Während er noch haderte, machte sie sich an den Schnallen seines Kettenhemdes zu schaffen, trennte das Vorder- vom Rückenteil und ließ es klirrend zu Boden gleiten.
»Ist das schwer!«, rief sie erstaunt. »Und damit bist du auf diesen Berg geklettert und hast mein halbes Gepäck getragen?!«
»Das Gewicht verteilt sich«, murmelte er. »Man spürt es kaum.«
Er machte eine heftige abwehrende Geste, als sie versuchte, ihm den Waffenrock abzustreifen. Übelkeit befiel ihn, dunkler Nebel zog auf und engte sein Gesichtsfeld ein. Er unterdrückte ein neuerliches Stöhnen und ließ sich zurücksinken gegen den Fels.
»Das ist der Blutverlust«, hörte er ihre sachliche Stimme. »Ich weiß ja nicht, wie viel Blut in euch Zwerge so hineinpasst, aber wenn du etwas davon behalten willst, solltest du aufhören zu zappeln.«
Er spürte, wie sie ihm den Waffenrock auszog, sein Hemd aufschnürte und es ihm vorsichtig über den Kopf streifte. Kühle Luft strich ihm über die Haut. Er erschauerte, nicht allein wegen der Kälte. Er stand kurz vor einer Panikattacke, nur fehlte ihm dazu die Kraft.
Er schloss sein gesundes Auge, versuchte zu vergessen, dass es ihre Hände waren, die auf seinem Körper lagen, mit geringem Erfolg.
Sie reinigte und wusch die Wunde, und für eine Weile bestand seine Welt aus nichts als reißendem Schmerz, aus Übelkeit und wirren schwarzen Flecken, die vor seinem Auge schwammen.
»Du hast mein Leben gerettet mit dieser Heilkraft«, sagte sie, während sie die Wunde vorsichtig mit sauberen Tüchern abtupfte. »Und nun ist nichts für dich übrig. Ich finde das ungerecht.«
Er antwortete nicht gleich, er hatte gegen den Schmerz die Zähne so fest aufeinander gebissen, dass es ihn einige Mühe kostete, den Krampf zu lösen.
»Es hat nichts mit Ungerechtigkeit zu tun«, sagte er mühsam. »Ich habe diesen Vorrat, und wie ich ihn einteile, liegt in meiner Verantwortung.«
»Aber er könnte doch in Zeiten der Not ein bisschen größer sein, oder nicht?«
»Es war eine Zeit der Not«, sagte er. »Und, ja, er war größer.«
Sie sah ihn an, suchte offenbar nach einer Antwort, sagte dann »Ach so«, und strich sich flüchtig eine Haarsträhne aus der Stirn, bevor sie sich abwandte und begann, in ihrem Rucksack zu kramen, ihre Wangen waren plötzlich gerötet.
»Da ist es«, sagte sie schließlich und holte ein Päckchen ans Licht. »Es geht doch nichts über eine vernünftige Vorsorge.« Sie hielt ihm das Päckchen unter die Nase. Es war in saubere Tücher gewickelt und verströmte einen aromatischen, minzeartigen Duft.
»Heilkräuter«, erkannte er.
Mit behutsamen Händen legte sie die flachen Päckchen auf seine Wunde und brachte einen Verband an, der sie am Verrutschen hinderte. Kurze Zeit später ließ die Blutung nach, der Schmerz klang ab. Thork atmete tief durch. Er hasste diese Schwäche, die der Blutverlust erzeugte, sie lag auf ihm und ließ seinen Körper sich anfühlen, als wäre er unter tonnenschwerem Gestein begraben. Sie verhinderte, dass er aufstand, sich sein Hemd wieder anzog und begann, irgendetwas Sinnvolles zu tun: den Schaden an seinem Kettenhemd zu begutachten, das Trollblut von seiner Axt zu waschen, hinaufzusteigen zum Kampfplatz und nachzusehen, ob sich noch Schrate in der Gegend herumtrieben. Und sie verhinderte, dass er etwas unternahm, als Lianna, obwohl sie die Behandlung seiner Wunde längst abgeschlossen hatte, nicht von seiner Seite wich, im Gegenteil, sich neben ihm ausstreckte, ihren Körper sehr nahe an den seinen brachte, ihre Wange an seine gesunde Schulter legte und ihre Stirn an seinen Hals, ihr Atem strich über seine Brust und ließ ihn erschauern. Er sah hinunter auf seine Hände, die neben ihm lagen und die er nicht zu bewegen wagte, damit sie nicht wieder so hart und klobig auf ihr zu liegen kämen, es waren Hände, die ein Schwert schmieden konnten, Holz spalten, einen Troll erschlagen, aber doch keine so unglaublich zarte Frau berühren. Er schloss sein gesundes Auge, während Verzweiflung unter seiner unbewegten Oberfläche wütete. Er spürte, wie sie ihren Kopf von seiner Schulter nahm. Nun würde sie aufstehen und zur Normalität zurückkehren, und der Zauber wäre verflogen.
