»Aber es ist doch so, nicht wahr?«, beharrte er. »Du wirst heiraten.«
»Ich will nicht darüber sprechen!« Sie schleuderte das Tuch, mit dem sie die Schwertklinge poliert hatte, vor sich auf den Boden.
»Aber müssen wir das denn nicht?«
»Nein. Wir müssen gar nichts.«
»Ich glaube doch«, sagte er und wünschte sich verzweifelt, so wie sie in der Lage zu sein, die Wirklichkeit auszublenden. »Wir müssen entscheiden, wie es weiter gehen soll.«
»Ich will aber nichts entscheiden!«, schrie sie ihn an, sprang auf und trat heftig gegen einen Stein, der polternd zu Tal rollte. »Was soll ich denn entscheiden, verdammt? Was verlangst du? Soll ich gerade mal so mit einem Atemzug meine Zukunft wegschmeißen? Ich kenne Arik, seit wir Kinder sind! Ich werde nach meinem Vater die Führerin der Sidarthi sein! Es gibt Leute dort, mit denen ich jeden Tag meines Lebens verbracht habe! Das kannst du nicht verlangen!«
»Aber ich verlange doch nichts«, sagte er leise, während Trauer in sein Herz zog.
»Kannst du es entscheiden?«, fragte sie, Tränen in der Stimme.
»Nein.«
»Siehst du! Deine Lebenserfahrung ist um ungefähr neunzig Jahre größer als meine. Wie kannst du von mir verlangen, dass ich es entscheide?«
»Ich kann es dir nicht ersparen«, sagte er verzweifelt. »Die Götter wissen, ich würde es tun, wenn ich könnte. Ich würde alles tun.«
Tränen liefen ihr nun über die Wangen, und sie fing sie mit der Zungenspitze aus den Mundwinkeln und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, doch ihre Fassung schwand. Er öffnete die Arme, und sie warf sich hinein, schlang ihm die Arme um den Hals und schluchzte laut und ungebremst in seine Brust, während er über ihr Haar strich und nach Worten des Trostes suchte und keine fand, denn es war kein Trost in ihm.
Es dauerte lange, bis sie sich leer geweint hatte und in seinen Armen ruhiger wurde, die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, und er löste sich vorsichtig von ihr, um ein Nachtlager herzurichten, während sie vergeblich versuchte, eine ihrer immer noch feuchten Fackeln zum Brennen zu bringen.
»Thork«, sagte sie schließlich und warf die nutzlose Fackel beiseite, »ich will mit dir eine Vereinbarung treffen. Lass uns nicht über Entscheidungen reden, bevor wir es nicht müssen. Solange wir in diesem Gebirge sind, soll es nur uns beide geben, dich und mich, und die Welt dort unten soll uns egal sein.«
»Dann wünsche ich mir eine Steinlawine über uns«, sagte Thork, »damit wir das Gebirge nie mehr verlassen müssen.«
»Das würdest du nicht tun, oder?«, fragte sie, und sein scharfer Zwergenblick las fast etwas wie Erschrecken in ihrem Gesicht.
»Nein«, sagte er. »Ich würde niemals etwas tun, das dir Schaden zufügt. Und was deinen Vorschlag anbetrifft, Prinzessin, so bin ich einverstanden. Wenn es dein Wunsch ist, wollen wir es so halten.«
Sie legten sich zum Schlafen nieder, eng umschlungen, ihre beiden Decken über sich gebreitet, doch neu erwachende Schmerzen in seiner Schulter und eine quälende Trauer in seiner Seele hielten ihn wach, und er bemerkte, dass er bereits begann, Abschied zu nehmen. Es ging schon fast gegen Morgen, als er endlich in einen leichten, unruhigen Schlaf fiel.
Je mehr sie sich in den folgenden Tagen wünschten, die Zeit anzuhalten, desto rascher verging sie. Sie mieden den direkten Weg ins Tal, und doch brachte jeder Schritt, den sie taten, jeder Umweg, den sie fanden, sie dem Ende ihrer Gemeinschaft näher. Oft schlugen sie deshalb ihr Nachtlager schon am Nachmittag auf oder gingen erst gegen Mittag weiter. Sie mieden die Gesellschaft anderer, wo sie konnten, verzichteten auf einen Besuch bei Galdur und hielten sich in dem Dorf, das den Schwarzen beherbergt hatte, nur so lange wie irgend nötig auf.
