Osterläuten. Friederike Schmöe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friederike Schmöe
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839267783
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      Mia ersparte sich eine Antwort und setzte sich.

      »Hast du auf deine Bewerbungen hin was gehört?«, fragte Simone Wagner.

      »Nein, leider nicht.«

      Danke, dass du mich mal wieder verunsicherst.

      »Habt ihr heute schon ins Internet geguckt?«

      »So früh am Morgen?« Carsten Wagner stand auf und küsste seine Tochter auf die Wange. Obwohl ein Jahr älter als seine Frau, wirkte er jugendlicher. Einer, der gern mal ein Glas Wein trank und ein großes Schnitzel vertilgte. Der oft wandern ging und mit ein paar Freunden regelmäßig Volleyball spielte.

      Mia zog ihr Handy hervor. »Hier.« Sie klickte im Browser auf »Synchronisieren«. Wenige Sekunden später baute sich das haarlose Gesicht auf.

      Carsten Wagner nahm Mia das Telefon ab, fischte seine Lesebrille aus der Hemdtasche. »Ach du lieber Himmel. Kann das wahr sein?«

      Mia zuckte die Achseln.

      »Simone? Schau dir das mal an!«

      Simone Wagner trug gerade eine Kanne Kaffee und eine Tasse für Mia herein. »Bediene dich, Mia. Was ist?«

      Beim Blick auf ihren fassungslosen Ehemann nahm sie alarmiert das Handy.

      »Sie ist es, oder?«, fragte Carsten Wagner.

      »Was soll das bedeuten? Was heißt das? Mia?« Simone ließ das Handy sinken.

      »Jemand hat im Wald bei Tiefenellern einen skelettierten menschlichen Schädel gefunden, daraufhin hat die Polizei mit Hilfe einer Weichteilrekonstruktion diese Zeichnung generiert.«

      Simone und Carsten sahen einander an.

      »Monika«, seufzte Carsten schließlich. »Mein Gott!«

      Er goss sich Kaffee ein. »Mia, du auch?«

      »Ich war eben bei André.« Mia schob ihm ihre Tasse hin.

      Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht. Nur ein Schädel? Und was hat Monika dort im Wald gemacht? Ich dachte, das Auto war irgendwo im Aufseßtal.«

      »Entscheidend ist im Moment nur, dass es Monika ist.«

      Mia trank ihren Kaffee.

      »Entschuldigt. Ich … das muss ich erst mal verdauen.« Simone hastete aus dem Zimmer.

      Ich habe mich nicht getäuscht. Es ist Monika.

      Monika und André Böhme, langjährige Freunde der Wagners und dann sogar deren Nachbarn. Für ein Jahr, ehe alles zerbrach. Ein Jahr, in dem Mia und Monika zusammenfanden. Monika, die mütterliche Freundin und Ratgeberin. Mia, die Tochter, die Monika sich wünschte. Monika war 16 Jahre älter als Mia, aber in vielerlei Hinsicht tickten sie ähnlich. Sie teilten Interessen, verstanden einander ohne viele Worte.

      Mia stand auf, ging zum Fenster. Blickte auf das Nachbarhaus. Auf die Pergola, die mittlerweile komplett umwachsen war. Die Kletterpflanzen hatte André gesetzt.

      Ein Jahr nach Monikas Verschwinden war er ausgezogen. Nachdem er seinen Job aufgegeben hatte, war ihm das Haus zu teuer gewesen. Und es erinnerte ihn zu sehr an die gemeinsamen Träume. Die er nie mehr verwirklichen würde.

      Im selben Jahr war Mia zum Studium weggezogen.

      »Wer wohnt jetzt eigentlich dort?«

      »Das Haus hat eine Hallstadter Firma gekauft und stellt es ausländischen Mitarbeitern zur Verfügung«, sagte Carsten. »Bis Neujahr wohnte ein Paar mit zwei kleinen Jungs dort. Die sind inzwischen wieder in Alabama.«

      »Es steht leer?«

      »Im Moment schon.« Er trat neben seine Tochter.

      Sie roch sein Aftershave. Der Zahnarzt. Der sich makellos gekleidet und gepflegt über seine Patienten beugte. Der Mann, der immer einen Weg wusste. Halb erwartete sie, dass er sie auf ihre berufliche Planlosigkeit hinweisen würde. Stattdessen sagte er: »Und jetzt?«

      »André wird zur Polizei gehen.«

      Ihr Vater drückte sie kurz an sich. Mia schloss die Augen.

