Zwei Ergänzungen in der 1568er Version der Vita sind im Hinblick auf Vasaris gewandeltes Architekturverständnis besonders aufschlußreich. Einerseits bemerkt er in Zusammenhang mit dem Ponte Sisto, daß die Brücke dank kräftiger Widerlager und einer ausgeklügelten Verteilung der Lasten eine enorme Festigkeit und robuste Fundamente besäße. Andererseits fügt er am Ende der Vita ein weiteres vermeintliches Werk Pontellis hinzu, dessen verstärkende und stützende Funktion er ebenfalls rühmt. Dabei handelt es sich um die als »puntone« bezeichnete mächtige Substruktion der Klosteranlage von San Francesco in Assisi, das einzige Werk außerhalb Roms, das Vasari wohl aufgrund einer dort vorhandenen Statue des Papstes Sixtus IV. dem Florentiner Architekten zuschreibt. Es ist gut möglich, daß gerade in der zweiten Ausgabe der Vite – nach Gründung der Accademia del Disegno und zu einem Zeitpunkt, als Vasari in seiner Eigenschaft als Architekt von Herzog Cosimo I., insbesondere beim Bau der Uffizien und der Konstruktion des Corridoio Vasariano über den Arno, mit dem Problem der Festigkeit und Widerstandskraft von Gebäuden konfrontiert war13 – der Name Pontelli, in dem das Wort »ponte« (Brücke) enthalten ist und der an den Terminus »puntello« (Stütze, Stützbalken) erinnert, Anlaß zu den Ergänzungen gab. Auffällig ist nicht nur, daß Vasari den Namen des Architekten Pintelli (1550) korrekterweise in Pontelli ändert, sondern auch daß der Begriff »puntello« in seinen verschiedenen Schreibweisen und Derivaten (puntegli, puntellato) erst in der 1568er Edition der Vite in wachsendem Maße zum Einsatz kommt. Hatte Vasari ihn in der ersten Ausgabe bloß in Kapitel IV seiner Einführung in die Baukunst bei der Konstruktion von Gewölben in der Bedeutung eines hölzernen Stützpfeilers eingeführt, so ist der Terminus achtzehn Jahre später in diversen bautechnischen Zusammenhängen in den Lebensbeschreibungen von Giovanni Pisano, Michelozzo, Filippino Lippi, Antonio da Sangallo d. J. und Aristotele da Sangallo als verstärkendes oder stützendes Element – sei es aus Holz oder Stein – zu finden. Dieses Phänomen läßt sich zweifellos mit einer intensiveren theoretischen Auseinandersetzung Vasaris mit der Architektur erklären, insbesondere vor dem Hintergrund der damaligen Auseinandersetzungen um die Statuten der Accademia del Disegno, in denen es um die Zulassungskriterien für Architekten und in diesem Kontext um die Differenzierung des Architekturverständnisses ging. Vincenzo Borghini, der erste luogotenente der Accademia und zudem ein enger Vertrauter Vasaris, plädierte dafür, diejenige Seite der Architektur, die rein auf das Nützliche und Notwendige ausgerichtet sei, von jenem Bereich der Baukunst abzugrenzen, dessen oberstes Ziel die Pracht und Schönheit von Gebäuden sei und deshalb ein Surplus zu ersterem darstelle.14 Indem Vasari also in der späteren Version der Vita mehr die Festigkeit und Widerstandskraft der von Pontelli errichteten Bauten betont, läßt er keinen Zweifel daran, daß er dessen Œuvre weniger vom Ästhetischen als vom Nützlichen und Notwendigen her gedeutet wissen möchte. Tatsächlich erwähnt Vasari nur ein einziges Mal, daß eines der Bauwerke, nämlich der für Domenico della Rovere errichtete Palazzo dei Penitenzieri, seinerzeit als ein sehr schönes und wohlgeplantes Gebäude galt. Der Begriff der ›magnificenza‹ –1550 noch explizit erwähnt – fällt, wie gesagt, in der späteren Fassung konsequenterweise weg. Und auch die ursprüngliche Formulierung, daß Baccio es seinem Talent in der Architektur (»per lo ingegno suo nella archiettura«) zu verdanken habe, von Papst Sixtus IV. bei jedem seiner Bauprojekte eingesetzt zu werden, ist in der 1568er Version dahingehend abgeändert, daß statt des künstlerisch-kreativen Aspekts nun die manuelle praktische Seite in den Vordergrund rückt: Dank der reichen Erfahrung in architektonischen Belangen (»per la buona pratica che ebbe nelle cose d’architettura«) sei Pontelli zum favorisierten Baumeister besagten Papstes avanciert. Es muß an dieser Stelle betont werden, daß es Vasari nicht um eine generelle Abwertung von Pontellis Leistung ging. Im Gegenteil: Gemessen an den Erfordernissen seiner Zeit gebührt ihm durchaus ein Platz im Olymp der Baukünstler. Das im Verhältnis zur Editio princeps zurückgenommene Lob Vasaris ist vielmehr der Notwendigkeit geschuldet, eine klare Trennungslinie zu ziehen zwischen den Architekten des Quattrocento und jenen der terza età, die sich gemäß den von Borghini ins Feld geführten Kriterien mehr über das schmückende Element zu definieren haben. Pontelli ist, wie sein Name schon suggeriert, in Vasaris Augen zur Zeit des Pontifikats von Sixtus IV. im Bereich der Architektur ein mächtiger stützender Pfeiler, einer, der bei öffentlichen und privaten Bauten in Rom die damaligen Ansprüche seines Auftraggebers zu befriedigen und in Stein umzusetzen weiß, auch wenn Vasari 1567, nachdem die Vita und der gesamte zweite Band offensichtlich schon im Druck vorlag, bei einer im Auftrag von Papst Pius V. durchgeführten Inspektion des Ponte Sisto in einem Brief an Borghini eingestand, daß die Brücke seinerzeit als einsturzgefährdet galt.