Als der hohe Buchenwald sie empfing, war bereits der Herbst eingekehrt. Blätter raschelten unter ihren Schritten, und die Baumkronen leuchteten feurig. Pilze steckten ihre glänzenden Kappen aus dem Boden, und morgens hingen winzige Tautropfen funkelnd wie Diamanten in den Spinnennetzen. Die Nächte wurden kalt.
Sie fanden es schwierig, auf diesem letzten Teil der Reise miteinander zu sprechen. Zu viele Themen hatten sie sich verboten. Sie unterbrachen sich, wenn es gefährlich wurde, und bewegten sich durch ihre Gespräche wie Wanderer, die auf schwankendem Steg ein Moor durchquerten, und mit der Zeit sprachen sie immer weniger.
Trotz aller Bemühungen lag der Berg irgendwann hinter ihnen, und die Ebene breitete sich vor ihnen aus. Es kam der letzte Tag ihrer gemeinsamen Reise. Kalt und klar dämmerte der Morgen herauf, frostig stand ihnen der Atem vorm Mund, als sie kurz vor Sonnenaufgang von der Kälte geweckt wurden. Es wurde Winter, musste Thork feststellen, allmählich, aber unaufhaltsam, und sie würde im Winter heiraten.
Als sie das Feuer wieder in Gang gebracht hatten und darauf warteten, dass das Teewasser kochte, begann Lianna unvermittelt, Argumente aufzuzählen. Ihre Stimme klang bemüht, als wolle sie hauptsächlich sich selbst überzeugen.
»Wo sollten wir denn leben«, sagte sie. »Bei meinen Leuten ebenso wenig wie bei deinen. Stell dir das doch nur vor. Das gäbe Mord und Totschlag.«
»Ja«, sagte er und sah ins Feuer.
»Sie jagen mich davon, wenn ich mit einem Zwerg aufkreuze«, sagte Lianna. »Sie haben ihre Meinung über Zwerge.«
»Ich weiß«, sagte er und dachte an die Anfänge.
»Und umgekehrt genauso«, fuhr sie fort. »Als einzige Menschliche unter lauter Zwergen, das könnte ich nicht ertragen.«
Er zerbrach Reisig, warf die Stücke nacheinander in die Flammen und sah zu, wie sie Feuer fingen.
»Wir könnten vielleicht einen Ort finden, an dem es Menschen und Zwerge gibt, und wo die Leute weniger engstirnig sind«, schlug er ohne viel Hoffnung vor.
»Und wo sollte der sein?«, sagte sie. »Ich kenne das ganze Land. Ich war überall. Ich habe nirgends einen solchen Ort gesehen.«
Er schwieg. Er spürte, es war bereits entschieden.
»Und selbst wenn es ihn gäbe«, fuhr sie fort. »Ich weiß nicht, ob ich sesshaft werden könnte. Ich halte ja schon kaum das Winterlager aus. Ich kann es jedes Jahr gar nicht erwarten, bis wir endlich wieder fahren können, und das sind nur ein paar Monate. Könntest du dir ein Wanderleben vorstellen?«
»Für eine Weile«, sagte er.
»Aber nicht für immer?«
»Nein.«
»Siehst du.«
Das Wasser kochte. Er warf die Teeblätter hinein und nahm den Topf vom Feuer.
»Könntest du denn alles aufgeben?«, fragte sie. »Deine Umgebung, deine Familie, all die Leute, die einen Platz in deinem Leben haben?«
»Es gibt da nicht sehr viel aufzugeben«, sagte er. »Ein paar Gewohnheiten, höchstens.«
Sie sah ihn erschrocken an.
»Das wusste ich nicht.«
»Ich habe mich immer nach Möglichkeit bemüht, Leute aus meinem Leben raus zu halten«, erklärte er.
»Aber warum?«
»Ich weiß nicht. Es war mir wohler so.«
»Verstehe ich nicht.«
»Musst du auch nicht. Es ist, wie es ist.«
Ein Schweigen trat ein, in dem sie beide den Blick des anderen vermieden.
»Wir könnten nie Kinder haben«, sagte sie dann, und er hörte, wie ihre Verzweiflung wuchs. »Menschen und Zwerge können keine Kinder zusammen bekommen. Jeder weiß das.«
»Ich glaube nicht, dass es viele gibt, die es versucht haben«, sagte er und rührte in dem Topf. Es war etwas in ihm, das sich weigerte, die Wirklichkeit zu erkennen, ein Verhalten,