Die Feuerwehrfrau, ihre Ärztin, deren Mutter und das ganze Dorf. Lo Jakob. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lo Jakob
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956093203
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Pferd sprang aus lauter Angst hoch und schleuderte mehr so nebenbei seine Hinterläufe in ihre Richtung. Wie es schien, noch nicht einmal zielgerichtet auf sie, nur leider war sie nicht so reaktionsschnell wie ein Pferd. Und hatte dem auch nicht so viel Muskelmasse entgegenzusetzen. Sie versuchte noch, sich wegzudrehen und spannte jeden Muskel an. Aber der Tritt streifte ihre Rippen, und Maxi klappte schlagartig zusammen. Der sofortige Schmerz raubte ihr die Atemluft.

      Sie lag auf dem Boden und wusste nicht so recht, warum, spürte aber das Hufgetrappel eines flüchtenden Pferdes. Dann menschliche Füße, die in ihre Richtung liefen. Mehrere. Sie starrte einen Moment von Schmerz geflutet die blinkenden Sterne an.

      Als ihre Kollegen angerannt kamen, raffte sie sich gerade auf ins Stehen. Vornübergebeugt, auf die Knie gestützt, atemlos. Aufrichten ging nicht. Aber alles halb so schlimm. Das versuchte sie auch Harry und Dieter zu sagen, aber es kam nur ein heiseres Ächzen heraus. Sie hatte keine Luft zum Sprechen. Und der Schmerz schoss bei jeder kleinsten Bewegung durch ihren Brustkorb und schnürte ihr fast den letzten Rest Atemluft ab.

      »Wir brauchen einen Krankenwagen«, sagte Dieter, und aus dem Augenwinkel sah sie ihn an seinem Handy herumfummeln.

      Maxi winkte ab, aber auch das verursachte Schmerzen. »Geht schon«, brachte sie heraus.

      »Ich glaube, du spinnst. Stell dich doch mal aufrecht hin, wenn es dir so prächtig geht.«

      Maxi versuchte es. Sie versuchte es wirklich.

      Schließlich winkte sie Dieter ihr Einverständnis. Wie sollte sie schließlich hier wegkommen, wenn sie nicht weiter hochkam als so? Sie stand einfach nur, stützte sich schwer auf ihre Knie und atmete. Um sie herum aufgeregtes Gerede, Kollegen kamen und gingen, die Minuten verstrichen. Immer wieder machte sie einen Ansatz, vollends aufrecht zu stehen, aber der Schmerz und die Atemlosigkeit verhinderten es jedes Mal.

      Dieter blieb neben ihr stehen, gab Anweisungen und scheuchte die Kollegen. Inzwischen flackerten überall auch Taschenlampen um sie herum. In der Ferne hörte sie immer wieder Rufe und Hufgetrappel, aber was die Pferdeherde machte, war ihr im Moment völlig egal.

      »Er tritt sonst nie aus«, sagte irgendwann die Hofbesitzerin neben ihr, und Maxi hätte fast losgeprustet vor Lachen. Das war wohl die Variante von Der tut nichts, der ist ganz lieb, die Hundebesitzer sagten, bevor Fiffi zubiss – abgewandelt für Pferdebesitzer.

      Das Lachen blieb ihr aber im Hals stecken. Und sie würdigte diese Aussage auch keines Kommentares. Schließlich war sie der lebende Beweis, dass er – wie auch immer er hieß – sehr wohl austrat. Ihre Rippen taten entsprechend höllisch weh. So langsam kam auch eine einsetzende Angst dazu, dass eine oder zwei gebrochen sein könnten. Sehr viel länger wollte sie daher hier nicht mehr stehen, denn so langsam machte sich diese Angst breit und war auch nicht gerade ihrer Atmung zuträglich.

      Schließlich hörte sie in der Ferne ein näherkommendes Martinshorn, und die Nacht irrlichterte in blauem Licht.

      »Scheiße, wieso kommen die mit Blaulicht mitten in der Nacht?«, fragte Dieter rhetorisch, und Maxi konnte sich innerlich nur anschließen. Wie peinlich war das denn? Das ginge schneller im Dorf rum als ein Lauffeuer.

      Aber als dann schließlich der Trupp des Notarztteams aus den zwei Fahrzeugen stieg und um sie herumschwärmte, war sie noch nie in ihrem Leben erleichterter gewesen. Die Schmerzspritze, die sie sofort verabreicht bekam und die sie geradezu abschoss, war ein Wunderding. Maxi schnitt im Drogenrausch nur am Rande mit, wie sie auf eine Liege verfrachtet und im Krankenwagen Richtung Universitätsklinikum gefahren wurde. Aber eigentlich dachte sie, sie wäre in einem Raumschiff unterwegs. Was für ein geiler Trip. Sie wollte nie wieder runterkommen.

      3

      Willa wollte gerade den Pausenraum verlassen und sich immer noch müde dem nächsten Fall annehmen, als Georg sie abfing.

