Bansiner Fischertod. Elke Pupke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Pupke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783356023329
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war gar nicht bewusst, dass wir uns so ähnlich sehen. Kinder sind doch manchmal erstaunlich scharfsichtig.«

      »Ja, nur schade, dass die Eltern das gar nicht mitkriegen.«

      »Das nennen die wahrscheinlich antiautoritäre Erziehung.«

      »Ich würde es Vernachlässigung nennen.«

      »Was geht es uns an?! Zum Glück reisen die morgen ab.« Sie lehnt sich zurück und seufzt zufrieden.

      Berta mustert ihre Nichte wohlwollend. Ihr gefällt es, dass diese ihr nicht nur im Charakter, sondern auch im Aussehen ähnlich ist, was jetzt, wo Sophie Mitte fünfzig ist, trotz kupferrot gefärbter Haare immer deutlicher wird. Sie sind etwa gleich groß, die ältere allerdings deutlich kräftiger gebaut als die zierliche Wirtin. Das energische Kinn, eine kleine Stupsnase und vor allem die strahlend blauen Augen, die durch dunkle Wimpern und einen blassen Teint noch betont werden, haben beide gemeinsam. Für Berta ein deutlicher Beweis dafür, dass ihre Vorfahren, die zum großen Teil Seefahrer waren, von den Wikingern abstammen.

      Sophie ist das ziemlich egal, zumal sie in Berlin geboren und aufgewachsen ist, dennoch hat sie sich hier an der Ostsee immer am wohlsten gefühlt. Nachdem sie vor acht Jahren die Pension von ihrer Tante übernommen und anschließend umgebaut hat, ist Bansin ihr Zuhause. Und das ist gut so. »Ich brauche dringend Urlaub«, stellt sie jetzt fest. »Am liebsten würde ich weit wegfahren, irgendwohin, wo es noch warm ist. Am Strand liegen, im Mittelmeer baden, mich im Hotel verwöhnen lassen.«

      »Man sollte doch annehmen, du hättest hier genug Hotel. Und Strand auch.«

      »Es ist aber schon ein Unterschied, ob man im Hotel arbeitet oder wohnt.«

      »Na ja, trotzdem.« Berta schüttelt verständnislos den Kopf. »Wenn du noch sagen würdest, du möchtest mal in die Berge fahren.«

      »Das musst du gerade sagen. Warst du schon mal im Gebirge?«

      »Ja, Anfang der Achtzigerjahre. In Thüringen – glaub ich. Jedenfalls waren da eine Menge Berge und Burgen und Fachwerkhäuser.«

      »Guck an. War’s schön?«

      »Nein.« Sie überlegt eine Weile. »Eigentlich war ich froh, als ich wieder nach Hause fahren konnte. Da kriegt man Platzangst, wenn man keinen Kilometer geradeaus gucken kann. Und berghoch und bergrunter zu laufen, ist auch nichts für mich. Ich gehe lieber am Strand lang.«

      »Wahrscheinlich hattest du nach einer Woche Heimweh.«

      »Genau.« Berta nickt nachdrücklich. »Ich will gar nicht in den Urlaub fahren. Wozu denn auch? Der Urlaub kommt doch zu mir. Siehst du, jetzt ist die Saison vorbei, die meisten Gäste sind weg, man trifft wieder die Einheimischen auf der Straße. Es ist so schön ruhig, ganz anders als im Sommer. Und die Natur ist herrlich. Schöner kann es am Mittelmeer auch nicht sein. Im November kommen die Stürme, vielleicht kriegen wir wieder Sturmhochwasser oder die Ostsee friert zu – das ist mir Abenteuer genug. Und auch genügend Abwechslung. Ich muss nirgendwo hinfahren.«

      »Na ja. Ich wollte dich auch gar nicht mitnehmen. Was sollte Bansin ohne dich machen? Stell dir vor, es passiert wieder was und du bist nicht da.«

      Ihre Tante will gerade zu einer Antwort ansetzen, als sie hören, wie die Haustür geöffnet wird.

      »Ich bin’s nur«, tönt ein zartes Stimmchen, bevor Sophie aufstehen und nachsehen kann. Die Person, die um die Ecke kommt, passt zur Stimme. Sie ist noch kleiner als Sophie, also nicht einmal mittelgroß, sehr schlank und wirkt trotz ihrer 32 Jahre beinahe kindlich mit schulterlangen, blondgefärbten Locken, blassblauen, immer etwas erstaunt blickenden Augen und ein paar Sommersprossen im blassen, schmalen Gesicht.

