Ihr wurde erst nach dem zweiten Klingeln geöffnet.
Schon im Treppenhaus roch es intensiv nach Farbe.
Als sie es bis zu Sandys Wohnungstür hinaufgeschafft hatte, staunte sie nicht schlecht über die Aufmachung ihrer Freundin: Sandy trug ein weißes T-Shirt und Boxershorts und war über und über mit Farbe bekleckert. Ihr blondes Haar war zu einem Dutt zusammengesteckt. Darüber trug sie einen aus Zeitungspapier gefalteten Malerhut.
»Oje, ich störe.«
»Nein, ich wollte eh gerade eine Pause einlegen. Komm rein.«
»Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du renovierst? Ich hätte dir helfen können.«
»Schon gut, Schatz«, sagte Sandy und schloss die Tür hinter Paula, »aber so was mache ich am liebsten allein.«
Paula sah sich um. In fast allen Räumen war das Mobiliar in der Mitte zusammengerückt und mit Planen abgedeckt. Alles war voller Malutensilien: Farbeimer, Pinsel in unterschiedlichen Größen, Heizkörperpinsel, Rollen aus Lammfell, Teleskopstangen, Abstreifgitter, Schwämme und Tücher zum Reinigen, Cuttermesser, Klebeband und jede Menge Abdeckfolie. Nur die Küche war bislang von Sandys Renovierungswahn verschont geblieben.
»Lass uns in die Küche gehen«, sagte Sandy.
Paula folgte ihr.
Auf dem Küchentisch standen eine Flasche Veuve Cliquot und ein halb volles Glas. Sandy holte ein zweites Glas aus dem Schrank, füllte es mit der prickelnden Flüssigkeit und reichte es Paula.
»Hab nur noch zwei Flaschen.« Sie lachte. »Wird mal wieder Zeit, dass Marc Nachschub liefert.«
Marc Feldman, Londons Starastrologe, war einer ihrer ältesten Freunde. Wenn er sie besuchte, was viel zu selten vorkam, brachte er immer eine Kiste Champagner mit. Aber so war Marc nun mal.
»Der gute Marc«, sagte Paula. »Von Kopf bis Fuß ein Gentleman.«
»Ja, aber er kann auch anders sein.«
»Wem sagst du das.«
Die Damen stießen an. »Cheers!«
Nachdem sie sich hingesetzt hatten, streichelte Sandy ihrer Freundin zärtlich über die Wange. »Gut siehst du aus.«
»Danke. Du auch. Mit dem Escortservice habe ich übrigens Schluss gemacht. Ich hoffe, ich werde schnell wieder die alte Paula.«
»Das ist gut. Das war echt nichts für dich.«
»Gott sei Dank habe ich es noch rechtzeitig bemerkt. Einen Mann zu erobern, liegt mir mehr, als mich von einem wildfremden reichen Knacker in einem Hotelzimmer durchknallen zu lassen.«
»Habe ich dir doch gleich gesagt.«
»Ja, hast du. Aber ich musste diese Erfahrung erst selber machen … Der Champagner ist köstlich. Kann ich noch ein Glas haben?«
»Klar.« Sandy lächelte leise in sich hinein. Sie wusste, dass Paula von Champagner immer ganz scharf wurde. Wenn es jetzt gleich auf Sex hinauslaufen würde, wäre sie sehr einverstanden, denn ihre Pussy hatte in den letzten drei Tagen ausschließlich ihren Lieblingsvibrator zu spüren bekommen.
»Ich muss dir etwas beichten, Sandy.«
»Schieß los!«
»Erinnerst du dich an die blonde Pianistin auf Maxwell Fitchs Jacht?«
»Die Russin?«
»Ja. Ich habe sie gestern zufällig in der City getroffen.«
»Und?«
Paula senkte verlegen den Blick. »Ich glaube, ich habe mich in sie verliebt.«
»Ist nicht wahr.«
»Doch. Es kam wie ein Blitz über mich. Wir saßen im Café, haben etwas getrunken und sind dann zu mir nach Hause gefahren.«
»Und? Habt ihr?«
»Ja. Zuerst waren wir im Pool. Danach haben wir uns im Garten geliebt. Auf dem Rasen.«
»Wahnsinn.« Sandy spürte ein leichtes Pochen in ihrer Möse.
