Schwarzer Regen Rotes Blut. Leonhard Michael Seidl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leonhard Michael Seidl
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839267967
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verschanzt und alles gesehen.«

      »Weiter, Josef.«

      »Was soll das heißen, Alter?, fragt der Soldat. – Das heißt, sie ist fort, sagt der Max. Was verstehst denn da nicht? –Ich versteh, sagt der Soldat und spuckt auf den Boden, dass sie davon ist wie eine Hur. Aber das wird ihr nichts helfen. Sag mir die Richtung, und wir finden sie. – Der Max schaut ihn an und sagt: Ich weiß nix. – Da hat der Soldat, der Michi, geschossen. Der Altwirt ist umgefallen. Der war tot, Himmel Herrgott!«

      »Wie ging es weiter?«

      »Der Soldat hat sein Feuerzeug herausgetan. Er rennt in die Küche, packt einen Kübel mit Fett und schmeißt das Feuerzeug hinein. Ich hab es gerochen. Dann ist er raus. Gleich danach hat alles brennt.«

      »Wo befanden Sie sich in diesem Moment, Josef?«

      »Wie der Soldat ins Haus rennt, bin ich hinten raus und hab mich im Unterholz versteckt.«

      »Und anschließend?«

      »Der andere ist davon, ohne einen Blick zurück. Die Schreie von meiner Elise aus dem Keller krieg ich nicht mehr aus dem Kopf.«

      »Michael Dorn und Friedrich Berner sind die Täter?«

      »Jawoll, Herr Kommissär.«

      »Sie konnten Elise nicht helfen?«

      »Wär ich hinein, wäre ich verbrannt wie sie. Ich bin kein Feigling nicht, Herr Kommissär, aber das hätt ich nicht können.«

      »Gut, Josef. Gibt es etwas, was Ihnen noch aufgefallen ist? Jede Kleinigkeit ist wichtig. Immerhin gab es bei dem Unglück insgesamt vier Tote. Das ist einmalig für ein Dorf wie Schachtenstein.«

      »Da war noch die Spieluhr.«

      »Mit dem Albumblatt für Elise?«

      »Genau, Herr Kommissär. Wie die Elise in den Keller ist, hat sie die Spieluhr aufgezogen, und auf den Stufen spielt die ganze Zeit das Albumblatt. Das hat mich so gegruselt. Verstehen Sie das, Herr Kommissär?«

      »Das verstehe ich sehr gut, Josef. Noch etwas?«

      »Die Männer, ich mein die Soldaten, waren irgendwie furchtbar aufgeregt.«

      »Von Anfang an oder erst nach dem Genuss von dem vielen Bier und dem Schnaps?«

      »Ich glaub, von Anfang an.«

      »Können Sie mir einen Grund dafür nennen, Josef?«

      »Als hätten sie zu viel Kaffee erwischt. Oder was anderes.«

      »Oder etwas anderes? Vielleicht Pervitin? Ist notiert. Sonst noch was?«

      »Nein, Herr Kommissär, das ist alles.«

      »Gut. Ich fertige noch heute das Protokoll. Morgen bitte ich Sie, es zu unterschreiben. Also bleiben Sie in der Nähe.«

      »Eine Frage, Herr Kommissär. Wie geht es weiter?«

      »Wir werden die Männer stellen, die dieses ungeheuerliche Verbrechen begangen haben. Allen voran Michael Dorn, den Mörder von Bernhard, Elise und Maximilian Pfanzelt.«

      »Kann ich da nicht mithelfen?«

      »Wie stellen Sie sich das vor?«

      »Ich kenn jeden Fleck im Wald, jeden Steig und jede Hütte hinüber nach Rabenstein und hinauf bis zum Hennerkobel.«

      »Sie sind kein Polizist, Josef. Und kurzsichtig noch dazu. Das geht nicht.«

      »Wo doch die Polizei keine Männer hat wegen dem Krieg.«

      »Ich verstehe, was Sie meinen, Josef. Aber so einfach ist das nicht. Sie haben keinerlei Ausbildung.«

      »Wenn Sie mich mitnehmen, Herr Kommissär, lerne ich alles ganz schnell.«

      »Stellen Sie sich vor, Ihnen stößt etwas zu. Das kann ich keinesfalls verantworten.«

      »Ich kann gut auf mich selber aufpassen.«

      »Vielleicht.«

      »Danke, Herr Kommissär.«

      »Was werden Sie jetzt tun, Josef?«

      »Ich geh zum Staubwasser. Ich kann im Rossstall schlafen. Da geht es mir gut. Daran glaub ich ganz fest.«

