Der Mann vor ihr lehnte sich in seinem Stuhl zurück, dass das Gestänge krachte. Es war ein breiter, schwerer Stuhl, den er da hinter seinem riesigen Schreibtisch hatte, und doch war das Holz bis an seine Grenzen belastet. Sie sah ihn nicht an. Hätte sie irgendetwas zu essen gehabt in den letzten Tagen, sie hätte ihm aus lauter Ekel vor die Füße gekotzt. Sie heftete den Blick auf das messingfarbene Namensschild auf seinem Schreibtisch, in dem sich die Umrisse ihrer Bewacher verzerrt spiegelten.
Es waren drei, die mit gezückten Waffen hinter ihr standen. Soweit sie es hatte beobachten können, war das einer mehr als bei jedem anderen Gefangenen, und das, obwohl sie entwaffnet und an Händen und Füßen gefesselt war.
Sie starrte auf das Namensschild (»Elwig Küfner, Oberamtmann«) und versuchte, durch regelmäßiges und tiefes Atmen den Brechreiz zu bekämpfen, der ihren leeren Magen zusammenkrampfte und ihr bittere Galle den Hals hinauf drückte.
Der Oberamtmann seufzte auf eine übertrieben bekümmerte Art.
»Wie oft sind wir das schon durchgegangen«, sagte er. »Dreimal? Viermal? Wie oft wollt Ihr mir noch vorgeführt werden und mit Eurem Starrsinn meine Zeit stehlen? Die Beweislast ist erdrückend.«
»Eure Beweise sind Scheiße«, sagte Krona, »denn ich war es nicht.«
»Ihr hattet das Wissen um Markholts Erbe«, sagte der Oberamtmann leidenschaftslos. »Ihr habt Euch die nötigen Unterlagen und das Vertrauen der Erbin erschlichen. Dann habt Ihr sie getötet und das Haus angezündet, um Eure Spuren zu verwischen.«
»Für wie blöd haltet Ihr mich? Das Haus war vollgestopft mit wertvollem Krempel. Meint Ihr nicht, ich hätte mich besser da bedient, als eine mühsame Wanderung durch die Wildnis zu machen?«
»Es ist nicht bewiesen, dass Ihr nicht diverse Wertgegenstände aus dem Haus entfernt habt, bevor Ihr es in Brand stecktet. Wir haben die Beute nur noch nicht gefunden.«
»Das ist doch nicht zu glauben«, stöhnte Krona.
»Da habt Ihr recht«, sagte der Oberamtmann. »Solcher Dreistigkeit begegnet man selten.«
»Und warum«, fragte Krona verzweifelt, »sollte ich, wenn ich all diese schrecklichen Dinge getan habe, noch mal zu dem Haus zurückgehen? Das ist doch hirnverbrannt, oder nicht?«
»Meine umfassenden Erfahrungen belegen, dass Verbrecher den Ort ihrer Tat nach einiger Zeit nochmals aufsuchen«, sagte der Oberamtmann, und Krona lachte hilflos.
»Das sind Eure Beweise? Das ist doch nichts als ein Haufen Scheiße, und jeder Richter wird mir zustimmen!«
»Wir werden sehen, wem der Richter zustimmt. Macht Euch Eure Lage bewusst. Ihr seid fremd hier. Ihr seid eine heruntergekommene Söldnerin …«
»Hauptmann, Freundchen! Hauptmann der Königlichen Garde! Noch eine solche Frechheit, und es wird dir leidtun!«
»… und Ihr seid bereits als Ruhestörerin aufgefallen.«
»Wie bitte?«
»Die Bäckerin Goldmann gab zu Protokoll, dass Ihr am Elften des Monats kurz nach Sonnenaufgang in ihren Laden eingedrungen seid, sie bedroht habt und Euch von ihren Waren bedient habt, ohne zu bezahlen. Das erfüllt den Tatbestand des Hausfriedensbruches, der Androhung von Gewalt und des Diebstahls in minder schwerer Form.«
»Das ist doch lächerlich!«
»Ganz zu schweigen von dem unablässigen Strom an Drohungen, den Ihr mir gegenüber von Euch gebt.«
»Ich sage Euch etwas. Ihr alle habt keine Ahnung, wer den Mord und all das begangen hat. Ich weiß es, aber Ihr wollt mir nicht glauben. Ihr wollt eine einfache Lösung. Statt die eigentliche Schuldige zu suchen, hängt Ihr lieber die Fremde auf, die passt sowieso nicht in Euer sauberes Straßenbild. Ihr habt keine Arbeit mit dem Fall, Ihr steht in der Öffentlichkeit gut da, das ist bestimmt auch der Karriere förderlich, habe ich recht? Ganz davon zu schweigen, dass es einen Haufen Leute hier gibt, die sich freuen, eine wie mich hängen zu sehen. Ist es nicht so? Gebt es wenigstens zu!«
»Ich habe nichts zuzugeben. Euch hingegen stünde ein Geständnis gut zu Gesicht«, sagte der Oberamtmann ungerührt. »Ihr solltet Euch bemühen, den Richter milde zu stimmen, wenn Ihr vom Strick verschont bleiben wollt. Zeigt Ihr Euch geständig und reuig, könnte das Urteil lediglich lebenslänglich lauten.«
»Lieber lasse ich mich aufhängen«, knurrte Krona.