Doch sie tat nichts dergleichen. Ihr Atem legte sich auf sein Gesicht, er öffnete sein Auge und fand die ihren dicht vor sich, er hätte ihre langen, dichten Wimpern zählen können, und sie lächelte. Mit der Zungenspitze berührte sie seine Lippen und umspielte sie sachte. Er erschrak bis ins Mark, drängte sich unbewusst dichter an den Fels, während Hitze in seinem Körper explodierte. Es schien Hunderte von Jahren her zu sein, seit er zuletzt auf diese Art geküsst worden war, er war nicht sicher, ob überhaupt jemals eine Frau ihn auf diese Art geküsst hatte. Sie brachte ihre Zunge nun zwischen seine Lippen, gegen seine Zähne, und er öffnete den Mund und ließ sie ein, kam ihr ein wenig entgegen, bis er endlich ihre Lippen auf seinen spürte. Sie legte die Arme um seinen Hals und er erinnerte sich an das Spiel und küsste sie zurück, während sein Herzschlag ihm die Ohren füllte und seine Brust zu sprengen drohte. Und plötzlich war es gut und richtig, dass seine Hände auf ihrem Gesicht lagen, über ihr unglaublich weiches Haar strichen und über ihren Hals, seine Hände, die zeichnen konnten und heilen, ganz leicht und zärtlich, und er dachte nicht über sein Tun nach, als er ihr Hemd öffnete und es über die Schultern hinab strich, ohne dabei seine Lippen von ihren zu lösen, ihre Hände trafen die seinen, als sie ihm zu Hilfe kam, und er spürte, wie ihr Atem tiefer ging. Sie bewegte sich heftig auf ihm, als sie sich ihrer hohen Lederstiefel und restlichen Kleidung entledigte, und er sah ihr zu, in den Bann geschlagen von dem unbekümmerten Stolz, mit dem sie sich ihm zeigte, und verzweifeltes Verlangen überflutete ihn. Sie kniete rittlings über ihm, die Wangen gerötet, die weiße Haut ihres Körpers schimmerte wie reiner Marmor in der hohen Gebirgssonne. Mit den Fingerspitzen strich er von ihrem Hals abwärts, folgte der Mulde zwischen ihren Brüsten hinunter bis zu ihrem Bauch, der sich weicher anfühlte als alles, was er je berührt hatte. In einer Geste, die ebenso anmutig wie schamlos war, hob sie die Arme, um ihren Haarknoten aufzulösen, und schüttelte ihr dunkles Haar auf ihn hinunter, beugte sich dann nach vorne, bis er ihre zarten runden Brüste auf sich spürte, und küsste ihn erneut, während ihr Haar rings um sein Gesicht niederfiel und seine Wangen berührte, weicher als Rabenflügel. Er vergrub das Gesicht in ihrem Haar, Hitze ging von ihrem Körper aus und griff auf ihn über, sie stöhnte leise an seinem Ohr, und er ließ seine letzte, tiefste Abwehr fallen und legte die Hände auf ihre Hüften und hielt sie fest bei sich und ging den Weg mit ihr bis zum Ende.
Immer längere Schatten warfen die Felsen, die sie umgaben. Die Sonne verschwand hinter den Bergen. Ein kalter Wind kam auf, der sie schließlich auf die Beine trieb. Der Schmerz pochte dumpf in Thorks Schulter, doch die Wunde hatte aufgehört zu bluten. Sie zogen sich an und hüllten sich in ihre Mäntel. Dann, solange das Tageslicht noch reichte, machten sie sich daran, die Spuren des Kampfes von ihrer Ausrüstung zu beseitigen. Mit einem feuchten Tuch rieb Lianna sorgfältig Innen- und Außenseite ihres leichten Lederpanzers ab, der einige neue tiefe Kratzer quer über der Brust aufwies, und Thork schauderte bei dem Gedanken, was passiert wäre, wenn sie ihn nicht getragen hätte. Die Klinge ihres Langschwertes schärfte sie mit ruhigen, geübten Bewegungen und fettete sie dann vorsichtig ein. Thork behob inzwischen übergangsweise den Schaden an seinem Kettenhemd, indem er die aufgebogenen Ringe entfernte und das Loch mit einer starken Lederschnur schloss, die er kreuzweise durch die Ringe zog. Es würde halten müssen, bis er die Gelegenheit bekam, einen Rüstungsmacher aufzusuchen.
Seine Ruhe jedoch war rein äußerlich. In seinem Inneren tobte eine fatale Mischung aus Glück und Verzweiflung und Selbstvorwürfen. Es gab eine Kleinigkeit, die er vergessen hatte, als sie sich vorhin zu ihm gelegt hatte, oder vielleicht hatte er es auch vergessen wollen.
Ich hätte es nicht zulassen dürfen.
Aber, Gròr, was hätte ich denn dagegen tun sollen?
Er räusperte sich, faltete sein Kettenhemd zu einem silbrigen Paket, das er auf den Fels neben sich legte, stützte im Sitzen die Ellenbogen auf die Knie, faltete die Hände wie zum Gebet, räusperte sich erneut.
Sie sah ihn an, erwartungsvoll. Er mied ihren Blick und sah vor sich auf den Boden.
»Dann