      »Von mir aus. Bedenken Sie aber, dass Sie Tatzeuge sind. Sperren Sie Augen und Ohren auf. Michael Dorn ist noch nicht gefasst.«

      »Ich geb Obacht, Herr Kommissär.«

      »Wie Sie meinen. Und damit bis morgen, Herr Schnaitz. Seien Sie pünktlich um neun Uhr hier.«

      »Jawoll, Herr Kommissär. Um neun Uhr. Auf Wiedersehen, Herr Kommissär Klemm.«

      Während Klemm sich daranmachte, das Protokoll zu fertigen, dachte er über den jungen Mann nach, der Zeuge dieses furchtbaren Verbrechens geworden war. Josef Schnaitz wirkte wesentlich jünger als dreißig Jahre. Ein gut aussehender Bursche mit dunklem, gelocktem Haar, das bis zur Schulter reichte. Klemm konnte sich gut vorstellen, dass Josef durchaus in der Lage war, einem Mädchen das Herz zu brechen. Wäre da nicht der unstete Blick und das fehlende Selbstbewusstsein gewesen, das diesen Eindruck wieder zunichtemachte. Der Junge war in sich zerrissen, wirkte unzufrieden und unruhig. Aber vielleicht lag das nur an dem erlittenen Leid um die geliebte Elise.

      Klemm seufzte.

      Zunächst galt es, die alte Schreibmaschine aus Wehrmachtsbeständen in Betrieb zu nehmen. Das Gerät stammte aus dem Jahr 1935, hatte Reisen nach Frankreich, Belgien, Polen und vielleicht sogar nach Russland mitgemacht und war nun im Dörfchen Schachtenstein auf Klemms Schreibtisch gelandet. In seinem provisorischen Büro im Gasthof Stormberger hier im Zwieseler Winkel wartete das Vorkriegsmodell nun darauf, dass auf ihr das Protokoll des Massakers an der Familie Pfanzelt amtlich verfasst wurde.

      Leo Klemm seufzte. Dies war ein Teil seiner Arbeit, den er hasste; nicht, weil er mit einer Schreibmaschine nicht umgehen konnte oder ihm die Schreibtischarbeit zu anstrengend gewesen wäre, sondern weil er in Polen die linke Hand gelassen hatte. Er musste jeden Buchstaben mühsam mit dem Zeigefinger der rechten Hand suchen und einzeln tippen. Für ein umfangreiches Protokoll oder ein offizielles Schreiben an die vorgesetzte Behörde verbrachte er Stunden vor dem altertümlichen Gerät.

      Der Kommissär besaß eine hölzerne Handprothese, die er an den Unterarm schnallen konnte. Sie half zwar beim Radfahren, aber nicht beim Tippen. Zusätzlich hatte ihm ein geschickter Werkzeugmacher eine eiserne Spitze gebaut, die sich am Armstumpf befestigen ließ und die Klemm bei Gefahr als Waffe nutzen konnte. Im Augenblick lag sie wohlverwahrt in einem speziellen Futteral unter dem Bett.

      Klemm stammte aus München. Die Wirren des Krieges hatten ihn über Frankreich, Belgien, Russland und Polen zurück in seine Heimatstadt und anschließend in diesen verwunschenen Winkel des Bayerischen Waldes geführt. Am neunundzwanzigsten April war er dreißig Jahre alt geworden. Seit acht Monaten versah er nun seinen Dienst in der Polizeistation Zwiesel. Er hatte sich an die Eigenheiten der Menschen gewöhnt. Auch wenn ihre Sprache noch immer seltsam in seinen Ohren klang; manches konnte er gut verstehen, anderes, wie bestimmte Bräuche und Rituale, blieben ihm, dem Mann aus der Großstadt, fremd.

      Klemm hatte einfach beschlossen, sich an das alte Münchner Sprichwort zu halten, das ihn bisher einigermaßen gut durchs Leben gebracht hatte: »Es is, wie’s is.« Er tickte noch immer münchnerisch.

      Klemm war nicht überrascht, sich hier in der Provinz einzufinden. In Schachtenstein war verhältnismäßig wenig zu Bruch gegangen.

      Zunächst war die 3. US-Armee unter General George Patton Anfang April 1945 über Grafenwöhr, Weiden und Cham in den Bayerischen Wald vorgerückt.

      Am dreiundzwanzigsten April querten die Amerikaner den Regen und marschierten die alte Ostmarkstraße entlang. Insbesondere die Skoda-Werke in Pilsen waren eine wichtige Rüstungsschmiede der Nazis gewesen. Im Zuge dieser Maßnahme waren amerikanische Kampfverbände bereits am zwanzigsten April 1945 über Zwiesel hergefallen. Das alles war nur ein paar Tage