Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Torsten W. Burisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960742906
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über mich lustig gemacht. Ich hab es genau gehört!“, zischte er und setzte nun wieder sein drohendes Gesicht auf.

      Dantra schaute fragend zu Akinna, doch sie sah ihn mit genau demselben grimmigen Blick an wie der Wichtel. Es war also an ihm, eine Lösung zu finden. „Was habe ich, das ich ihm anbieten könnte?“, dachte er. „Meinen Krato vielleicht? Ach was. Der wird wohl kaum auf den nächsten Markt gehen können, um sich eine Kiste Kohlköpfe zu kaufen. Meine Karte? Bisher habe ich sie noch nicht einmal gebraucht. Und so wie es aussieht, laufe ich ohnehin die nächste Zeit nur hinter Akinna her. Aber der Tibboh erweckt nicht gerade den Anschein, als wäre er jemand, der gerne auf Wanderschaft geht. Und mit meinem Beutel voller nach Flieder riechendem Pulver kann er wohl auch nichts anfangen.“ Dantra zermarterte sich das Hirn. Er sah sich suchend nach etwas um, das der Tibboh brauchen konnte. Dabei fiel sein Blick auf den Baum, der nur noch auf eine ausgewachsene Windböe wartete, um seine letzten noch verbliebenen Wurzeln aus dem sandigen Boden zu reißen. „Wenn ich Euch bei Eurem Problem helfe, nehmt Ihr dann meine Entschuldigung an und gewährt mir Unterschlupf?“

      „Welches Problem? Ich habe kein Problem.“ Der Wichtel drückte sein kleines Kreuz durch, um sich zu seiner vollen Größe aufzurichten.

      „Ich meine den Baum dort. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass so ein schlauer Anführer, wie Ihr es seid, nicht die Gefahr erkennt, die von ihm für Euer imposantes Heim ausgeht.“

      Dantra sah mit einer großen Portion Genugtuung, wie der kleine Wichtel hin und her gerissen war. Welche Antwort sollte er ihm nun geben? Dass er Dantras Hilfe nicht brauchte, um sich damit als dumm abstempeln zu lassen? Denn jeder Hornochse konnte erkennen, dass die Gefahr für sein Heim immens war und er selbst niemals imstande wäre, diese eigenhändig abzuwehren. Oder sollte er annehmen, damit er die Sorge um den Baum endlich vergessen konnte, dafür jedoch die Schmach akzeptieren, dass Dantra ihn, wenn auch kaum merklich, ausgelacht hatte. Die Vernunft besiegte schließlich den Stolz und er willigte in Dantras Angebot ein. Der warf erst noch einen Kontrollblick auf Akinna. Nachdem sie sein Vorhaben mit einem Nicken abgesegnet hatte, ließ Dantra den Baum mit einem lauten Knarren in sicherer Entfernung zum Steinhügel endgültig zu Boden gehen. Der Wichtel konnte sein Staunen nicht verbergen. „Ich schätze, die Frage, wie Ihr das gemacht habt, kann ich mir sparen, oder?“, fragte er wissensdurstig, wie es Dantra von sich selbst kannte, und blickte dabei staunend zu ihm auf.

      „Ja, könnt Ihr“, antwortete Dantra wahrheitsgemäß, „allerdings nicht, weil es ein Geheimnis ist, sondern weil ich es selbst nicht genau weiß.“

      Der Wichtel schien über seine Antwort nachzudenken. Als er sie schließlich als akzeptabel einstufte, sagte er mit einer erneuten tiefen Verbeugung: „Tretet ein in mein bescheidenes Heim.“

      Noch bevor Dantra und Akinna seiner Aufforderung nachkommen konnten, nahm er zwei Finger in den Mund und pfiff. Erst waren nur leises Gebrabbel und Gejauchze zu hören, dann kamen mehr als drei Dutzend Wichtel aus dem Steinhaufen. Sie waren alle nur halb so groß wie derjenige, der sie gerade willkommen geheißen hatte.

      „Unsere Kinder“, grinste dieser stolz. „Ich heiße übrigens Gismo der Einhunderteinundzwanzigste.“ Akinna und Dantra stellten sich ihm ebenfalls vor. Es kamen noch unzählige weitere Wichtel durch das Loch, um Dantras Werk staunend zu bewundern.

      Akinna und er nutzten die Gelegenheit, als der Wichtelstrom kurz abriss, und krochen durch den zwei Schritte langen Tunnel, der schräg nach unten in den Steinhaufen hineinführte. Während Akinna mühelos hindurchglitt, hätte für Dantra das Loch nicht enger sein dürfen.

