribitt den berühmten schwarzen Mercedes-Benz 190 SL mit roten Ledersitzen, für schlappe 18 000 DM, was sie sich in der Frankfurter Mercedes-Zentrale mit vielen Sonderwünschen bestellt und bar bezahlt hat und mit dem sie in Frankfurt sehr viel Aufsehen erregte und der ihr Markenzeichen wurde. Der Wagen ist geradezu eine Provokation. Einen „Nitribitt“ nannte der Volksmund das 190er Cabrio. Ein deutscher Arbeitnehmer verdient zu dieser Zeit im Schnitt 6 000 DM brutto im Jahr. Bis heute ist der Name von Rosemarie Nitribitt mit dem Modell von Mercedes verknüpft. Am 18. Mai 1956 registrierte die Kfz-Zulassung Frankfurt ein schwarzes Mercedes Cabrio 190 SL unter dem Kennzeichen H 70 6425. Chefärzte fuhren damals VW Käfer.
Nun ging es mit diesem Glanzstück von Auto auf Kundenfang. Trotz seiner sportlichen Erscheinung brachte es der kleine Roadster gerade mal auf 170 km/h, aber Nitribitt schaltete meistens ohnehin nur in den ersten oder zweiten Gang. Zur Kundenakquise fuhr sie langsam um den noblen „Frankfurter Hof“ herum oder an anderen Luxusschlitten vorbei. Deutsche Industrielle und ausländische Geschäftsleute passte sie am Flughafen Frankfurt ab. Bei schönem Wetter mit offenem Verdeck, oft mit einer dunklen Brille, manchmal mit Lichthupe. Sie pflegt ihre Prostitution ganz öffentlich und wird zu einer Sehenswürdigkeit der Großstadt. Sie blieb dann auch manchmal vor den „Frankfurter Hof“ stehen, täuschte irgendeine Panne vor, klappt die Motorhaube hoch und schaute unschuldig drein. Nun hielten gut betuchte Herren an und man kam ins Gespräch. So und ähnlich schaffte sie es in wenigen Jahren zur Edelprostituierten. Ein Frau, über die Frankfurt spricht und die ganz offensichtlich Männer zu faszinieren weiß. Diese zahlten bei ihr, je nach Einkommen, zwischen 50 und 250 DM für ein intimes Treffen. Sie hat am Tag zwischen sechs und neun Freier gehabt und hat das Geld sehr hart und gnadenlos zu sich selbst verdient.
In die Geschichte ging die Edelprostituierte aber weniger wegen ihres rasanten Untersatzes ein, sondern wegen der feinen Herren, die sie damit abschleppte. Unvergessen machen sie ihr mysteriöser gewaltsamer Tod im Jahr 1957 und der große Lärm, der ihm folgte. Es war, als hätte ihre Ermordung der Ära Adenauer jäh die Maske von ihrem zweiten Gesicht gerissen.
Im September 1955 zog Nitribitt, die längst mehr als 4000 DM im Monat einnahm, in die Stiftstrasse 36. Apartment Nr. 41, 4. Stock. Zwei Zimmer, Küche, Bad, 75 Quadratmeter, Parkettboden und Fußbodenheizung. Wer an der Türsprechanlage ihren Codenamen „Rebecca“ nannte, dem drückte sie die Tür auf. Im Telefonbuch bezeichnet sie sich als Mannequin, ihren Kindheitstraum. So stand die 1 Meter 60 kleine Prostituierte als nun zwischen einer Textilien- und Lederbekleidung und zwei Ärzten. Nitribitts Täuschung war zuletzt so vollendet, dass sie sich der Maklerfirma „Dröll und Scheuermann“, die über jeden neuen Mieter umfassende Erkundigungen einholte, als selbständiges Mannequin mit einem Monatseinkommen von 800 DM „einwandfrei“ verkaufte.
Dann taucht ein neuer Name in Rosemaries Leben auf. Heinz Christian Pohlmann, ein Handelsvertreter, geboren am 21. Mai 1921 in Wuppertal. Er wird später für die Polizei der Hauptverdächtigte sein. Der Mann ist mehrfach vorbestraft und immer in Geldnot.
Heinz Pohlmann lud sie eines Tages zum Tee in seine Junggesellenwohnung ein und blieb ein „platonischer Freund“. Das homosexuelle „Pohlmännchen“, stellte Nitribitt einmal resigniert fest, konnte ihre „Liebe nicht erwidern“. Wie es genau zu der Bekanntschaft kommt, bleibt unklar. Pohlmann bekam von Rosemarie kleinere Aufträge, kümmerte sich um das Auto, wartete in der Küche, wenn ihr die Kundschaft nicht ganz geheuer vorkam, hat den Pudel ausgeführt und hatte die Fähigkeit, gut Reisbrei zu kochen. Das war eines der Gerichte, die Rosemarie regelmäßig aß und er kochte auch den letzten Reisbrei, der dann bei der Obduktion in der Rechtsmedizin im Magen der Toten noch vorgefunden wurde.
