»Du bist ein lieber Vati«, erklärte Kitty befriedigt.
Dann endlich kam Marianne. Sie hatte in der Küche bei Martha zwar längst erfahren, dass Axel Fernau da war, aber in ihrer Angst nicht sogleich den Mut gefunden, auf die Terrasse zu gehen.
»Wir gehen nach Südafrika, und der Hase Mummel kommt mit«, schrie Kitty, als ihre geliebte Marianne erschien.
»Südamerika«, verbesserte Rosita lächelnd. »Es ist alles gut geworden, Marianne. Ich danke dir, dass du den Brief geschrieben hast.«
»Sie sind mir also nicht böse?«, stammelte das Mädchen.
»Nein. Wie hätte ich Rosita jemals finden sollen ohne Ihren Brief, liebe Marianne?«, mischte sich Axel lebhaft ein. »Werden Sie uns begleiten nach Buenos Aires?«
Marianne wurde blass. »Nach Buenos Aires? So weit fort von Deutschland soll ich gehen?«
»Nun ja, du musst natürlich nicht. Es bleibt dir überlassen, Marianne«, meinte Rosita. »Aber ich trenne mich nur ungern von dir. Du hast mir immer beigestanden in guter und in böser Zeit. Eigentlich gehören wir zusammen.«
»Ich habe Angst, so weit wegzugehen«, sagte Marianne leise. »Martha sagt …, nun ja, sie hat mir einmal angedeutet, dass Frau von Lehn jemanden für das Haus für ihr Peterle sucht. Ich glaube, ich würde dieses Angebot annehmen, denn hier ist es wunderschön, und ich habe mich mit Martha so gut angefreundet, als wäre sie meine Mutter. Aber natürlich bleibe ich nur, wenn Sie mich wirklich nicht benötigen, Frau Linden.« Unsicher schaute sie ihre Herrin an.
»Du kannst es dir ja in Ruhe überlegen, Marianne«, begütigte Rosita. »Wir reisen nicht gleich morgen.«
*
Noch am gleichen Abend wurde in Schoeneich vor dem Kamin die glückliche Wiedervereinigung von Rosita Linden und Axel Fernau gefeiert.
Axel Fernau blieb volle vier Wochen als Gast in Schoeneich, und an seinem Arm unternahm Rosita bald die ersten ausgedehnteren Gehversuche ohne Krücken. Das Glück der Liebe gab ihr die Kraft, die ihr bisher gefehlt hatte.
Zum Herbst aber hieß es, Abschied zu nehmen von Sophienlust und Schoeneich. Mit dem in einem Transportkäfig wohl aufgehobenen Hasen Mummel brach die kleine Familie auf nach Buenos Aires. Nur Marianne Weber blieb zurück. Endlich hatte Andrea von Lehn ein vertrauenswürdiges, intelligentes und liebes Mädchen gefunden, in dessen Hände sie die Verantwortung für Haus und Kind legen konnte.
»Ich mache mir Sorgen um Helmut«, sagte Andrea von Lehn an einem regnerischen Sommerabend zu ihrem Mann.
Dr. Hans-Joachim von Lehn, Tierarzt in Bachenau, nahm seine junge Frau in die Arme und küsste sie verliebt und zärtlich.
»Mit unserer Marianne und Helmut Koster wäre es wohl nichts?«, fragte er vergnügt. »Er muss sich doch über Betti nach und nach hinwegtrösten, wenn er ein richtiger Mann ist.«
Helmut Koster war der Tierpfleger, dem die vierbeinigen und gefiederten Bewohner des Tierheims Waldi & Co. anvertraut waren. Andrea, genau wie ihr Mann ein Tierliebhaber reinsten Wassers, hatte dieses Tierheim gegründet. Waldi, ihr Dackel, war Chef und Namenspatron des Heims. Augenblicklich lag er einträchtig mit seiner Familie, die aus seiner Gattin und zwei Kindern bestand, auf einem Kissen im Wohnzimmer, während die mächtige schwarze Dogge Severin, Andreas ständiger Begleiter, auf einem alten Teppich ihren Stammplatz hatte und die Szene wie immer mit klugen, wachsamen Augen überschaute.