      Sag mir, dass das alles nicht wahr ist. Oder bring mich weg von hier.

      »Wir müssen in die Praxis. Wenn du willst, trink in Ruhe aus. Um 9 Uhr kommt Frau Röder zum Aufräumen.«

      »Geht klar.«

      »Bis die Tage.«

      4.

      Jemand hatte den Garten in all den Jahren gepflegt. Die Sträucher zurückgeschnitten, die Beete in Schuss gehalten. Hie und da spitzten Krokusse aus dem Rasen, und der Weißdorn in der Hecke bildete erste grüne Blättchen aus. Der Regen hatte aufgehört, der Himmel riss ein Stück auf. Mia schritt langsam durch den Garten. Unter ihren Boots schmatzte der Boden. Vor der Pergola standen große Terrakottatöpfe, in denen Reste von Tomatenpflanzen kompostierten.

      Sie war nie wieder hier gewesen, seit André ausgezogen war. Das Studium hatte sie abgelenkt, Bamberg lag seinerzeit in weiter Ferne. Dann war sie zurückgekehrt. Wahrscheinlich, weil jeder irgendwann zurückkehrte und die Konfrontation mit irgendetwas suchte. Und wenn es nur die Konfrontation mit der Wirklichkeit war, dass sie keinen Job fand mit ihrem Abschluss. Jedenfalls nicht so schnell und nicht so leicht, wie sie es sich erhofft hatte.

      Damals, zu Ostern, hatte Monika die Sträucher mit selbst bemalten Ostereiern geschmückt. Einen Strauch mit gelben, einen mit blauen. Sie hatte Spaß daran gehabt. Eine Macherin, die andere an ihrer Kreativität gern teilhaben ließ.

      Mia blieb stehen. Die Fenster sahen sauber aus, als hätte jemand sie gerade erst geputzt. Bestimmt würde das Haus nicht allzu lange leerstehen. Nicht in der Lage. Sie trat in die Pergola. Stühle und Tisch duckten sich unter einer Plastikfolie. Bald würde man wieder draußen sitzen können. Wie damals, in jenem Sommer, als Mia und Monika beratschlagt hatten. Was soll ich studieren?, war Mias drängendste Frage gewesen. Sie hatte so viele Interessen. Jede Entscheidung für ein Studienfach bedeutete eine Entscheidung gegen ein anderes.

      Eine Hummel surrte durch die Luft.

      So früh im Jahr?

      »Aber es ist doch bald Ostern«, hörte Mia eine Stimme.

      Sie fuhr herum. Da war niemand. Das Haus lag leer und still. Kein Lebenszeichen.

      Mias Herz hämmerte. Es tat ihr nicht gut, hier zu sein. Monika war tot. Das bewies der Schädel. Sie und André hatten eine Aufgabe vor sich: herauszufinden, was mit Monika geschehen war.

      Jemand hatte sie umgebracht. Suizid kam einfach nicht infrage. Monika Böhme war ein lebensbejahender, offener, praktischer Mensch gewesen. Sie und André hatten Träume und Pläne: Dieses Haus, anschließend eine Familie, möglichst zwei Kinder, ein Hund. Das hatte Monika oft gesagt und dabei herzlich gelacht. Weil der Hund unbedingt zu dem Bild einer perfekten Familie dazugehörte. Genauso wie das Haus mit Garten.

      Auch im Job gab es keine Probleme. Als Monika verschwand, hatte sie längst eine Festanstellung in einem großen Architekturbüro. Eine kluge, ehrgeizige Frau, die ihr Job mit Freude erfüllte.

      Nein. Sie hatte sich nicht umgebracht. Sie war getötet worden, und der Mörder lief seit elf Jahren da draußen in der Welt herum, ohne je belangt worden zu sein. Ein Mensch, den niemand als Täter in Betracht gezogen hatte. Und Monika Böhme bestand nur noch aus einer Datenspur in der Vermisstenkartei der Polizei.

      Ich muss herausfinden, was passiert ist. Wenigstens das.

      Die Wolken zogen sich weiter zurück, Sonnenstrahlen brachten den nassen Garten zum Glitzern. In Kürze würden Büsche und Bäume üppig blühen. Mia schluckte die Tränen hinunter. Sie drückte die Nase gegen die Fensterscheibe. Im Wohnzimmer, von Monika und André so liebevoll eingerichtet, standen nun schlichte Möbel, frisch aus dem IKEA-Katalog: Tisch und Stühle, ein Sofa, eine Schrankwand. Wahrscheinlich vermietete besagte Firma das Haus möbliert.

      Ich