»Olga war unglaublich zärtlich zu mir, und ich bin mehrmals gekommen.«
Bei Sandy lief sofort ein imaginärer Film ab. Das ließ sich gar nicht verhindern. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie sich die Frauen küssten und streichelten und sich in Neunundsechzigerstellung gegenseitig ihre Muschis ausschlürften.
»Könntest du dir vorstellen, beim nächsten Mal dabei zu sein?«, fragte Paula.
»Eine Ménage-à-trois?« Sandy zog die Stirn kraus. »Du kennst mich, Schatz, vorstellen kann ich mir vieles. Es hängt aber von meiner Stimmung ab. Planen kann ich das nicht.«
»Glaub mir«, korrigierte Paula sie, »sobald du ihren nackten Körper gesehen hast, ist es um dich geschehen.«
»Wirklich?« Sandy lachte.
»Ja, wirklich. Ich laufe schon aus, wenn ich nur an sie denke.«
»Ich bin auch schon ganz geil«, sagte Sandy.
Paula strahlte. »Dann lass es uns jetzt tun.«
Kapitel 6
Als Marc Feldman an diesem sonnigen und warmen Morgen gut gelaunt sein Büro im vierten Stock eines vornehmen Londoner Geschäftshauses betrat, erwartete ihn bereits eine aufgeregte Sekretärin.
»Guten Morgen, Marc.«
»Guten Morgen, Carolyn.«
»Megan Fitch hat angerufen. Du möchtest sie, so schnell es geht, zurückrufen. Es sei sehr wichtig.«
Megan Fitch war die vierunddreißigjährige Tochter des legendären Medientycoons Maxwell Fitch. In sechs Monaten sollte sie die Leitung seines Medienkonzerns MFMG übernehmen.
»Hm. Hat sie irgendeine Andeutung gemacht?«, fragte Marc.
»Nein.«
Marc schossen alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Was kann sie von mir wollen? Ich dachte, das Thema hätten wir abgeschlossen? Er wählte ihre Nummer.
»Hi, Megan. Was kann ich für dich tun?«, fragte er.
»Hi, Marc. Danke für deinen Rückruf. Marc, ich bin mir sicher, dass bei Selenas Hypnose etwas falsch gelaufen ist.«
Marc spulte den Film der letzten Tage zurück: Selena Davies war noch vor wenigen Tagen die Pressesprecherin in Fitchs Medienimperium gewesen. Anlässlich einer Hypnosesitzung mit dem berühmten Sexhypnotiseur Dr. James Galloway war herausgekommen, dass Selena in höchst dubiose Machenschaften mit zwei kriminellen Russen – Viktor Burjakin und Sergej Borovski – verwickelt war. Dadurch war ihr weiterer Verbleib in Fitchs Medienkonzern eigentlich unmöglich geworden. Aber Maxwell Fitch glaubte nicht an Aussagen, die während einer Hypnosesitzung gemacht worden waren. Erst auf Drängen seiner Tochter hatte er seine Pressesprecherin auch sicherheitsdienstlich überwachen lassen. Und erst diese Überprüfung hatte ihn von der Notwendigkeit überzeugt, Selena Davies umgehend von ihren Aufgaben zu entbinden.
»Was meinst du mit falsch gelaufen?«, fragte Marc.
»Ich glaube, Selena hat herausgefunden, dass James sie hypnotisiert hat.«
»Das ist aber eigentlich unmöglich. James hat uns doch versichert, dass sich keine Person an eine Hypnose erinnern kann, wenn er es ihr suggeriert.«
»Es gibt Ausnahmen, Marc. Ich habe schon mit James telefoniert.«
»Und was genau hat er gesagt?«
»Er hat gesagt, dass er zwar von keinem konkreten Fall wisse, wo sich der Hypnotisierte an die Hypnose erinnerte, dass es in Einzelfällen aber durchaus möglich sei. Nämlich dann, wenn ein Mensch während der Hypnose unter starkem Drogeneinfluss stehe. Vor allem Kokain könnte