Osterläuten. Friederike Schmöe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friederike Schmöe
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839267783
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stimmt«, antwortete Mia.

      8.

      »André, ich muss noch wegen eines Kleiderschranks aus zweiter Hand in die Pödeldorfer Straße«, sagte Mia.

      André hockte auf dem Gang, die Schultern hochgezogen, den Blick auf den Boden gerichtet.

      »Schon gut, warte nicht auf mich. Das dauert sicher wieder ewig. Kennt man ja schon. Die werden mich in die Mangel nehmen. Mord. Da ist doch der Ehemann sofort unter Verdacht, stimmt’s?«

      Mia blickte zu Kommissar Eyrich, der in der Tür zu seinem Büro lehnte und wartete, dass er mit Andrés Vernehmung loslegen konnte.

      »Wir telefonieren, in Ordnung?«

      »Klar.«

      Sie ging den Gang hinunter. Fühlte sich wie in einem Albtraum, aus dem sie in Kürze aufwachen musste. Wie in den Nächten, in denen sie spürte: Ich träume doch, verdammt. Jetzt allerdings fehlte die Erleichterung, die sie sonst empfand, wenn sie aus dem Schlaf hochfuhr und feststellte: alles nur ein Traum.

      Eyrich würde André grillen. Er würde umsichtig vorgehen, höflich, immerhin hatte André sich auf das Phantombild hin selbst bei der Polizei gemeldet. Doch schließlich würde er immer mehr Druck machen, denn André war nun einmal der Ehemann, und ein Großteil der Tötungsdelikte waren Beziehungstaten. Eyrich würde nach Details suchen, in denen man sich verheddern könnte, die dunklen Ecken der Erinnerung abtasten. Absurd nur, sich einzubilden, André könnte irgendjemandem den Kopf abhacken. Noch dazu seiner Frau!

      Mia spürte Brechreiz in sich hochkommen. Welcher Mensch war überhaupt dazu imstande?

      Sie musste das alles ausblenden, wenigstens für kurze Zeit. Irgendetwas Normales tun, und nicht an den Wald denken, an das Flatterband und an den Schädel. Der Schrank kam ihr da gerade recht.

      Entschlossen stieg Mia auf ihr Rad und trat in die Pedale. Fünf Minuten später hielt sie vor der angegebenen Adresse in der Pödeldorfer Straße, einem mehrstöckigen Wohnhaus. Sie läutete bei »Obenhaus«. Tief drin im Haus hörte sie die Glocke schellen. Endlich riss jemand die Tür auf.

      »Sorry, der Türöffner ist kaputt. Bist du Mia?«

      »Die bin ich.«

      »Lars. Du bist spät dran.«

      Der Typ trug Cargohosen, ein ausgeleiertes Shirt und hielt seine blonden Locken mit einem bunten Stirnband zurück. Er mochte um die 30 sein, Typ Naturbursche.

      Mein Gott, es geht um einen Schrank, dachte Mia. Nicht ums Überleben.

      »Ging nicht anders. Tut mir leid.«

      »Du hast Glück. Die anderen Interessenten haben abgesagt. Wegen der Maße. Die haben nicht gepasst.«

      »Aha.«

      Erzähl mir doch nichts. Du hast von Anfang an geblufft.

      »Also komm mit.«

      Mia folgte Lars durch einen engen Hausflur hinaus in einen Hinterhof.

      »Im Hinterhaus liegt meine Werkstatt.«

      Die typischen Bamberger Hinterhäuser, dachte Mia. Manche waren bessere Schuppen, andere zu Wohnhäusern ausgebaut. Man ahnte von der Straße aus oft nicht einmal, dass es diese Höfe gab, geschweige denn, was sich in ihnen verbarg.

      Hier war es ein würfelförmiges Hinterhaus. Ein Schild, »Lars Obenhaus, Haushaltsauflösungen und Entrümpelungen«, war ein wenig schief auf das grün gestrichene Tor genagelt worden. Zum ersten Stock führte eine Außentreppe aus Holz. Auf der untersten Stufe hockte mit verschmitztem Grinsen ein aus Schrottteilen zusammengebastelter Osterhase. Hinter dem Gebäude ragte eine Birke auf und streichelte mit ihren zartgrünen Zweigen das Dach.