      Sie gelangten in einen Raum, der ungefähr die Größe der Schülerstuben im Klosterheim hatte. Von diesem gingen circa zwanzig weitere Tunnel ab, die allesamt noch tiefer ins Erdreich hineinführten. Aus ihnen strömten immer mehr Wichtel. Einige schauten sie erschrocken an, andere nickten mit ihrem Kopf zur Begrüßung und wieder andere beachteten sie gar nicht, während sie die Höhle verließen oder aber in einem der anderen Gänge verschwanden. Diese weiterführenden Korridore waren jedoch alle so schmal gebaut, dass nicht einmal ein Kind in sie hineinkriechen konnte. Das wirklich Interessante an dem Raum war aber die Rinne. Sie kam aus einer der oberen Ecken und teilte sich so oft auf dem Weg nach unten, dass jeder der Gänge mit einer eigenen Rinne versorgt wurde. In dieser fausttiefen Furche strömte eine dickflüssige Masse dahin, die türkisfarben leuchtete und damit den steinernen Raum in ein warmes Licht tauchte. Dantra sah Akinna, die sich bereits auf die Nacht vorbereitete, fragend an.

      „Das ist Aloc“, sagte sie, ohne aufzuschauen. „Eine Flüssigkeit, für die man sehr tief graben muss, um sie zu fördern. Die Tibboh machen das, da es ihre Hauptnahrungsquelle ist. Sie essen zwar auch Wurzeln, Beeren und so etwas, aber alles, was ihr kleiner Körper wirklich braucht, steckt in diesem Zeug. Tu das nicht!“ Sie sah ihn strafend an.

      Dantra war gerade im Begriff, seinen Finger in die Flüssigkeit zu stecken, um sie zu probieren. Er hielt inne. „Warum? Es ist doch genug da.“

      Akinna erklärte nichts, sondern ermahnte ihn aufs Neue: „Tu es nicht!“ Dantra versuchte, ihren Gesichtsausdruck richtig zu deuten. Wollte sie nur prüfen, ob er aus seinem Fehler von letzter Nacht gelernt hatte? Oder aber war es wirklich nicht gut, aus welchem Grund auch immer, die Flüssigkeit zu probieren? Er konnte sie zwar nicht durchschauen, jedoch fand er, nicht auf sie zu hören und eine Dummheit zu begehen, war schlimmer, als ihr das Gefühl zu geben, sie hätte eine gewisse Autorität über ihn erlangt. Er nahm also seinen Finger wieder zurück und konnte sich über Akinnas Reaktion freuen. Denn anstatt eines befürchteten hämischen Blickes sah sie eher erleichtert aus und fing nun doch noch an zu erklären.

      „Aloc ist für den Menschen ungenießbar. Wenn es dir tatsächlich gelingt, davon etwas in den Mund zu nehmen, würde dich ein Brechreiz, wie du ihn sicher noch nie hattest, am Hinunterschlucken hindern. Allerdings ist es höchst unwahrscheinlich, dass es überhaupt so weit kommt. Denn das Zeug brennt wie Feuer auf der Haut. Und selbst wenn du deinen Finger sofort in einen Kübel mit eiskaltem Wasser hieltest, würden die Schmerzen erst einige Tage später abklingen.“

      „Hast du diese Erfahrung etwa auch selbst machen müssen?“, fragte Dantra sie mitfühlend.

      „Nein. Bevor ich das erste Mal in einer Tibbohhöhle geschlafen habe, hat mich Nomos gewarnt.“

      „Und wieso zweigt in jeden dieser Gänge eine Rinne ab?“

      „Anhand der abzweigenden Schächte kannst du genau sehen, wie viele Tibbohfamilien hier zusammenleben und -arbeiten. Jede Familie hat ihren eigenen Schacht. Und jede von ihnen wird natürlich gleichermaßen mit dem Aloc versorgt. Wobei das, was nicht benötigt wird, tief unter uns wieder zusammenfließt und zurück ins Erdreich gelassen wird. Dadurch sichern sich die Tibboh ihr Alocvorkommen für lange Zeit.“

      „Und wie lang ist so eine Zeitspanne?“

      „Aufgrund ihrer Sparsamkeit können das viele Jahre sein. Je nachdem, wie groß das Vorkommen ist.“

      „Und was machen sie, wenn die Quelle von einem Tag auf den anderen versiegt?“

      Akinna atmete mit einem Seufzer aus, worin Dantra das baldige Ende ihrer Antwortbereitschaft erkannte. „Jede dritte Generation zieht aus, um nach neuen Vorkommen zu graben. Wenn es also so weit ist, dass sie hier nicht mehr satt werden, kannst du dir sicher sein, dass es schon irgendwo anders eine neue Quelle gibt, an der sie sich nähren können. So, und nun ist es Zeit zu schlafen. Wir haben morgen wieder einen langen Marsch vor uns. Und die Nacht wird schon unruhig genug. Da sollten wir nicht die wertvolle Schlafenszeit mit Fragen vergeuden.“

      „Unruhig? Wieso unruhig?“

      „Weil die Tibboh nachtaktiv sind. Also, bis morgen.“ Akinna verschwand wie gewohnt komplett unter ihrem Umhang.

      „Bis morgen?“, murmelte Dantra vor sich hin. „Hört sich ja an, als würde sie wie Comal ganz woanders schlafen.“ Er wickelte sich in seine Decke, mümmelte noch das trockene Brot weg, das er von Comal bekommen hatte, und schlief bald darauf ein.

      Allerdings hatte Akinna nicht übertrieben. Je später