Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter H. Wilson
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783806241372
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ganze 16 – und damit gut zwei Drittel – zum Luthertum übergetreten.42 Die zum Protestantismus konvertierten Adligen begannen umgehend, sich in ihren jeweiligen Landtagen für die offizielle Anerkennung ihrer Religion durch die Habsburger einzusetzen. Und da die Anzahl von Katholiken in den Ständeversammlungen immer weiter abnahm, blieb dem Erzhaus keine andere Wahl, als mit den Protestanten Kompromisse einzugehen. Nur so konnten die Habsburger sich deren fortgesetzte Unterstützung bei der Bewältigung ihrer horrenden Staatsschulden sichern. Die Dreiteilung der habsburgischen Länder 1564 zwang die nun getrennt regierenden Linien, jede für sich mit ihren jeweiligen Landständen zu verhandeln. Den Ständen von Ober- und Niederösterreich gelang es 1568 beziehungsweise 1571, sich eine „Assekuration“ genannte Anerkennung ihrer lutherischen Konfession zu sichern, wodurch allen Herren, Rittern und Pachtbauern der betreffenden Territorien die freie Religionswahl zugestanden wurde. Im Gegenzug mussten die Stände habsburgische Schulden in Höhe von 2,5 Millionen Gulden begleichen. Diese Privilegien wurden 1574 dahingehend erweitert, dass lutherische Adlige nun auch in ihren Stadtpalais Gottesdienst halten durften – wodurch diese de facto zu protestantischen Kirchen auch inmitten von (katholischen) Kronstädten wurden, namentlich in Wien. Die innerösterreichischen Landstände übernahmen 1572 eine weitere Million Gulden Schulden und erhielten dafür vergleichbare Privilegien. Sechs Jahre später, 1578, wurden diese Privilegien durch die Brucker Religionspazifikation (das sogenannte Brucker Libell) noch ausgebaut; im Gegenzug sagten die Stände zu, regelmäßige Steuerzahlungen zum Unterhalt der Grenzbefestigungen gegen die Türken zu leisten. Bis 1600 hatten die Innerösterreicher schließlich 1,7 Millionen Gulden für die Schuldentilgung aufgewandt, während sich die Zahlungen für den Unterhalt der Grenze zwischen 1588 und 1608 auf zusätzliche 2,93 Millionen Gulden beliefen.43 Letztlich war es die einfache Bevölkerung, die einen hohen Preis dafür zahlte, dass der österreichische Adel sich – gleichsam auf dem Rücken des „gemeinen Mannes“ – seine eigene Variante derjenigen Religionsfreiheiten erkaufen konnte, die den deutschen Fürsten im Frieden von Augsburg gewährt worden waren.

      Anders stellte sich die Situation in Böhmen dar, wo man bereits 1436 und 1485 Vereinbarungen getroffen hatte, in denen der sogenannte Utraquismus dem Katholizismus gleichgestellt wurde. Beim Utraquismus handelte es sich um eine gemäßigte Spielart des Hussitentums; ihren Namen hatten seine Anhänger daher erhalten, dass sie auf dem Empfang der Eucharistie in beiderlei Gestalt (sub utraque specie), also in Form von Brot und Wein, bestanden. (In anderen Konfessionen blieb der Wein dem Priester vorbehalten, der die Messe feierte.) Die Gottesdienste der Utraquisten wurden in der tschechischen Volkssprache gehalten, und ihre Kirchen lagen außerhalb der bischöflichen Jurisdiktion. Kompromissbereitschaft zeigte die utraquistische Seite, indem sie einwilligte, ihre Priester in Venedig weihen zu lassen. Die Habsburger bestätigten diese Privilegien, als Böhmen 1526 unter ihre Herrschaft kam – nicht zuletzt, weil die utraquistische Bewegung in jener Zeit an Schwungkraft verloren hatte und die meisten Katholiken hofften, ihre Anhänger würden schon bald wieder in den Schoß der römischen Kirche zurückkehren. Allerdings hatte sich bereits eine radikale Splittergruppe der Utraquisten abgespalten, aus der schließlich die „Brüderunität“ (Unitas Fratrum, auch „Böhmische“ beziehungsweise „Mährische Brüder“) hervorging, die eine Unterordnung unter die Autorität des Papstes oder auch die Aufgabe des spezifisch hussitischen Sozialprogramms strikt ablehnte. Insbesondere die enge Bindung des Utraquismus an die böhmischtschechische Volkskultur und Sprache sorgte dafür, dass die Verbreitung des Luthertums in Böhmen sich auf die deutschsprachige Stadtbevölkerung und einen Teil des Adels beschränkte. Als der böhmische Adel sich 1547 weigerte, an der Seite der Habsburger in den Schmalkaldischen Krieg zu ziehen, ging Ferdinand I. mit harter Hand gegen die radikalen „Brüder“ vor und läutete eine groß angelegte Rekatholisierungskampagne ein. In Prag wurde 1556 ein Jesuitenkolleg eröffnet, 1561 auch ein neuer Erzbischof von Prag eingesetzt – nach einer Sedisvakanz von annähernd 150 Jahren!