»Diese Einstellung bringt Euch ziemlich sicher an den Strick«, sagte der Oberamtmann und raschelte zerstreut durch einige Papiere, die seinen Schreibtisch bedeckten. »Aber Ihr habt noch vier Tage, um Eure Meinung zu ändern. Die Haftordnung sieht vor, dass Angeklagte mindestens zwei Wochen im Gefängnis sein müssen, bevor ein Urteil über sie gesprochen wird. Das soll dem Verteidiger genug Zeit geben, um eine günstige Strategie auszuarbeiten.«
»Ich habe nicht mal einen Verteidiger, Arschloch«, fauchte Krona.
»Tatsächlich?«, sagte der Oberamtmann, ohne aufzusehen. »Wie unglücklich. Das wurde offenbar übersehen. Nun, ich nehme an, jemand im ehemaligen Rang eines Hauptmannes besitzt die nötige Bildung, um sich selbst zu verteidigen, auch wenn Eure vulgäre Ausdrucksweise das Gegenteil vermuten lässt.«
»Dieser Hauptmann ist alles andere als ehemalig, das werde ich dir noch zu spüren geben!«
»Das Schreiben an die entsprechende Stelle ist bereits ausgefertigt«, teilte der Oberamtmann ihr mit. »Ihr glaubt doch wohl kaum, dass Ihr Euren Rang behalten werdet, nach allem, was Ihr getan habt.«
Die Worte trafen Krona wie ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand. Dann, nach einer gelähmten Schrecksekunde, schoss heiße Wut in ihr hoch.
»Schick diesen Schrieb raus, und du bist ein toter Mann!«
»Schon wieder eine Drohung«, sagte der Oberamtmann. »Anfangs habe ich mir jede Eurer Frechheiten noch einzeln notiert, müsst Ihr wissen. Mittlerweile bin ich dazu übergegangen, eine Strichliste zu führen.«
»Schick es raus, und ich werde dir deine Eier abreißen und sie den Ratten zu fressen geben!«
»Sie verschwendet meine Zeit«, sagte der Oberamtmann zu den Wachsoldaten. »Bringt sie weg. Ich werde sie in drei Tagen ein letztes Mal befragen.«
»Ich schlitz dir den Wanst auf! Ich verteile deine stinkenden Eingeweide an den Wänden! Ich trete dir in den Arsch, bis dir die Scheiße zu den Augen rauskommt!«
Sie wusste, es hatte keinen Sinn und würde nur mit Schlägen enden. Sie hatte die grundlegenden Regeln der Gefangenschaft längst begriffen, und doch hatte sie sich nicht mehr im Griff. Zwei der Wachsoldaten packten sie und zerrten sie grob in Richtung Tür. Sie wehrte sich mit aller Macht und so gut sie trotz ihrer Fesseln konnte, trat und stieß und biss und wand sich und brüllte wüste Beleidigungen, bis der dritte Wachsoldat mit seinem Knüppel ausholte und ihr einen brutalen Schlag auf den Rücken versetzte, der sie in die Knie gehen ließ. Weitere Schläge folgten, auf den Rücken und auf die Beine, und sie schützte ihren Kopf und wartete, bis es vorbei war.
Der letzte Schlag fiel. Benommen vor Schmerz wehrte sie sich nicht mehr, als man sie auf die Beine stellte und sie voran stieß. Sie kannte den Weg mittlerweile. Ein langer, dunkler Gang mit vielen Türen, hinter denen Büros lagen. Eine Treppe hinunter ins Erdgeschoss und hinten hinaus auf den Hinterhof, durch eine Gitterschleuse hinein ins Nachbarhaus und eine lange, gewundene Treppe hinunter in den Keller. Gestank schlug ihr entgegen, der sie würgen ließ, eine unerträgliche Mischung aus Fäulnis, Schweiß und menschlichen Exkrementen. Sie zwang die faulige Luft in ihre Lungen. Sie wusste mittlerweile, dass man den Geruch nach einer Weile nicht mehr wahrnahm. Sie wurde einen feuchten, schlecht beleuchteten Gang entlang gestoßen, passierte zwei weitere Gitterschleusen und ging schließlich in ihrer Zelle zu Boden, wo sie stöhnend liegen blieb und zuhörte, wie