      »Wir kriegen eine Feuerwehrfrau rein, die vom Pferd getreten wurde. Verdacht auf Perforation der Lunge. Nimmst du die?« Er hatte Unterlagen in der Hand, die er ihr überreichen wollte.

      Aber Willa zögerte. »Berufsfeuerwehr oder Freiwillige?«

      Durften Frauen eigentlich in Deutschland inzwischen zur Berufsfeuerwehr? Sie wusste das gar nicht. Bei der Freiwilligen war es inzwischen angekommen, auch Frauen aufzunehmen. Das wusste sie von ihrer Mutter aus Weiler. Die fand das nämlich einen Skandal. Was hatten Frauen denn bei der Feuerwehr verloren? Fand ihre Mutter. Was typisch war.

      »Ist doch egal«, sagte Georg, der schließlich nur die Patientin loswerden wollte, um sich dann wieder um das überfüllte Wartezimmer kümmern zu können.

      »Oh nein«, wehrte Willa ab. »Wenn du die Freiwillige Feuerwehr so gut kennen würdest wie ich, würdest du das nicht sagen.«

      Und das entsprach vollkommen der Wahrheit. Wie viele Feuerwehrfeste hatte sie in ihrer Kindheit und Jugend mit ihrer Familie besuchen müssen, wie viele Trinkgelage der Jungs von der Freiwilligen mitgekriegt – sie hatte alles, aber wirklich alles gesehen in dieser Hinsicht.

      Georg runzelte unwirsch die Stirn. Er konnte ihren Gedankengängen offensichtlich nicht folgen. »Nimmst du sie jetzt oder nicht? Wirst du jetzt in deiner letzten Nacht komisch, Willa? Bloß weil die Frau von der Freiwilligen Feuerwehr ist?«

      Er hatte natürlich recht. Sie war schließlich professionell. Sie würde die Feuerwehrfrau wie jeden anderen Patienten behandeln. Egal durch wie viel Unfähigkeit oder Alkohol oder beides sie sich selbst in diese Situation gebracht hatte. »Her mit der Feuerwehrfrau. Schlimmer als die afrikanische Großfamilie kann es nicht sein. Dann mach ich eben auch noch Freiwillige Feuerwehr. Die kommen bestimmt von der Gurkentruppe aus Weiler.«

      Das letzte sagte sie nur so daher. Nur um ein bisschen mehr zu maulen über diese letzte Schicht. Weil es das Schlimmste war, was ihr gerade einfiel. Eine Steigerung der Freiwilligen Feuerwehr als solcher.

      »Woher wusstest du das?«, fragte Georg erstaunt.

      Willa musste spontan losprusten. »Oh mein Gott. Echt jetzt?« Was war heute nur los? Ihre letzte Schicht servierte es ihr so richtig fett, dass es schon fast ulkig wurde. So langsam. Und mit viel Galgenhumor betrachtet.

      Georg sah sie seltsam an. Er dachte wohl, dass sie in ihrer letzten Schicht geistig nicht ganz zurechnungsfähig geworden war. »Ob die Feuerwehrfrau aus Weiler ist, weiß ich nicht, aber der Krankenwagen war nach Weiler beordert worden. Lass dich also überraschen.« Und damit verschwand er einfach und ließ sie zurück.

      Willa stieß einen Stoßseufzer aus und bereitete sich mental auf die Ankunft der Freiwilligen Feuerwehr Weiler vor. Das Wort Gurkentruppe war dabei nie weit von ihren Gedanken entfernt. Es wunderte sie überhaupt nicht, dass es jemand von denen geschafft hatte, sich von einem Pferd treten zu lassen. Wie auch immer das vonstattengegangen war, Willa war sich sicher, dass es selbstverschuldet sein musste. Absolut sicher. Sie hoffte wirklich inständig, dass kein Alkohol beteiligt war. Lungenperforation und Alkohol. Eine äußerst unschöne Kombination.

      Aber noch während sie sich diesen Gedanken hingab, hörte sie schon, wie das Notfallteam mit der Liege den Gang von der Krankenwageneinfahrt her angerollt kam.

      Sie warf nur einen oberflächlichen Blick auf die Patientin, als sie an ihr vorbeigerollt wurde. Sie konzentrierte sich darauf, was der Kollege Notarzt über ihren Status zu berichten hatte. Währenddessen übernahm im Hintergrund ihr medizinisches Personal die Ankunft der Liege. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass alles seinen üblichen Gang ging. Sie würde auch das hier schaffen. Noch dreieinhalb Stunden bis zur Freiheit.

      Der Kollege verabschiedete sich sehr schnell, da ein neuer Einsatz reinkam.

      Willa ordnete zuallererst Röntgenaufnahmen und Ultraschall an. Bevor sie nicht wusste, was Sache war, konnte sie gar nichts tun. Die Patientin war stabil, hatte ausreichend Schmerzmittel bekommen, so weit so gut. Und kein Alkohol weit und breit. Das war doch schon mal ein positives Zeichen.

      Während die Untersuchungen liefen, übernahm sie zwei weitere Fälle von Georg und kam dann erst ins Behandlungszimmer, als