»Sollen wir den anderen im Lager davon erzählen?«, fragte Steven.
»Nein, noch nicht. Das Ganze könnte auch eine Falle sein. Ich habe zwar das Gefühl, dass es nicht so ist, aber wir sollten lieber auf Nummer sichergehen. Vielleicht müssen wir morgen ein Scout-Team losschicken, um herauszubekommen, ob dieser Typ tatsächlich die Wahrheit sagt. Wir werden auch mit Graham sprechen und versuchen, Kontakt mit dem Kerl aufzunehmen. Du behältst aber weiter die Monitore im Blick. Ich löse dich um zwei Uhr ab.«
Rick nickte, um zu bestätigen, dass er den Befehl verstanden hatte, und winkte seinen beiden Kameraden hinterher, als sie das Zelt verließen. Dann widmete er sich wieder seiner Technik. Er begann alles noch einmal zu überprüfen, und machte sich dann an die Arbeit, um sicherzustellen, dass keinerlei Signalüberbleibsel mehr über den Äther gingen. Die Überwachungskameras ließ er eingeschaltet und machte sich sogar Notizen, wie sich die Bilder an den Stellen verbessern ließen, in denen nachts nur dunkle Schatten zu sehen waren.
Raus mit der Wahrheit
Graham blieb regungslos auf dem Pferd sitzen, das McCann eines Tages in der Stadt aufgegriffen und dann speziell für ihn trainiert hatte. Das Reittier war seitdem zu seinen standfesten Beinen geworden, mit denen er sich trotz seiner Verletzung, von der ein dauerhaftes Hinken zurückgeblieben war, gut über Land fortbewegen konnte. McCanns ursprünglicher Name für das Biest war Rocket gewesen, aber Graham hatte ihn bald darauf in Mosey geändert, was eher der Geschwindigkeit entsprach, in der er selbst dahinschlenderte. Gerade an diesem Abend erwies sich das Pferd als besonders nützlich, da er und die Jungs – Mark und McCann – in einiger Entfernung ein einsames Lagerfeuer im Wald durch die Bäume hatten scheinen sehen.
»Was hast du vor?«, flüsterte McCann.
Graham sah sich aufmerksam um und suchte die Dunkelheit um sie herum ab. »Ich denke, wir sollten das Feuer zumindest aus sicherer Entfernung auskundschaften, um herausfinden, wie viele sich dort wärmen.«
McCann stimmte ihm zu, und auch Mark wendete sein Pferd in die entsprechende Richtung.
»Warte, Mark. Du solltest hierbleiben und uns den Rücken freihalten.«
Marks Schultern sanken daraufhin mindestens einen Inch nach unten, aber er gehorchte dennoch Grahams Befehl. McCann nahm seine Enttäuschung jedoch deutlich wahr.
»Wir sind gleich wieder zurück. Mach den Ruf der Eule, wenn du jemanden siehst, okay?«
Graham war beeindruckt, wie diplomatisch McCann vorging. Er wusste, dass Mark wahrscheinlich eifersüchtig war, weil McCann der neue zweite Mann hinter Graham war, zumal er nur wenig älter war als Mark. Was Graham überraschte, war, dass McCann auch die Fähigkeit hatte zu erkennen, wie seine Rolle die Dynamik in der Gruppe beeinflusste und Konflikte verursachen konnte, die sie möglichst alle vermeiden mussten.
Stattdessen behandelte McCann Mark als Gleichberechtigten und besprach Entscheidungen oft mit ihm, um ihm zu signalisieren, dass er keine Bedrohung darstellte. Außerdem hielt er sich bewusst von Macy fern. Ihre leicht aufbrausende Art schreckte ihn offenbar ohnehin ein wenig ab.
Aber alle außer Macy wussten, dass sie das richtige Mädchen für ihn war. McCann würde einfach darauf warten, bis sie erwachsen war. Sie war erst sechzehn und er war zwanzig, das war kein großer Altersabstand nach dem Ende der Welt. Graham hatte ihn nur einmal auf ihr Alter hingewiesen, aber das wäre gar nicht nötig gewesen, denn McCann war ihre Ehre wichtig und Graham wusste genau, dass er ihm vertrauen konnte.
Graham hatte mitbekommen, dass Macy es sogar ablehnte, neben McCann am Küchentisch zu sitzen. Er behielt die Situation von Weitem im Auge. So sehr, wie er Mark lieben gelernt hatte, mochte er auch McCann und er wollte, dass er bei ihnen im Lager blieb. Wenn McCann und Macy irgendwann einen Weg zueinanderfanden, wäre das also mehr als in Ordnung für ihn. Jeder wollte sie nun mal beschützen. Aber sie war ein toughes Mädchen mit einem Herzen aus Gold, und Graham war dankbar, dass McCann das ebenfalls sah und bereit war, zu warten.
