Zu Weihnachten bekam Archie Urlaub. Die Verlobten trafen sich in Bristol, wo Peg Hemsley, Archies Mutter, mit ihrem zweiten Ehemann William lebte. Dort standen sie einander gegenüber, frierend, befangen, um Worte verlegen.
»Es war, als müssten wir wieder ganz von vorn anfangen«, so Agatha im Rückblick. »Der Unterschied zwischen uns beiden machte sich sofort bemerkbar. Seine betonte Lässigkeit, sein frivoles Gehabe störten mich. Ich wiederum war ernster und empfindsamer geworden und hatte die Unbeschwertheit meiner glücklichen Mädchenzeit weitgehend abgelegt. Es war, als bemühten wir uns vergeblich, einander näherzukommen, als entdeckten wir bestürzt, dass wir vergessen hatten, wie wir das anstellen sollten.«
»Ich bin befördert worden«, sagte Archie, »ich habe eine Belobigung für Tapferkeit erhalten.«
»Die hast du verdient.«
»Aber ich werde mit der Fliegerei Schluss machen müssen, ich halte den Luftdruck in der Höhe nicht aus. Irgendwas in meinen Nebenhöhlen ist geplatzt.«
»Ach ja? Wie schrecklich.«
»Ich werde zur Artillerie versetzt.«
Archies Mutter brachte Tee. Ihr Gatte scherzte mit dem Stiefsohn und klopfte ihm auf die Schulter. »Der Krieg wird am Boden entschieden, mein Junge, es ist gut, zur Artillerie zu gehen. Schießt ihn in den Grund, den Kaiser, gebt ihm Saures mit den Kanonen.« Archie lächelte gequält. Er hatte den Krieg erlebt, konnte aber nicht darüber sprechen und wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Agatha hatte um ihn gebangt und wünschte, sie könne ihrer Freude Ausdruck verleihen, dass er nun bei ihr war. Aber es war ihr nicht möglich. Sie hätte auch gern von ihrer Arbeit im Hospital erzählt, doch wenn sie dazu ansetzte, blieb ihr die Stimme weg. Alles was sie fühlte war: Er ist mir fremd, er ist mir entsetzlich fremd. Als Archie ihr dann sein Geschenk überreichte, brach sie in Tränen aus. Sie schrie ihn an: »Was soll das?« Es war kein Ring, kein Armband, kein seidenes Tuch – es war etwas Praktisches, ein Reisenecessaire. Dieser Verstoß gegen alle Regeln einer romantischen Courtoisie warf Agatha um. Sie forderte ihn auf, das Geschenk zum Lederwarenhändler zurückzubringen. Er knallte die Tür. Als er wiederkam, passte sie ihn in der Diele ab, gab ihm ihre Hände und flüsterte: »Es tut mir so leid. Lass uns nie mehr streiten. Lass uns wieder gut sein, für immer. Wie ist das: Kannst du nicht bald noch einmal Urlaub nehmen, damit wir heiraten können?«
Archie schüttelte den Kopf und redete mit gepresster Stimme auf sie ein: »Es geht nicht, das weißt du. Es wäre völlig falsch. Man darf es nicht übereilen. Du kriegst eine Kugel ab, es erwischt dich, und du lässt eine junge Witwe zurück, am Ende ist auch noch ein Kind unterwegs. Nein, das wäre egoistisch und falsch.«
Agatha stand wortlos da. Dann sprach sie, zitternd: »Ich sage dir jetzt mal, was hier passiert, Archie. Es ist das Luftfahrtministerium, dem wir unser Glück opfern, es ist deine Fliegerstaffel, es ist der Krieg. Ist es das wert? Sag mir ins Gesicht, dass du England und seinem Kriegsministerium enger verbunden bist als mir.«
Archie schwieg. Er sah bitter aus und plötzlich viel älter. Eine Weile ging er auf der Diele hin und her. Dann blieb er vor ihr stehen, packte sie bei den Ellenbogen und rief:
»Ja, du hast recht, Schluss mit dem Hin und Her. Kein Aufschub mehr, Agatha. Wir heiraten heute noch.«
