Das vorliegende Buch möchte dieses Missverhältnis durch eine ausgewogenere Darstellung des gesamten Kriegsverlaufes beheben. Einige Besonderheiten dieses Ansatzes werden im Einführungskapitel erläutert. Entscheidend ist dabei, dass der Dreißigjährige Krieg als ein eigenständiger Konflikt betrachtet wird, der um die politische und religiöse Ordnung Mitteleuropas geführt wurde – und nicht als Teil eines großen europäischen „Gesamtkonflikts“ während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Zwar bringt diese Betrachtungsweise des Krieges als Einzelkonflikt eine gewisse Vereinfachung mit sich; aber andererseits lenkt sie die Aufmerksamkeit auf seine Ursprünge in den komplexen Verhältnissen, die das Heilige Römische Reich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts prägten. Der erste Teil des Buches soll diese Hintergründe erklären und den Krieg gerade dadurch, auf eine andere Weise als die gerade beschriebene, in seinen europäischen Kontext einbetten. Der zweite Teil folgt dem Verlauf der Tragödie in annähernd chronologischer Ordnung. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, warum jegliche Friedensbemühungen vor Mitte der 1640er-Jahre scheiterten. Im dritten und letzten Teil geht es um die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Folgen des Dreißigjährigen Krieges sowie um seine langfristige Bedeutung. In allen drei Teilen des Buches werden strukturale Erklärungsansätze mit der Betrachtung von Macht und Ohnmacht der handelnden Personen verknüpft. Neben den altbekannten „Hauptfiguren“ der Erzählung sollen dabei auch weithin unbekannte Zeitgenossen Beachtung finden – mehr Beachtung, als ihnen üblicherweise zuteilwird. Die Literaturangaben bieten eine Auswahl aus der bereits erwähnten Fülle an Material, wobei ein Schwerpunkt auf neueren Werken liegt: Sie sind für viele Leserinnen und Leser leichter zugänglich und enthalten noch dazu weitere Hinweise auf die aktuellste Fachliteratur.
Nur zu gern bedanke ich mich für die Unterstützung des Arts and Humanities Research Council, das mir durch ein Forschungsstipendium in den Jahren 2007 und 2008 die Fertigstellung dieses Buches ermöglicht hat. An der University of Sunderland hat ein hervorragendes Forschungsumfeld meine Arbeit um vieles leichter gemacht, und dasselbe gilt für den Fachbereich Geschichte an der University of Hull, wo ich so herzlich aufgenommen wurde und die letzten Kapitel des Buches entstanden sind. Leopold Auer und seine Mitarbeiter am Haus-, Hof- und Staatsarchiv des Österreichischen Staatsarchivs in Wien haben mir bei meinem allzu kurzen Aufenthalt 2006 wertvolle Unterstützung zukommen lassen. Ich danke Scott Dixon, Robert Evans, Ralph Morrison und Neil Rennoldson für ihre Hilfe bei der Beschaffung seltener oder unbekannter Literatur und vor allem Kacper Rękawek für seine Hilfestellung bei der Sichtung polnischer Quellen und Forschungsbeiträge. Clarissa Campbell Orr, Tryntje Helfferich, Michael Kaiser, Maureen Meikle, Géza Pálffy und Ciro Paoletti haben mir in einigen Detailfragen unendlich weitergeholfen. Zu besonderem Dank bin ich Trevor Johnson verpflichtet, der mir sein Manuskript über die Gegenreformation in der Oberpfalz schon vor Veröffentlichung des Buches zur Verfügung gestellt hat. Leider kann ich mich bei ihm, der 2007 viel zu früh verstorben ist, nicht mehr dafür revanchieren.
Mein Lektor Simon Winder hat mir immer wieder Mut zugesprochen und so meinen Glauben daran gestärkt, dass dieses Buch tatsächlich irgendwann fertig werden würde. Durch seinen guten Rat und seine umsichtigen Verbesserungsvorschläge hat das Manuskript beträchtlich an Klarheit gewonnen. Charlotte Ridings hat mit ihrer gründlichen Korrekturarbeit Unstimmigkeiten und Fehler beseitigt. Cecilia Mackay hat meinen Illustrations-Wunschzettel Wirklichkeit werden lassen.
Eliane, Alec, Tom und Nina haben es geduldig ertragen, dass ich immer wieder in die Vergangenheit „abgetaucht“ bin, und haben mir – wie schon so oft – die größte Hilfe und Inspiration zukommen lassen. Ihnen sei dieses Buch in Liebe gewidmet.