»Marianne und Helmut passen nicht zusammen«, erwiderte Andrea jetzt und schob ihren Mann ein wenig von sich. »Ich sehe, du nimmst die Sache wieder einmal auf die leichte Schulter. Wir können schließlich nicht erwarten, dass unser tüchtiger Tierpfleger sich automatisch in jedes unserer Hausmädchen verliebt. Die Sache mit Betti war eine Enttäuschung für ihn, obwohl ich meine, dass es so und nicht anders kommen musste. Betti hat ein echtes Glück gefunden, und unser guter Helmut ist nun einmal im Grunde eine unstete Natur. Das Zirkusblut lässt sich auf die Dauer nicht verleugnen.«
Dr. von Lehn betrachtete seine bildhübsche Frau, die er von der Schulbank weg geheiratet hatte, mit amüsierten Blicken. »Machst du dir nicht wieder einmal zu viele Gedanken? Du musst dich immer um irgendetwas oder irgendjemanden kümmern, sonst bist du nicht zufrieden. Wenn es kein verlassener Hund, kein schlecht behandeltes Kind ist, dann nimmst du sogar unseren Helmut aufs Korn. Er hat doch hier bei uns im Tierheim einen halben Zirkus.«
Andrea nickte, ohne auf den scherzhaften Ton ihres Mannes einzugehen. »Stimmt, er macht aus unserem Tierasyl eine Art Zirkus. Ich habe gestern gesehen, wie er die junge Schimpansin Luja auf Isabells Schultern reiten ließ. Isabell, die sowieso als Tanzbärin ausgebildet war, besann sich in rührender Weise auf das, was sie früher einmal gelernt hat. Auch mit den Bärenjungen Taps und Tölpl hat Helmut schon allerlei Kunststückchen versucht. Er bemühte sich, seine Spielereien vor mir zu verbergen. Aber ich bin zu oft drüben im Tierheim. Da bleibt es nicht aus, dass ich ihn gelegentlich bei seinen heimlichen Dressurversuchen überrasche. Luja scheint übrigens sehr anstellig zu sein. Schimpansen sind leicht abzurichten, wie du wissen wirst.«
»Na gut, Andrea, dann spielt er eben mit den Tieren ein bisschen Zirkus. Das richtet sicherlich keinen Schaden an. Ein Grund zur Sorge ist das jedoch nicht.«
»Doch, Hans-Joachim, Helmut hat Sehnsucht nach seiner früheren Umgebung. Wer vom Zirkus und vom fahrenden Volk kommt, findet sich im Allgemeinen mit einem sesshaften Dasein auf die Dauer nicht ab. Ich sehe schon, dass unser Helmut Koster nicht für alle Ewigkeit bei uns bleibt. Ob er damit für sich persönlich einen besseren Tausch macht, bleibt zu bezweifeln. Jedenfalls richte ich mich innerlich darauf ein, dass wir ihn über kurz oder lang verlieren werden.«
»Siehst du nicht ein bisschen zu schwarz? Er hat seine abgeschlossene Wohnung, die zum Tierheim gehört, seine ihm vertraute Beschäftigung mit Tieren und sogar die Möglichkeit, insgeheim ein bisschen Zirkus mit den Tieren zu spielen.«
»Zirkusluft weht bei uns nicht, Hans-Joachim. Wenn man ein paar Tieren Kunststückchen beibringt, will man auch den Beifall des Publikums haben, von einem Ort zum anderen ziehen und seine Künste immer wieder neuen Menschen zeigen. Nur für sich allein übt Helmut mit den Bären und der kleinen Schimpansin bestimmt nicht. Er träumt vom Zirkuszelt, von Zirkusmusik und von allem, was zum Zirkus gehört. Darauf möchte ich wetten.«
»Wenn du recht hast, wäre es freilich bedauerlich aber es gibt eine alte Regel, nach der man Reisende weder aufhalten kann, noch soll. Wir müssen den Dingen erst einmal ihren Lauf lassen, Andrea.«
»Ich würde natürlich auch ohne Helmuts Hilfe fertig werden, nachdem ich jetzt Marianne im Haus habe. Trotzdem verliere ich diesen zuverlässigen, tierliebenden Mann ungern, sofern er einer ungewissen Zukunft entgegengeht. Es ist schwer zu entscheiden, was man ihm wünschen soll«, seufzte Andrea.
»Du nimmst die Sache viel zu ernst«, wandte ihr Mann ein und schloss sie wieder in die Arme, was sie jetzt gern geschehen ließ, denn sie war müde und liebte ihren Mann über alles. »Falls Helmut nicht bei uns bleiben will, wird er hoffentlich den Mut haben, offen mit uns zu reden.«
»Er verdankt uns viel. Vielleicht ist es ihm peinlich, dass er uns verlassen möchte. Ich werde jedenfalls die Augen offen halten.«
»Aber heute Abend nicht mehr, Andrea. Dazu sind wir beide viel zu lang aufgeblieben. Jetzt wird geschlafen. Oder hast du dagegen etwas einzuwenden? Ich hoffe nicht, dass du mit offenen Augen schlafen willst, nur um Helmut Koster zu behüten und zu beschützen.«
Andrea lachte. »Du nimmst mich nie ganz ernst, Hans-Joachim. In deinen Augen bleibe ich für immer und ewig das kleine Schulmädchen, das sich in dich verliebt hatte. Inzwischen bin ich eine würdige Ehefrau und Mutter geworden. Ab und zu scheint es dringend erforderlich zu sein, dass ich dir das in Erinnerung bringe.«
»Sei doch froh, dass du so herrlich jung bist,