Die Feuerwehrfrau, ihre Ärztin, deren Mutter und das ganze Dorf. Lo Jakob. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lo Jakob
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956093203
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völlige Entwarnung gegeben worden war. Nicht weiter tragisch also, dass sie nicht sofort zur Stelle war. Und sie wusste ja vom Kollegen, was er der Feuerwehrfrau für die Fahrt an Schmerzmitteln gegeben hatte. Absolut ausreichend für einige Stunden.

      Jetzt also Freiwillige Feuerwehr Weiler. Willa wappnete sich für das Schlimmste. Zu ihrem Erstaunen fand sie einen leeren Behandlungsraum vor und nicht die versammelte Mannschaft wie erwartet. Lediglich zwei Frauen – die eine auf der Behandlungsliege, die andere daneben sitzend auf einem Stuhl. Schon wieder ein Punkt, der positiv zu bewerten war.

      Ihre Nacht hellte sich gerade drastisch auf. Sie hatte nämlich fest damit gerechnet, wie bei der afrikanischen Großfamilie erst einmal für Ordnung sorgen zu müssen und ein gefühltes Volksfest auflösen. Nicht, dass die Horden aus aufgebrachten Feuerwehrleuten nicht womöglich noch Einzug halten konnten, aber es war wesentlich unwahrscheinlicher geworden. So schnell kämen die an Georg draußen nicht vorbei, und so schnell könnten sie auch ihr Behandlungszimmer nicht ausfindig machen. Bis dahin wäre sie hier wahrscheinlich schon durch.

      »Hallo. Ich bin Doktor Schneck, die behandelnde Ärztin.«

      Das war ihr Standardspruch zur Begrüßung für Patienten, die ansprechbar waren. Aber Willa gab grundsätzlich niemandem mehr die Hand. Das hatte sie sich schon vor langer Zeit abgewöhnt. Ungefähr im zweiten Semester Medizinstudium, und nicht erst mit der Corona-Pandemie. Die furchtbarsten Erreger wurden durchs Händeschütteln übertragen. Sie wusste zwar, dass viele Patienten das als wichtig erachteten und sich wohler fühlten, wenn der Arzt oder die Ärztin ihnen die Hand gab. Sie hatte erst vor Kurzem darüber wieder einen Artikel in einer Fachzeitung gelesen. Aber das neue Corona-Virus fühlte sich dabei eben auch pudelwohl. Um nur eine der Plagen, die das Krankenhaus heimsuchten, zu nennen.

      Sie behielt also ihre Hand für sich. Unterlagen, die man mit sich herumschleppte, waren da immer zur Tarnung hilfreich. Die hielt sie auch jetzt wieder wie ein Schild vor sich.

      »Maxi Gnädig. Die Feuerwehrfrau, die vom Pferd getreten wurde. Ich weiß – peinlich«, sagte die Patientin auf der Liege mit einem schiefen, selbstironischen Lächeln.

      Erst jetzt sah Willa sie sich genauer an. Und fühlte sich, als ob sie der Schlag treffen würde.

      Oder wie paralysiert.

      Oder wie von Amors Pfeil durchbohrt.

      Sie konnte ihren Blick gar nicht von der attraktiven Frau lösen, die irgendwas in ihr auslöste, das nichts mit rationaler Logik zu tun hatte.

      Natürlich sah die Frau wirklich gut aus. Dunkle, lockige Haare bis knapp über die Ohren, die jetzt ziemlich wild aussahen. Ein schöner, geschwungener Mund, der sich vermutlich wunderbar weich zum Küssen eignete. Blaue Augen, die vor Intelligenz nur so sprühten, aber gerade auch eine Portion Schmerz in den kleinen Fältchen drumherum zum Ausdruck brachten. Eine edle Nase, wie sie einer griechischen Statue gut zu Gesicht stünde. Perfekt geformt für das insgesamt sehr edle Gesicht. Einfach extrem gutaussehend. Fast schon schön zu nennen. Selbst in dem kalten Licht des Behandlungsraums und nach einem nicht gerade zuträglichen Erlebnis mit einem Pferd.

      Aber das war es gar nicht. Diese Attraktivität, diese Schönheit. Nicht nur. Es war viel mehr ein Gefühl, diese Maxi Gnädig zu kennen. Sie schon aus hundert früheren Leben zu kennen. Und ihr jedes Mal wieder mit Haut und Haar zu verfallen.

      Willa glaubte als Medizinerin natürlich nicht an solch einen wissenschaftlich nicht nachgewiesenen Quatsch wie Wiedergeburt, aber genau das war das übermächtige Gefühl, das sie überkam. Vollkommen irrational. Dass sie sich am liebsten sofort dazu bekennen wollte, dass sie diese Frau für sich wollte, dass sie sich sicher war, die Eine gefunden zu haben. Es haute sie einfach um, und sie war machtlos dagegen.

      Diese ganze Erkenntnis fand im Schlag einer Wimper statt. Mehr Zeit brauchte es gar nicht.

      Die zweite Person im Raum rettete sie davor, einfach nur dazustehen und zu glotzen. »Elli Gnädig-Schmitz. Die Schwester«, sagte die Frau und sah dabei sehr ernst und besorgt aus.