Peter H. Wilson
ERSTER TEIL
DIE ANFÄNGE
1. Einleitung
Drei Mann im freien Fall
Kurz nach neun Uhr früh am Morgen des 23. Mai 1618, es war ein Mittwoch, fand sich Wilhelm Slavata in einer äußerst misslichen Lage, denn er hing aus einem Fenster der Prager Burg. In einer solchen Klemme hatte der 46-jährige Adlige noch nie gesteckt. Als Präsident der Böhmischen Kammer, vormaliger Hofrichter und nun königlicher Statthalter war er immerhin ein führender Vertreter der Obrigkeit in den Ländern der böhmischen Krone und konnte auf eine glänzende Karriere in habsburgischen Diensten zurückblicken. Seine Heirat mit der reichen Erbin Lucie Ottilie von Neuhaus hatte aus ihm zudem einen der wohlhabendsten Männer des ganzen Königreiches gemacht.
Nur Augenblicke zuvor hatten fünf Bewaffnete seinen ähnlich illustren Amtskollegen Jaroslav Martinitz ergriffen und – von dessen Flehen, sie möchten ihn doch zuerst noch die Beichte ablegen lassen, nur noch wütender gemacht – kurzerhand aus dem Fenster geworfen, kopfüber aus demselben Fenster, an dessen Sims sich nun Slavata festklammerte und, in 17 Metern Höhe über dem Burggraben, gefährlich umherbaumelte. Ein zorniges Stimmengewirr, das aus dem Inneren des Gemaches drang, ließ ihn menschliche Hilfe kaum erhoffen. Im selben Moment durchfuhr ein scharfer Schmerz Slavatas Finger: Jemand hatte mit dem Griff seines Schwertes daraufgeschlagen. Die Schmerzen wurden unerträglich, sein Griff löste sich, er verlor den Halt und stürzte ab, wobei er sich am steinernen Fenstersims eines unteren Geschosses den Hinterkopf aufschlug. Als Slavata in der Tiefe verschwand, richteten seine Angreifer ihre Aufmerksamkeit auf den Sekretär des Statthalters, Philipp Fabricius von Rosenfeld, der einen von ihnen – vermutlich ein weniger bedrohliches Mitglied des Trupps – fest umklammerte. Auch Fabricius flehte um Gnade; auch ihm half es nichts: Ohne viel Federlesens warf man ihn aus dem Fenster, seinem Herrn und dessen Schicksal hinterher.
Das jedoch entwickelte sich anders als gedacht. Während Slavata am Boden des Burggrabens aufschlug, war Martinitz weiter oben gelandet und rutschte nun die Böschung hinab, um seinem Freund zu helfen. Unterwegs verletzte er sich noch mit seinem eigenen Schwert; die Angreifer hatten versäumt, es ihm abzuschnallen. Vom Fenster oben hallten Schüsse. Irgendwie gelang es Martinitz, dem benommenen Slavata auf die Beine zu helfen, und gemeinsam konnten sie sich in den nahe gelegenen Palast des böhmischen Oberstkanzlers Lobkowitz retten, der an ihrem so jäh unterbrochenen Treffen nicht hatte teilnehmen können, weil er sich auf Reisen befand. Von der Burg wurden zwei Männer hinübergeschickt, die Slavata und Martinitz liquidieren sollten, doch Lobkowitz’ Frau Polyxena verriegelte die Tür und konnte die Häscher schließlich zum Abzug überreden. Gleich am nächsten Tag flüchtete Martinitz über die Grenze nach Bayern. Slavata war zu schwer verletzt, als dass er gleich hätte aufbrechen können, und musste sich vorerst verstecken. Fabricius, der erstaunlicherweise auf beiden Beinen gelandet war, eilte derweil nach Wien, in das pulsierende Herz der Habsburgermonarchie und politische Zentrum des Heiligen Römischen Reiches, um den Kaiser zu alarmieren.1
Der geschilderte Vorfall ist als „Prager Fenstersturz“ in die Geschichte eingegangen. Er löste den Böhmischen Aufstand aus, der gemeinhin als Beginn des Dreißigjährigen Krieges gilt – eines Krieges, der acht Millionen Leben kosten und die politische wie religiöse Landkarte Europas vollkommen verändern sollte. Der Dreißigjährige Krieg nimmt in der deutschen und der tschechischen Geschichte einen ähnlich wichtigen Platz ein wie die Bürgerkriege Englands, Spaniens und der Vereinigten Staaten oder die Revolutionen in Frankreich und Russland in der Geschichte dieser Länder. Wie sie alle ist er ein prägendes Moment und ein nationales Trauma, das die Sicht der betroffenen Staaten auf sich selbst und auf ihren Platz in der Welt entscheidend mitgeformt hat. Die Schwierigkeit, die für spätere Generationen darin lag, mit dem schieren Ausmaß der Verwüstung zurechtzukommen, hat man mit der schwierigen geschichtlichen Aufarbeitung des Holocausts