      »Morgen, Evelin!« Sophie sieht auf die Uhr. »Du bist ja heute früh dran.«

      »Ja, was soll ich zu Hause rumsitzen, wenn hier so viel zu tun ist. Dafür mache ich im Winter dann mal wieder früher Feierabend. Ich kann ja erst mal in die Zimmer gehen. Ist die Chaotenfamilie nicht heute abgereist?«

      »Nein«, seufzt Sophie, »leider erst morgen. Aber die aus der 12 und 13 sind weg.«

      »Nun setz dich erst mal hin und trinke einen Kaffee mit uns!«, unterbricht Berta die Arbeitsbesprechung. »Und mach hier keinen Stress!«

      »Ich will doch nicht … Hab ich euch gestört?« Erschrocken reißt die junge Frau die Augen auf und setzt sich schnell auf den nächsten Stuhl.

      Sophie schüttelt den Kopf. Warum lässt sich Evelin nur immer von Berta einschüchtern, sie müsste doch längst wissen, dass ihre Tante nicht so unfreundlich ist, wie sie tut. Jedenfalls nicht den Menschen gegenüber, die sie mag. Das sind die meisten und die kleine Kellnerin gehört im Moment dazu.

      »Quatsch nicht! Hol dir einen Kaffee! Hast du überhaupt schon gefrühstückt? Ist egal«, fährt sie fort, bevor Evelin antworten kann, »in der Küche steht noch alles. Was sollen die Leute von uns denken, wenn du so verhungert aussiehst? Nun geh schon, bevor Renate alles in die Tonne schmeißt.« Beim letzten Satz grinst sie die große, kräftige Frau an, die gerade hereingekommen ist.

      »Was schmeiß ich in die Tonne? Guten Morgen erst mal. Habt ihr noch Kaffee?« Renate wartet nicht auf eine Antwort, sie geht in die Küche und kommt kurz darauf im weißen Kittel, den sie im Gehen zuknöpft, zurück.

      Sophie hat inzwischen zwei Tassen Kaffee geholt, stellt sie ihren beiden Angestellten hin und holt für Renate eine Zuckerdose.

      Berta lehnt sich entspannt zurück. So hat sie es gern. Eine gemütliche Runde am Stammtisch und Renate hat offensichtlich Neuigkeiten zu erzählen, so aufgeregt, wie sie in ihrer Tasse rührt.

      »Stellt euch vor, bei Winklers und einer weiteren Familie ist eingebrochen worden«, verkündet die Köchin dann auch. »Und genau wie damals bei den … Dings – du weißt schon.« Sie sieht Berta an. Die nickt.

      »Wieder keine Spuren, die wissen gar nicht, wann es passiert ist. Haben es erst bemerkt, als sie Geld aus ihrem Geheimversteck nehmen wollten und nichts mehr da war.«

      »Sicher hatten sie ein ganz tolles Versteck«, vermutet Berta sarkastisch. »Im Schlafzimmer zwischen der Bettwäsche oder in einer Dose im Küchenschrank.«

      »Ist ja auch egal.« Sophie ist entsetzt. »Die Frage ist doch, wie sind die Einbrecher in die Wohnungen gekommen, ohne dass einer was gemerkt hat?«

      Evelin freut sich, dass die alte Frau jetzt abgelenkt ist und nicht mehr daran denkt, dass sie was essen sollte. »Das waren bestimmt Polen«, piepst sie. »Da steht heute auch wieder was in der Zeitung drüber.«

      Berta wirft einen kurzen Blick auf die Ostsee-Zeitung, die zusammengefaltet auf dem Tisch liegt, und schüttelt den Kopf. »Ja, da steht, dass sie Fahrräder geklaut haben und Jacken aus den Boutiquen. Aber die brechen nicht in Wohnungen ein, ohne dass es sofort bemerkt wird.« Sie kraust die Stirn und blickt nachdenklich aus dem Fenster, während die anderen drei Frauen weitere Vermutungen austauschen.

      Als Erste schiebt Renate ihre Kaffeetasse weg und steht stöhnend auf. »So, ich muss in die Küche. Ben hat heute frei, ich muss Kartoffeln schälen und Gemüse putzen.«

      »Evelin kann dir helfen«, bestimmt Sophie. »Die Gaststätte ist so weit fertig, ich mach noch schnell die beiden Zimmer sauber.«

      »Und ich gehe zum Strand und guck mal, was Paul und Arno so treiben. Soll ich Fisch mitbringen, wenn sie was haben?«

      »Ja, klar.« Renate stellt die Kaffeetassen zusammen und nickt energisch, während sie mit dem Hinterteil die Pendeltür zur Küche aufstößt. »Egal, was er hat. Das Mittagsgeschäft ist noch gut und es sind eine Menge Leute im Ort. Ich kann auch schon was für den Winter einfrieren.«

      Am Nachmittag glaubt Sophie ein Déjà-vu zu haben. Die Eltern mit den drei Kindern sind wieder die letzten Gäste, wieder beschäftigen sich die Erwachsenen mit ihren Smartphones, während die drei Kleinen durch den Raum toben. Diesmal reicht allerdings Bertas Erscheinen, dass sie Evelin winken, um zu zahlen und dann relativ schnell verschwinden.

      Die