      Das Wiedererstarken des Katholizismus veranlasste die anderen Konfessionen dazu, enger zusammenzurücken. Durch Vermittlung und auf Betreiben der protestantischen Stände Böhmens kam 1575 die Confessio Bohemica zustande, eine Bekenntnisschrift, die mit ihrer bewussten Verharmlosung der theologischen Differenzen zwischen Lutheranern, Utraquisten und Böhmischen Brüdern als Fundament zur Errichtung einer gemeinprotestantischen „Kompromisskirche“ gedacht war. Allerdings folgte dem kein politischer Handel, der dem österreichischen Privilegien- und Schuldentausch vergleichbar gewesen wäre. Maximilian II. sah überhaupt keinen Grund, die habsburgische Anerkennung reformatorischer Strömungen über den Kreis der Utraquisten hinaus auszudehnen, und folglich lehnten die Stände das Ansinnen seines Nachfolgers ab, sie sollten die Schulden der böhmischen Krone in Höhe von fünf Millionen Gulden übernehmen. Die Brüderunität spaltete sich daraufhin auf; viele Brüder kehrten in die Reihen der gemäßigten Utraquisten zurück (wovon sie sich obrigkeitlichen Schutz erhofften), während sich andere dem Calvinismus anschlossen, den Pfälzer Einwanderer und adlige Scholaren, die vom Studium an deutschen Universitäten heimkehrten, in den 1580er-Jahren nach Böhmen mitgebracht hatten. Das Luthertum konnte allein in Schlesien und den Lausitzen Fuß fassen, wobei unter den schlesischen Fürsten und gebildeten Stadtbürgern im frühen 17. Jahrhundert auch der Calvinismus Boden gewann.

      Das religiöse Spektrum in den Ländern der böhmischen Krone war vielfältiger als in Österreich. Katholiken machten in Böhmen gerade noch 15, in Mähren immerhin 35 Prozent der Bevölkerung aus; den großen Rest stellten hauptsächlich Utraquisten, „Brüder“ und Lutheraner. Zum Calvinismus bekannten sich gerade einmal drei Prozent der Gesamtbevölkerung, doch besaß diese Minderheit einen überproportional großen politischen Einfluss, denn die Calvinisten gehörten oft der gesellschaftlichen Elite an. Insgesamt blieb die Situation aber im Fluss, da die Stände an ihrer Einschätzung festhielten, die Religion sei eine Gottesgabe, über die bloße Sterbliche nicht nach Gutdünken bestimmen könnten. Die Beziehung der Stände zu ihrem Herrscher beruhte auf einer beiderseitigen Achtung vor den Interessen der Gegenseite, weshalb bei allen Verhandlungen die ernste Absicht verfolgt wurde, einen sicheren, dauerhaften Kompromiss zu erzielen. Diese überlieferte Haltung war tief in das Geflecht einer Gesellschaft eingewoben, in der es durchaus nicht selten war, dass in ein und derselben Familie verschiedene konfessionelle Strömungen vorkamen. Verständlicherweise sahen die meisten Adligen davon ab, ihren persönlichen Glauben öffentlich zu bekennen, insbesondere in Mähren, wo die Brüderunität noch immer Zulauf fand und sich selbst Wiedertäufergemeinschaften halten konnten. Viele Adlige versammelten Bücher ganz gemischter konfessioneller Ausrichtung in ihren Privatbibliotheken, und tatsächlich scheinen die meisten von ihnen, was sie persönlich betraf, einem überkonfessionellen, „erasmischen“ Christentum den Vorzug gegeben zu haben. Gewiss, es gab Spannungen – aber kein Vorgefühl einer drohenden Krise.

      In Ungarn, wo das Luthertum beinahe schon traditionell als „zu deutsch“ galt, hatte der Calvinismus leichteres Spiel. Weniger als ein Fünftel der magyarischen Bevölkerung war zum Luthertum konvertiert, und diese Minderheit konzentrierte sich noch dazu in abgelegenen Bergdörfern, in die der Arm der adligen Grundherrschaft kaum reichte. Auch unter den Slowaken im oberungarischen Nordosten des Königreiches fiel die lutherische Lehre auf fruchtbaren Boden, ebenso bei den Südslawen Kroatiens und Sloweniens. Allerdings entschied sich fast die Hälfte des Adels für den Calvinismus, ganz wie ein großer Teil der magyarischen Bauernschaft. Nur einer von zehn magyarischen Adligen blieb Rom treu, und 1606 gab es im gesamten habsburgischen Ungarn gerade einmal 300 katholische Priester, die sich zum größten Teil in den Gebieten um die Bischofssitze Gran (Esztergom), Raab (Győr) und Neutra (das heute slowakische Nitra) konzentrierten. Kroatien und die drei slowenischen Kernländer blieben vorwiegend katholisch, was hauptsächlich daran lag, dass der ansässige Adel zu seinem Lebensunterhalt auf Posten an der Militärgrenze angewiesen war und dabei die Konkurrenz des innerösterreichischen lutherischen Adels fürchtete.

      Soziale Spannungen Die Ausbreitung der konkurrierenden Konfessionen war vom Verhalten des örtlichen Adels bestimmt. Obwohl sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Katholiken überall im Habsburgerreich in der Minderheit befanden – mit Ausnahme Kroatiens und Tirols –, war es doch keiner der protestantischen Strömungen gelungen, uneingeschränkte Akzeptanz zu erlangen. Ihre rechtliche Anerkennung beruhte einzig und allein auf den Zugeständnissen, die den Habsburgern durch das Drehen der Stände am Geldhahn abgenötigt worden