Den Rest des Weges legten sie im Laufschritt zurück. Schon von Weitem konnten sie die Eingeborenen sehen. Sie umgaben die PROKYON X in einem weiten Kreis, wie eine lebende Mauer. Taff sah sich nach Welgun um, konnte ihn jedoch nirgends entdecken. Vermutlich war der Dorfhüter mit auf die Fahrt zur »Insel der Großen Mutter« gegangen, die angebliche Reise in ein anderes Dorf war nichts weiter als Täuschung gewesen.
Niemand stellte sich jedoch der Crew in den Weg. Die Letho-Dimonds wichen nach den Seiten zurück, als sie sie kommen sahen, und ließen sie unbehelligt passieren. Ein drückendes Schweigen lag über der Szene, selbst die Kinder gaben keinen Laut von sich. Taff verzichtete darauf, Fragen zu stellen, auf die er mit Sicherheit keine Antwort bekommen hätte. Er löste die Sperre des Zentrallifts, der gleich darauf mit ihnen nach oben schoss.
»Sofort in den Maschinenraum, Lars«, ordnete er an. »Wir starten umgehend, gehen auf Nordkurs und beginnen mit der Suche. Die Ruderboote sind langsam, und wenn wir ...«
»Daraus wird nichts, Taff!«, unterbrach ihn Orvid Bashkiri. »Die Eingeborenen haben ihren Ring derart verengt, dass wir nicht starten können, ohne sie umzubringen. Wir können nicht einmal die Lähmstrahlen einsetzen, denn sie befinden sich im toten Winkel.«
Die Bildschirme bestätigten seine Hiobsbotschaft. Caine sagte ein wenig feines Wort, aber das änderte nichts an der Lage. Die Crew beriet sich, fand jedoch keinen Ausweg aus ihr. Selbst der vorsichtigste Start mit den Hilfsdüsen hätte das Leben aller Eingeborenen gekostet.
»Wir sind keine Mörder«, sagte Taff. »Ein Weg bleibt uns aber noch, nämlich der, mit einem Spear auszufliegen. Luca, schnell in den Hangar, bereite eines der Boote zum Start vor. Im Notfall können wir auch damit das Brain-Team retten.«
Er zuckte zusammen, denn im gleichen Augenblick wurden auf der Außenhülle des Schiffes polternde Geräusche laut. Hastig sah er auf die Bildschirme, und dann erstarrte er.
Die Letho-Dimonds erwiesen sich als äußerst einfallsreich. Sie schleuderten Seile über das Schiff, an denen Steine, Holzstücke und andere Dinge befestigt waren. Ein Teil davon glitt ab und fiel zurück, aber etwa die Hälfte verfing sich in den Antennen und anderen Vorsprüngen des Schiffskörpers. Schon Sekunden später klommen Dutzende von Männern an den Seilen empor. Sie krallten sich mit Händen und Füßen in allen Unebenheiten auf der Hülle fest und blockierten mit ihren Körpern auch das Startluk für die Spears.
Caine aktivierte die Bordsprechanlage. »Kommando zurück, Luca«, sagte er mit matter Stimme. »Lavazza hat dem Dorfhüter einen beachtlichen Intelligenzquotienten bescheinigt, aber die anderen scheinen auch nicht viel dümmer zu sein. Sie spekulieren ganz offen darauf, dass wir ihr Leben schonen werden, und damit haben sie verdammt Recht.«
Mitani nickte resigniert. »Wir sind gekommen, um ihre Verhaltensweisen zu studieren, aber sie haben den Spieß umgedreht. Vielleicht haben sie auch ihre schwarzen Spiegel befragt und sich bei ihnen Rat geholt. Wie wäre es, wenn du dasselbe versuchen würdest?«
Taff befolgte ihren Rat, aber ohne Ergebnis, die schwarze Spiegelfläche reagierte nicht. »Wenn schon etwas schiefgeht, dann aber gründlich«, seufzte er. »Und das ausgerechnet uns, der glorreichen PROKYON-Crew! Ich werde später meinen Bericht an das Regierende Triumvirat erheblich frisieren müssen, wenn unser Image erhalten bleiben soll. Irgendwie muss es uns aber gelingen – ja, da sind ja noch die Reparaturluks! Eines von ihnen wird bestimmt frei sein, und das genügt, um eine kleine Antigravplatte auszuschleusen, auf der wir gerade Platz haben! Allerdings werden wir damit warten müssen, bis es dunkel ist, sonst machen uns die Eingeborenen auch noch einen Strich durch diese Rechnung.«
7
Geräuschlos glitt das Luk auf, und die kleine Plattform schwebte ins Freie, von Luca Ladora gesteuert. Sie bot der Crew gerade genügend Platz, war aber erheblich überlastet. An einen Flug zur »Insel der Großen Mutter« mit ihr war einfach nicht zu denken.
