Bansiner Fischertod. Elke Pupke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Pupke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783356023329
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auf den Netzen bequem gemacht. Er war müde, hätte gern noch ein bisschen geschlafen, bevor sie mit der schweren Arbeit beginnen würden, aber Ansgar knurrte ihn an, er solle Anker und Steurer fertig machen. Wenn sie im Fanggebiet ankämen, müsse es schnell gehen.

      Gereizt steckte Cuno sich eine Zigarette an. Es war inzwischen windig geworden, das Feuerzeug ging mehrmals aus, bis sie endlich brannte. Er nahm einen tiefen Zug und fuhr zusammen, als sein Cousin ihm die Zigarette aus dem Mund schlug. »Du bist hier nicht auf Vergnügungsfahrt!«, brüllte er. »Mach deine Arbeit!«

      In Cuno stieg Wut heiß auf, er wäre am liebsten auf Ansgar losgegangen, aber der war größer und stärker und er war der Kapitän auf diesem Kutter. »Das war das letzte Mal, mein Freund, dass ich mich von dir schikanieren lasse«, schwor er murmelnd, als er sich wegdrehte.

      Kurz vor Bornholm drehte der Wind auf Nordost und frischte auf. Sie beeilten sich, die Netze auszulegen. Die Wellen wurden höher, schneller, kräftiger. Das Boot schwankte heftig. Cuno saß auf der Hock, einem schmalen Steg hinter dem Ruderhaus. Mit der rechten Hand ließ er das schwere Netz über die Bordwand gleiten, mit der linken musste er sich festhalten. Plötzlich gab es einen Ruck, er konnte seinen Arm gerade noch vom Netz befreien, sonst hätte es ihn über Bord gezogen. Es hatte sich in der Schiffsschraube verfangen. Der Motor verstummte. Die Wellen waren meterhoch, niemand konnte hier ins Wasser gehen.

      Ansgar band ein Messer an einen der Bootshaken, den er Cuno reichte. Der versuchte damit, das Netz aus der Schraube zu schneiden. Es dauerte. Trotz der schwarzen Stiefelhosen und der schweren Gummijacken, die die Männer trugen, waren sie durchnässt. Die Wellen schlugen über Bord, das Wasser kam von allen Seiten. Cuno wollte eine Pause machen, er war völlig erschöpft. Aber Ansgar spornte ihn an, weiterzumachen. Er hielt Cuno fest, während der sich weit hinausbeugte.

      Dann, endlich, war es geschafft. Sie zogen das kaputte Netz ins Boot.

      Boto ging ins Ruderhaus, um den Motor anzulassen. ›Nur weg hier, in den Windschatten von Bornholm‹, dachte er. Nach Hause würden sie es jetzt nicht schaffen, denn der Sturm wurde noch stärker. Er hörte nur das schwere Rauschen der Brandung, nicht den Schrei. Dann sah er entsetzt, dass einer der Männer wie in Zeitlupe über Bord ging und zwischen den Schaumkämmen der hohen Wellen verschwand. Er wusste, dass sich die brusthohe Hose des Fischers in Sekundenschnelle mit Wasser füllen und das Gewicht ihn unbarmherzig in die Tiefe ziehen würde. Es gab keine Rettung.

       Montag, 7.Oktober

      Sophie streicht zum dritten Mal die Tischdecke glatt, rückt die kleine Vase mit den bunten Astern zehn Zentimeter nach links, sodass sie genau in der Mitte des Tisches steht, und blickt aus den Augenwinkeln hinüber zum Fenstertisch.

      Dort sitzt eine Familie, die aus Vater, Mutter und drei kleinen Kindern besteht und die anscheinend beschlossen hat, ihren Urlaub hier in der Gaststätte zu verbringen. Sie sitzen jetzt seit beinahe zwei Stunden am Frühstückstisch. Genauer gesagt sitzen die Eltern dort, während die Kinder zwischen den Tischen Verstecken und Fangen spielen. Als dabei eine Vase umfällt, wirft der Vater Sophie einen Blick zu – eher stolz, als um Entschuldigung bittend: So »reizenden« Kindern kann man doch einfach nicht böse sein. Die Mutter hat den Vorfall nicht bemerkt, sie starrt auf ihr Smartphone. Ob ihr wohl schon aufgefallen ist, dass sie von ihrem Platz aus direkt auf die Ostsee sehen kann?

      Nach dem gestrigen Sturm ist der Strand heute ziemlich schmal, die wenigen Strandkörbe, die noch nicht im Winterquartier sind, stehen gefährlich dicht am Wasser. Das ist heute spiegelglatt, auch die Schiffe fahren wieder. Die VINETA legt gerade an, zwei Leute rennen über den Seesteg, um sie zu erreichen. Ob eine Schifffahrt über die Ostsee nach Misdroy oder Swinemünde den Kindern nicht mehr Spaß gebracht hätte, als hier in der Gaststätte zu toben?