      Er kramte in seinen Hosentaschen. »Eigentlich habe ich was Hochgeistiges studiert, aber die praktische Arbeit macht mir mehr Spaß. Ich habe ganz schön viel zu tun, beinahe zu viel für einen Ein-Mann-Betrieb. Man möchte nicht glauben, wie viele Haushalte gerade aufgelöst werden.«

      Mia nickte. Ihre Höflichkeit war lange genug antrainiert, um ein Gespräch aufrechtzuerhalten, das sie nicht interessierte. Sie wusste nicht einmal, ob sie den Schrank überhaupt noch wollte. Allenfalls, um sich darin zu verkriechen und unsichtbar zu werden. Für Hauptkommissar Eyrich vor allem. Ihr Magen krampfte sich beim Gedanken an neue polizeiliche Vernehmungen zusammen. Die Ermittlungen hatten sich damals festgefahren. Es würde wieder so sein. Wo sollte man schließlich elf Jahre nach Monikas Tod neue Zeugen oder Beweise auftreiben?

      Die Sonne lugte durch die Wolken, schien ihr mitten ins Gesicht. Mit einem Mal merkte Mia, wie warm die Strahlen schon waren. Sie kniff die Augen zusammen, während Lars ein Vorhängeschloss löste und die Tür aufschob. Im Halbdunkel lagerten Möbel über Möbel. Der Raum war groß und nahm die komplette Fläche des Gebäudes ein. Lars betätigte einen Lichtschalter. Rechts an der Wand befanden sich Stühle in allen Formen und Macharten. Das Fenster an der Seitenwand war beinahe zugestellt. Es folgten im Uhrzeigersinn Tische, Sitzbänke, Bettgestelle. Und Schränke. Der Geruch nach Lack und Holzleim hing in der Luft. An der hinteren Wand befand sich eine Werkbank mit allerlei Werkzeug und Farbeimern. Daneben stand ein pinkfarbener Kühlschrank.

      »Verkaufst du das alles?«

      »Klar. Der weiße Kleiderschrank da, das ist der, für den du dich interessiert hast.«

      Er deutete auf einen schmalen Schrank. Nur zwei Türen. Als er sie öffnete, flackerte die Lampe und erlosch. Es wurde dämmrig in dem vollgestellten Raum.

      »Entschuldige.« Lars kramte eine Taschenlampe aus einer seiner vielen Hosentaschen. Der Lichtkegel fiel in den Schrank. Die linke Seite war in Fächer eingeteilt, rechts gab es eine Kleiderstange. »Gefällt er dir?«

      Mia berührte das billige Furnier. Besser als nichts. Besser als die Umzugskartons, in denen ihre Klamotten seit Monaten lagerten. Und er würde garantiert in ihr winziges Schlafzimmer passen.

      »25. Mehr ist er nicht wert.«

      Lars lachte. »Komm, das Teil kostet neu an die 200 Euro. 30 muss ich schon dran verdienen.«

      Mia zog die Augenbrauen hoch.

      »Quatsch. Davon ziehe ich gleich mal 100 ab!«

      »Nee, echt, ich verarsche dich nicht.« Lars knipste die Taschenlampe aus. »Bist du mit dem Auto da? Ich baue dir das Ding auseinander und helfe dir beim Verladen.«

      Plötzlich begannen sich die Möbel um Mia zu drehen. Sie streckte die Arme aus und hielt sich an dem Schrank fest. Er wackelte.

      »Ist alles okay mit dir?«

      Verdammt noch mal, nein. Die haben den Schädel meiner besten Freundin im Wald gefunden, nach elf Jahren.

      Lars reagierte sofort. Blitzschnell brachte er einen Stuhl.

      »Setz dich erst mal. Bist du schwanger, oder was?«

      »Spinnst du?« Sie ließ sich auf den Stuhl fallen.

      Er hob die Hände. »Okay, tut mir leid. Ich dachte nur, wenn Frauen mit einem Mal schlecht wird, also …«

      »Das wäre echt harmlos.« Es rutschte ihr einfach raus.

      »Was?«

      »Wenn mir wegen einer Schwangerschaft schlecht wäre.«

      »Warum ist dir denn dann schlecht?«

      Weil wieder alles von vorn beginnt. Weil ich aus dieser verdammten Geschichte nicht rauskomme. Weil ich nicht imstande war, Monika zu helfen. Weil ich gar nichts tun konnte. Und jetzt wieder nicht.

      »Ich vertrage den Lackgeruch nicht.«

      Lars starrte sie an. »Ach so.« Er schien fast ein wenig enttäuscht. »Echt nicht?«

      Mia krümmte sich zusammen. Sie musste einfach nach Hause, was essen, wenigstens eine Kleinigkeit, der viele Kaffee machte sie fertig. Und sie wollte ins Bett, sich verstecken, von niemandem mehr angesehen werden.