Im schwachen Licht der Sterne erkannten die Menschen die dunklen Körper der Letho-Dimonds, die nun schon seit Stunden auf der Schiffshülle lagen. Auch sie mussten die Ausbrecher bemerkt haben, denn unter ihnen wurden erregte Ausrufe laut. Einige versuchten, kriechend das Luk zu erreichen, aber es war bereits zu spät. Auf einen Funkimpuls hin schloss sich die Öffnung wieder, und das Gefährt schwebte schwankend durch die Nacht davon.
»Erste Phase geglückt!«, feixte der Kybernetiker. »Fliegen können die Brüder zum Glück ja nicht, also können sie uns auch nicht mehr aufhalten. Wohin jetzt, großer Meister?«
»Zum Anlegeplatz der Boote, die wir heute benutzt haben«, bestimmte Taff und griff hastig nach einem Verpflegungsbeutel, der abzurutschen drohte. »Wir nehmen das größere, es ist stabiler, lässt sich aber trotzdem gut rudern.«
Gleich darauf hatten sie den Hafen erreicht, in dem die Fahrzeuge der Eingeborenen in der schwachen Dünung dümpelten. Die Flut hatte ihren höchsten Stand erreicht, und Caine nickte befriedigt. »Die Ebbe wird bald eintreten, ihr Sog wird das Boot mitnehmen, so dass wir unsere Kräfte schonen können. Die Plattform müssen wir leider zurücklassen, hoffentlich ... Heh, da ist doch jemand!«
Er riss die Nadelpistole heraus und schob gleichzeitig eine Infrarotbrille vor die Augen. Auch die anderen fuhren herum und gingen in Abwehrstellung, aber plötzlich lachte Taff leise auf.
»Kaiakan ...! Was tust du denn hier?«
Der Junge löste sich von dem Gestell mit Netzen und kam auf ihn zu. »Ich habe gewusst, dass es euch gelingen wird, aus dem Wolkenschiff zu entkommen, Mensch Taff. Ihr wollt zu euren Gefährten, und dazu braucht ihr ein Boot, also musstet ihr hierher kommen.«
»Ein wirklich kluges Kind«, staunte Orvid Bashkiri. »Wir dürfen uns aber nicht aufhalten lassen, die Letho-Dimonds kommen im Galopp angerast. Schnell ins Boot, dann nichts wie ab.«
»Sinnlos«, sagte Taff. »Sie würden uns eingeholt haben, ehe wir am ersten Riff sind. Dorit, du schaffst die Sachen ins Boot, ich übernehme es, die Eingeborenen aufzuhalten. Alle anderen nehmen die Strahler und schießen Löcher in die restlichen Fahrzeuge, klar?«
Der erste Mond ging gerade auf. In seinem Schein erkannte Caine die Gestalten, die nur noch fünfzig Meter entfernt waren. Er hatte den Nadler mit der Handlaserwaffe vertauscht und drückte nun ab. Der gleißend helle Strahl durchschnitt das Dunkel und köpfte einen Baum, dessen Krone polternd zu Boden fiel. Schrille Angstschreie wurden laut, die Verfolger wandten sich eilig zur Flucht. Caine lachte grimmig auf und begab sich zu den anderen.
Fünf Minuten später gab es kein einziges seetüchtiges Boot mehr. Die Crew bestieg ihr Fahrzeug, und der Commander sah nachdenklich auf Kaiakan, der abwartend dastand.
»Wir können den Jungen nicht hier zurücklassen, Freunde. Die Dorfbewohner haben ihn in unserer Gesellschaft gesehen und würden ihn in ihrer Enttäuschung vielleicht umbringen. Komm, Kaiakan, du fährst mit uns.«
Der Junge stieg wortlos ein, Taff machte die Halteleine los, stieß das Boot ab und sprang hinein. Schweigend handhabten die Männer die breiten Paddel, und bald schossen sie in schneller Fahrt dahin. Auch der zweite Mond ging auf, das Meer wurde zu einem silbernen Spiegel, in dem die dunklen Silhouetten der Inseln und Korallenriffe gut auszumachen waren.
Sie ruderten bis zum Morgen. Als die Sonne aufging, war die Küste nur noch als dunkler Strich zu erkennen. Taff ordnete eine Pause an, sie aßen und tranken von den mitgebrachten Vorräten. Lars Gunnarsson sah Taff fragend an.
»Soweit sind wir, aber wie geht es weiter? Niemand von uns weiß auch nur annähernd, wo sich die ominöse Insel befinden mag. Wenn wir Pech haben, finden wir sie nie.«
Caine zuckte mit den Schultern. »Ein Patentrezept habe ich leider nicht anzubieten, Lars. Wir können nur weiter stur nach Norden rudern und auf den Zufall hoffen. Er ist zwar ein sehr unberechenbarer Geselle, war aber schon oft auf unserer Seite.«
»Wir hätten den Stern der Menschheit mitnehmen sollen«, spöttelte Luca. »Er hätte uns erleuchtet