      Die Pension Kehr wieder steht an der Strandpromenade. In der Gründerzeit des Seebades von den Vorfahren der Wirtin errichtet, ist sie mit ihren großen Fenstern, den Säulen, Balkonen und Türmchen typisch für die Bäderarchitektur, die Bansin prägt. Fast das gesamte Erdgeschoss wird von der Gaststätte, die auch als Frühstücksraum dient, eingenommen. Zur Seeseite hin hat das Haus eine großzügige Fensterfront, die Licht hineinlässt und den Blick aufs Meer freigibt.

      Der Eingang an der Bergstraße befindet sich an der Rückseite des Gebäudes. Links neben der Tür hat Sophie die Rezeption einbauen lassen und damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sie kann die Pensionsgäste stilvoll empfangen und die hohe Rückwand verbirgt die Tür zur Küche und den Stammtisch. Der große, runde Tisch, der vermutlich zur Erstausstattung des Hauses gehörte, hat die jetzige Wirtin schon immer gestört. Besonders die Fischer in ihrer Arbeitskleidung waren ihrer Meinung nach dem Niveau des Restaurants abträglich. Mit zunehmendem Alkoholkonsum scheuten die sich nicht, Bemerkungen über die Gäste auszutauschen oder diese sogar anzusprechen, was Sophie manchmal in peinliche Situationen gebracht hatte. Den Stammtisch einfach abzuschaffen, verhinderte wiederum Berta, Sophies Tante und Vorgängerin. Jetzt befindet er sich in einer gemütlichen Ecke, zwischen der Rückwand des Empfangsbereiches und der Wand zur Küche. Gegenüber, neben der Küchentür, ist der Ausschank, den Sophie mit einem hohen Tresen und ein paar Hockern als Bar gestaltet hat. An der rechten Seite des Saales gelangt man ins Treppenhaus, das zu den drei Obergeschossen der Pension führt.

      Im Raum sind zehn Vierertische verteilt und fünf größere Tische unter den Fenstern. Ein wunderbarer Spielplatz für die drei Kinder, die jetzt dabei sind, die Stühle zu verrücken, um sich eine »Eisenbahn« zu bauen.

      Der Wirtin reicht es. Energisch geht sie zum Frühstücksbüfett und beginnt abzuräumen.

      Das jüngste Familienmitglied, ein etwa dreijähriges Pummelchen mit nutellaverschmiertem Gesicht und klebrigen Fingern wollte gerade nach einer Wurstscheibe greifen und tritt Sophie ans Schienbein, als diese die Platte wegnimmt.

      Mühsam beherrscht nimmt sie auch die Käseplatte aus der Reichweite des Kindes und geht erst einmal in die Küche, um tief durchzuatmen.

      Dort erreicht sie der Ruf der Frau: »Könnte ich noch eine Tasse Kaffee bekommen?«

      Ganz langsam stellt sie die Platten ab, zählt bis zehn, zwingt ein Lächeln in ihr Gesicht und will zurückgehen. Vor der Pendeltür bleibt sie stehen.

      »Wir möchten noch …«, hört sie, dann wird die ungeduldige Stimme der Urlauberin unterbrochen.

      »Unsere Frühstückszeit ist vorbei, wir müssen die Gaststätte für den Mittagstisch vorbereiten.« Tante Berta hat ihre vormittägliche Zeitungslektüre beendet und kümmert sich um die Gäste. »Ihr legt sofort die Marmelade zurück! Wirf ruhig, dann kriegst du morgen Haferflockensuppe zum Frühstück oder Schwarzbrot. Brötchen gibt es dann nämlich nicht mehr.«

      Das Mädchen blickt kurz zu ihren Eltern, senkt, als von dort keine Unterstützung kommt, den erhobenen Arm und legt zögernd die Backware zurück in den Korb. »Das darfst du nicht«, versucht sie noch, sich zu behaupten.

      »Doch, das darf ich«, versichert die alte Frau, packt die beiden kleinen Jungen an den Schultern und schiebt sie energisch in Richtung Familientisch. »So und jetzt raus mit euch an die frische Luft!« Sie lächelt das Ehepaar entwaffnend freundlich an. »Sehen Sie mal aus dem Fenster, es hat aufgehört zu regnen. Es ist doch schade um die schöne Urlaubszeit, die Sie hier drin vertrödeln. Wollt ihr nicht zum Strand gehen und Muscheln sammeln? Vielleicht findet ihr sogar Bernstein.«

      Die Kinder zeigen sich wenig begeistert von dem Vorschlag. »Bist du die Oma von der da?«, lenkt das Mädchen vom Thema ab und zeigt mit dem Finger auf Sophie.

      »Nein, die ist doch selber eine Oma.«

      Der Junge blickt zwischen den Frauen hin und her. Bevor er eine andere Erklärung für die Familienähnlichkeit findet, nimmt sein Vater ihn an die Hand und schiebt mit der anderen, in der er das Smartphone hält, den Rest der Familie in Richtung Ausgang.

      Zehn Minuten später lässt sich Sophie am Stammtisch nieder und atmet laut auf.

      Ihre Tante hat schon zwei Tassen Kaffee hingestellt. »Du musst deinen Gästen