Während Graham und McCann durch das dunkle Kieferndickicht schlichen, wurde der Schein des fernen Feuers immer heller. Graham hob seine Hand, an der er einen Lederhandschuh trug, und signalisierte: Stopp. Wenn sie sich noch weiter näherten, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass der Fremde sie bemerken würde, der sich gerade mit einem Ast über das Feuer beugte und die Holzstücke zurechtschob. Im Feuerschein war außerdem eine junge Frau zu sehen, die ihm gegenübersaß. Sie sah nicht älter als zwanzig aus und riss gerade große Bissen von einem Stück Beef Jerky ab. McCann hielt unwillkürlich den Atem an, als er sah, wie sie ein Stück Fleisch nach unten fallen ließ. Bis zu diesem Moment hatten sie die beiden Hunde gar nicht bemerkt, weil diese von einer Pelzdecke, die um die Frau gewickelt war, verdeckt wurden.
Der Mann bewegte sich nun, und Graham konnte ein reflektierendes Leuchten auffangen, das von seinem zuvor verdeckten Unterschenkel ausging. Wo sein Bein hätte sein sollen, war eine Prothese, aber dies schien den Mann nicht im Geringsten zu behindern.
Graham machte sich jetzt weitaus mehr Sorgen darum, dass die Hunde ihre Position ausmachen konnten, wenn sie noch länger blieben. Er bedeutete McCann, sich zurückzuziehen. Er warf noch einen letzten Blick auf das Lager der Neuankömmlinge, aber dort schien alles in Ordnung zu sein. Gewehre in Reichweite zu haben, dazu einen beladenen Wagen und einen Army-Truck, war in diesen Tagen relativ normal. Tatsächlich wäre er eher überrascht gewesen, wenn ihre Vorbereitung schlechter gewesen wäre.
Nachdem sie zu Mark zurückgekehrt waren, besprach sich Graham kurz im Flüsterton mit den beiden jungen Männern. »Die sind wahrscheinlich nur auf der Durchreise. Möglicherweise hatte er Probleme mit Wölfen oder Wildhunden, als wir die Schüsse gehört haben. Wir werden morgen früh Daltons Gruppe informieren und mal sehen, was sie dazu sagen. Zumindest wissen wir jetzt, wo sie sind. Morgen können wir ja noch einmal nachsehen, ob sie weitergezogen sind.«
»Sollten wir nicht hier Wache halten?«, fragte McCann.
»Nein. Ich sehe keine Probleme mit diesen beiden, es sei denn wir schrecken sie auf. Ich würde sagen, wir lassen sie sich am besten um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Sie wissen schließlich nicht, dass wir hier sind, und sie brauchen auch keine Hilfe, so wie es aussieht. Sie sind gut versorgt und das Mädchen scheint aus freien Stücken bei ihm zu sein.«
McCann nickte zustimmend, deshalb gingen sie zurück ins Camp.
***
»Wir dürfen nicht mehr per Funk kommunizieren«, sagte Macy, als Graham und die anderen durch die Tür kamen.
»Warum nicht?«, fragte er und zog seine schlammigen Stiefel und seine Jacke aus.
»Das hat Rick gesagt. Ich weiß auch nicht, warum, aber er klang ziemlich ernst. Niemand soll die Funkgeräte benutzen, nicht einmal die Walkie-Talkies.«
»Okay. Ich bin mir sicher, sie haben ihre Gründe dafür. Wir werden einfach abwarten und dann sehen wir ja, was los ist.«
»Wir haben ein Lager gefunden«, berichtete Mark. »Vielleicht kennen sie ja die Frequenz, auf der wir sonst unterwegs sind und überwachen gerade alles, was wir sagen. Ich wette, das ist der Grund, weshalb Rick will, dass wir uns von jeglichem Funkverkehr fernhalten.«
»Sie scheinen zwar nicht gefährlich zu sein, aber ja, wir sollten wohl besser eine Weile die Füße stillhalten. Wir wissen schließlich nicht, was es mit ihnen auf sich hat«, sagte McCann.
Graham bewegte vorsichtig sein steifes Bein und versuchte die von der Kälte verspannten Muskeln etwas zu strecken. Tala kam jetzt herein, lächelte aber nicht, stattdessen zogen Sorgenfalten tiefe Linien zwischen ihre Augen. Graham umarmte sie und sagte: »Ich bin mir sicher, dass es nichts Ernstes, sondern nur eine reine Vorsichtsmaßnahme ist. Dalton wird bestimmt beim ersten Tageslicht hier sein. Wir haben die Neuankömmlinge aus der Ferne gesehen. Es sind nur ein Mann und eine Frau mit zwei Hunden, dazu noch ein paar Pferde. Sie