      Richtig, sie war ja hier, um eine medizinische Diagnose zu stellen. Willa schaffte es irgendwie, in den Raum zu nicken, ohne wie eine Bekloppte ihre neue Patientin weiter anzustarren. Ihr Herz hatte ungefragt einfach angefangen zu wummern, und sie merkte, dass sich ihre Wangen heiß anfühlten. Eine unleidige Angewohnheit, wenn Frauen ihr gut gefielen. Und diese Feuerwehrfrau namens Maxi Gnädig hier war die unangefochtene Nummer eins in ihrer Hitparade des Gefallens.

      Es fiel ihr schwer, sich auf ihr medizinisches Fachwissen zu konzentrieren. Willa blätterte in den Ergebnissen der Untersuchungen, um sich zu sortieren und sich die Sachlage ins Gedächtnis zurückzurufen. Röntgenbilder – nichts gebrochen. Lunge intakt. Ultraschall – keine inneren Blutungen im Bauchraum. Die Feuerwehrfrau hatte mehr Glück als Verstand gehabt. Pferdetritte in die Rippen gingen selten so glimpflich ab. Was nicht heißen sollte, dass sie nicht Schmerzen kriegen würde, die einen Heiligen in die Knie zwingen würden.

      Eine weitere wichtige Information bohrte sich in ihr Hirn. Die Patientin hatte eine Adresse in Weiler. Willas Herz wummerte bei dieser Tatsache fast noch mehr. Gerade sah sie sich einem Phänomen ausgesetzt, dessen Existenz sie für einen Mythos gehalten hatte: Liebe auf den ersten Blick.

      Noch konfuser als vor dem Blick in die Unterlagen räusperte Willa sich und wappnete sich für erneuten Augenkontakt. Die beiden Frauen im Raum warteten auf ihr ärztliches Urteil. Neben der Schwester stand sogar eine gepackte Reisetasche. Wahrscheinlich rechneten sie mit der Aufnahme auf Station.

      Das war doch mal ein Faktum, mit dem sie anfangen könnte, ohne sich lächerlich zu machen. »Die gute Nachricht ist, Sie werden nicht hierbleiben müssen, weil Ihre Rippen vollkommen intakt sind und auch sonst keine Organe betroffen sind.« Willa hielt das Röntgenbild hin und zeigte auf die Rippenbögen.

      Zwei Paar Augen, die sich ähnelten, schauten gebannt darauf, auch wenn Willa vermutete, dass sie nicht so besonders viel erkennen konnten. Außer ein paar schattige Bögen, die man auch als medizinischer Laie als Rippen ausmachen konnte.

      »Ich möchte Sie trotzdem noch kurz untersuchen und mir Ihre Atmung anschauen.«

      Willa näherte sich der Liege, legte ihre Unterlagen beiseite und wappnete sich für den Körperkontakt mit dieser umwerfenden Frau. Sie zog sich einen Rollhocker heran und setzte sich unnötig langsam, um die Situation noch ein paar Sekunden länger hinauszuzögern.

      Vielleicht verrannte sie sich völlig, vielleicht war diese Maxi Gnädig in Wirklichkeit total bescheuert – schließlich gehörte sie zur Gurkentruppe –, vielleicht würde Willa morgen schon ganz anders über diese Begegnung denken. Vielleicht, vielleicht.

      Aber jetzt in diesem Moment war sie ein Nervenbündel, weil sie diese schöne Frau untersuchen musste.

      4

      Maxi konnte sich nicht aufsetzen, auch wenn ihr innerer Macho alles daransetzte, es unbedingt zu schaffen. In Anwesenheit einer jungen, gutaussehenden Ärztin kam er ungefragt heraus und scherte sich auch erst einmal nicht um ihre teuflische Verletzung.

      Schließlich gab er sich geschlagen, und sie schaffte es mit Ellis Hilfe, das Feuerwehr-T-Shirt auszuziehen. Nur noch in ihrem Sport-Bustier lag sie völlig außer Atem, weil sie nur flache Atemzüge wagte, auf der Liege, und die Ärztin kam auf ihrem Hocker nähergerollt. Sie studierte Maxis Torso mit ihren intensiven Blicken – sodass Maxi nach der Erleichterung über die Entwarnung schon wieder besorgt wurde. War doch etwas nicht in Ordnung? Maxi sah an sich hinunter. Sie entdeckte noch nicht einmal einen blauen Fleck in der Form eines Hufeisens oder in irgendeiner anderen Form. Aber die Schmerzen pochten gedämpft durch die Schmerzmittel immer noch im Hintergrund. Sie fühlte sich wie von einer Straßenwalze in den Asphalt planiert. Oder eben wie von einem Pferd getreten.

      Trotzdem nahm sie sehr wohl wahr, dass diese Doktor Schneck zum einem ihr Gaydar bis in den roten Bereich ausschlagen ließ, und zum anderen, dass sie eine wirklich sehr hübsche Rotbraune war, deren grünlich-braune Augen Maxi mit ihrer Intensität in ihren Bann zogen. Selbst der unansehnliche weiße Arztkittel tat dem Ganzen keinen Abbruch. Maxi konnte darunter