»Bist du verrückt?«
»Ja. Wir heiraten sofort.«
»Aber es dauert Wochen, bis man eine Lizenz bekommt.«
»Im Krieg werden Ausnahmen gemacht. Ich weiß das ganz sicher. Ein Kamerad hat kürzlich –«, und da hatte er ihr schon den Mantel umgelegt und sie zur Tür geschoben. »Lass uns sofort alles in die Wege leiten. Morgen müssten wir es hinbekommen.«
»Aber morgen ist Heiliger Abend!«
»Ein guter Tag zum Heiraten!«
Und in der Tat, Archie kriegte es hin. Als Offizier erhielt er eine Sondergenehmigung, für acht Pfund ergatterte er eine Heiratslizenz, er und seine Verlobte mussten nur ihre Ausweise vorzeigen. Zur Trauung liefen sie in die Gemeindekirche des Bristoler Bezirks Clifton, William Hemsley begleitete sie als Trauzeuge, und unterwegs trafen sie – was für ein Zufall! – eine Freundin Agathas aus Torquay, die hier Verwandte besuchte. »Du musst mit mir kommen und unsere Trauzeugin sein«, rief Agatha und zog die Freundin am Ärmel mit sich fort. In der Kirche übte gerade ein junger Organist. Agathas Schwiegervater forderte ihn auf, den Hochzeitsmarsch zu intonieren, während Archie zum Hilfspfarrer in die Sakristei stürmte: »Kommen Sie schnell, Sie müssen uns trauen!« Da stand nun Agatha in einem schlichten Straßenkostüm mit ihrem Flieger vor dem Altar, ohne Hochzeitsgesellschaft, ohne Brautstrauß und ohne Ring, aber sie tat endlich das, was sie so lange schon hatte tun wollen: sie heiratete. »Als die Zeremonie begann«, so erinnerte sie sich später, »dachte ich einen traurigen Moment lang, dass wohl keine Braut jemals weniger Mühe auf ihr Aussehen verwendet hat. Kein Brautkleid, kein weißer Schleier, nicht einmal ein hübsches Kostüm.« Dafür ein hübscher Mann an ihrer Seite und die tiefe Befriedigung, nun Mrs Christie zu sein.
Clara, Madge und Archies Mutter – sie waren alle empört über diesen Coup und tief enttäuscht darüber, um ein großes Fest gebracht worden zu sein. Das junge Paar nahm das in Kauf. Der Krieg veränderte die Prioritäten, auch das zivile Leben verlief jetzt anders, man machte sich seine Regeln neu, und vieles, was früher unverzichtbar erschienen war wie etwa eine Hochzeit in Weiß, war jetzt nicht mehr wichtig. Archie buchte per Telefon im Grandhotel Majestic von Torquay ein Zimmer, die Brautleute fuhren hin und verbrachten ihre Hochzeitsnacht in Agathas Heimatstadt. Weihnachten feierten sie in Ashfield. Drei Tage später musste Archie zurück an die Front.
Agatha nahm ihren Dienst im Lazarett wieder auf. Es gab viele Gründe für sie, den Krieg zu verfluchen: er hatte ihr den Ehemann weggenommen, und er nötigte sie, ihre Tage mit Sterbenden zu verbringen, in einem Miasma aus Blut und Chloroform, er hielt sie fest in ihrem Elternhaus, aus dem sie sich nun gerade mutig wegbewegen wollte. Sosehr sie immer noch an Ashfield hing – den Anfang des Ehelebens hatte sie sich als Nestbau vorgestellt, als den Erwerb und die Einrichtung eines Hauses, darauf insbesondere hatte sie sich gefreut, und nun wurde nichts daraus. Stattdessen: Hilfsdienst, täglich, auch sonntags. Zu Hause: der blinden Großmutter vorlesen, mit dem Strickzeug im Wohnzimmer hocken, dem Stubenmädchen zur Hand gehen, Schränke aufräumen, im Garten mit anfassen. Zwischendurch stahl sie sich ins Schulzimmer, um ein bisschen zu schreiben. Für ihren ersten Roman hatte sie keinen