SF
Bibl.: Caglioti 1991; Zuraw 2005, Meneses 2013.
DAS LEBEN DER BILDHAUER PAULO ROMANO UND MEISTER MINO SOWIE DES ARCHITEKTEN CHIMENTI CAMICIA
Vita di Paulo Romano e di Maestro Mino. Scultori. E di Chimenti Camicia. Architetto (1568)
Es ist nun an der Zeit, daß wir über Paolo Romano1 und Mino del Regno2 sprechen, die dasselbe Alter hatten und denselben Beruf, in Sitten und Kunst aber ganz unterschiedlich veranlagt waren, denn während Paolo sich bescheiden und ausgesprochen tüchtig gab, taugte Mino um einiges weniger, war dabei aber so anmaßend und überheblich, daß er neben einem Höchstmaß an Hochmut auch die eigenen Arbeiten völlig unrechtmäßig mit Worten in den Himmel hob.3 Als Papst Pius II.4 bei dem römischen Bildhauer Paolo eine Skulptur in Auftrag gab, begann jener ihm aus Neid derart zuzusetzen und ihn so zu drangsalieren, daß Paolo sich als der aufrechte und zutiefst bescheidene Mann, der er war, unweigerlich gekränkt fühlen mußte. Wutschnaubend drängte Mino darauf, mit Paolo um tausend Dukaten zu wetten und wie er eine Figur auszuführen. Im Wissen um Paolos Charakter, der Unannehmlichkeiten mied, brachte er dies mit ordentlicher Anmaßung und Dreistigkeit vor, weil er davon ausging, daß dieser sich niemals auf so einen Pakt einlassen würde. Paolo nahm die Herausforderung jedoch an und Mino, der seinen Schritt schon halb bereute, wettete hundert Dukaten, bloß um seine Ehre zu retten. Als die Skulptur dann fertig war, bekam Paolo, außerordentlich und vortrefflich, wie er war, den Vorzug; und Mino wurde als jene Art Künstler enttarnt, die mit Worten tüchtiger war als mit Werken.
Von Minos Hand stammen in Monte Cassino, der Klosteranlage der Schwarzen Mönche im Königreich Neapel, ein Grabmal und in Neapel einige Werke aus Marmor;5 in Rom die Heiligen Petrus und Paulus am Fuß der Treppe von Sankt Peter6 und in Sankt Peter das Grabmal von Papst Paul II.7 Die Skulptur hingegen, die Paolo in Konkurrenz zu Mino schuf, war der Heilige Paulus, den man am Anfang der Engelsbrücke auf einem Sockel aus Marmor sieht und der lange Zeit unbeachtet vor der Kapelle von Sixtus IV. gestanden hat.8 Späterhin begab es sich, daß Clemens VII.9 sich diese Figur eines Tages besah und sie ihm, der von diesen Dingen etwas verstand und sie zu beurteilen wußte, sehr gefiel. Er beschloß daher, einen Heiligen Petrus derselben Größe ausführen zu lassen und gleichzeitig am Eingang der Engelsbrücke zwei kleine Kapellen aus Marmor, die jenen beiden Aposteln geweiht waren, abzureißen, weil sie den Blick auf die Burg verstellten, und dort die beiden Statuen aufzustellen.10
Im Werk des Antonio Filarete steht zu lesen,11 daß Paolo nicht nur Bildhauer, sondern auch ein fähiger Goldschmied war und in Teilen die zwölf Apostel aus Silber gearbeitet hat, die vor der Plünderung Roms auf dem Altar der päpstlichen Kapelle standen12 und an deren Ausführung auch Niccolò della Guardia13 und Pietro Paolo da Todi14 mitwirkten, die Paolos Schüler waren und späterhin zu ordentlichen Bildhauer-Meistern wurden, wie man es an den Grabmälern von Papst Pius II. und [Papst Pius] III. sehen kann, in denen diese beiden Päpste naturgetreu porträtiert sind.15