Pohlmann liebt, wie seine Freundin Rosemarie, teure Autos. Allerdings fehlt ihm das nötige Geld dazu. Zwar ist er als Handelsvertreter durchaus erfolgreich, doch an das Einkommen der Prostituierten kommt er nicht ansatzweise heran. Ihr Kundenkreis wird immer exklusiver und prominenter. Sie hatte zwar ein elegantes, aber elitäres Auftreten und wenn sich die Fotos vom Tatort und der gesamten Wohnung anschaut, war immer noch ein Rest von Bürgerlichkeit im Spiel. Womöglich war es für die Herren, die zu ihr kamen, eine Mischung aus deutscher Gemütlichkeit und prickelnder Erotik.
Das geht auf. Rosemarie Nitribitt verdient bis zu 8 000 DM im Monat. Da sie keine Steuern zahlt und auch keinen Zuhälter aushalten muss, gehört sie zu den Top-Verdienern der jungen Bundesrepublik. Offenbar weiß keiner so gut wie sie, die Marke Sex zu vermarkten. Ihr Auftreten ist keineswegs verschämt, sondern offensiv und selbstbewusst. Sie lässt sich vor oder während des Sex von ihren Kunden fotografieren. Häufiger lädt die noch Kolleginnen ein, um auch Gruppensex zu bieten und dabei wird gegenseitig fotografiert. Diese Fotografien werden quasi als Trophäen beim nächsten Treff wieder präsentiert.
Die Polizei findet Unmengen von solchen Fotos im Nachlass der Prostituierten. Sie werden über Jahrzehnte weggeschlossen, um betroffene Männer zu schützen. Einige bisher unveröffentlichte Bilder zeigen Rosemarie Nitribitt, wie man sie bisher noch nicht sah, im vertrauten Umgang mit älteren Herren. Händchenhaltend bei einer Abendveranstaltung oder ganz intim zu zweit in ihrer Wohnung.
Auch einer der prominentesten Männer seiner Zeit findet sich in der Fotosammlung. Harald von Bohlen und Halbach, einer der sechs Söhne von Gustav von Bohlen und Halbach. Aufgewachsen in der legendären Villa Hügel in Essen. Er gehört einer der reichsten industriellen Familien in Europa an. Der Krupp-Konzern ist über Jahrzehnte die bedeutendste Stahl- und Eisenschmiede. Wäre seine Beziehung zu Rosemarie damals bekannt geworden, wäre es für die Familie und die Firma ein unglaublicher Skandal gewesen, zumal er nicht einfach nur ein Freier ist.
Nitribitt sprach den 41-Jährigen im März 1957 in der Nähe des „Frankfurter Hofes“ aus ihrem Cabrio heraus an. Nach einer kurzen Spritztour durch die Stadt hatten sie laut seiner späteren Aussage „G. V.“, also Sex. 200 DM gab er ihr danach.
Die Nitribitt sei ihm einfach „sympathisch“ gewesen, sagte von Bohlen und Halbach später. Die Anlagen des Vernehmungsprotokolls der „Spur 32“ beweisen: Harald war verliebt. Bei den „Korrespondenzunterlagen“ handelt es sich um 19 stark romantisierte Liebesbriefe und Gedichte. Er schickte Blumen und Küsse und eine Christophorus-Plakette für ihr Mercedes-Cabrio, die sie erinnern sollte, vorsichtig zu fahren. Er schrieb seiner Postkarten mit Bergmotiven aus St. Moritz, aus Tirol, aus dem „Ritz Carlton“ in Montreal, rief sie vom Apparat seiner Mutter Bertha aus an, oder besuchte sie in ihrer Wohnung. Auf einem Foto sitzt er auf ihrem Chippendalesessel. „Seiner Seele Seligkeit“ wollte von Bohlen und Halbach für eine Nacht auf ihren „mondscheinblassen“ Brüsten dahingeben. Er schenkte Rosemarie Schmuck, Perlenohrringe, eine Pferdegruppe aus Porzellan, bald besaß sie einen Schmuckkoffer aus Leder, Schweizer Uhren, Wein aus der Kruppschen Hauskellerei.
Aber was sie wirklich wollte, bekam sie nicht. Das Leben verläuft nicht nach „Pretty Woman“-Drehbuch. Nitribitts Spitzname „Gräfin Mariza“ ließ sie in der Hierarchie unter ihresgleichen aufsteigen - aber die deutschen Familiendynastien waren moralische Instanzen. Und Nitribitt war keine, die man heiratet. Er hat sie unterstützt, gefiel sich in der Rolle des Gönners, pflegten sehr enge Beziehungen. Aber es war eine Liebesbeziehung ohne Zukunft, den er schrieb auch: „Zum Heiraten müssen wir wohl auf dem Mond fliegen“. Von dem alleinstehenden Krupp-Spross hatte Nitribitt silbern gerahmtes Foto auf ihrem Musikschrank stehen. Sie bezeichnete ihn als ihren festen Freund. Von Bohlen und Halbach machte sich kaum Illusionen. Sein „Fohlen“, dem er „1000 Zuckerstücke ins Maul stecken“ wollte, musste er auf „Rehchen“