Die Sonne ist längst untergegangen, der Himmel fast schwarz, die Sterne glitzern am Firmament. Auf der Terrasse lodern die Flammen in den Feuerschalen und das Knacken der Holzscheite vermischt sich mit dem Rauschen des Meeres, sobald die Wellen die Felsen umspielen. Sven hat seinen Freunden Sara vorgestellt. Nun stehen sie zusammen an einem der runden Stehtische: Paco, Salvator und Alejandro. Sie warten nur noch auf Manuel und Lucía. Héctor und Carlotta gehen von Tisch zu Tisch und schenken den letzten Gästen Wein nach.
Das Chaos in seinem Inneren, das eine kurze, unbeabsichtigte Berührung mit Saras Hand in ihm auslöst, lässt Sven keinen klaren Gedanken fassen. Er hört sich nur stammeln: »Frierst du auch nicht?« Sara antwortet, indem sie lächelt und unsicher mit den Schultern zuckt. Sven schaut sich um und greift nach einer der Decken, die auf Stühlen für die Gäste bereitliegen, und legt sie Sara um.
Immer noch mit seiner Kochjacke bekleidet, balanciert Manuel in einer Hand einen kleinen Turm ineinander gestellter Schnapsgläser, in der anderen hält er eine Flasche hierbas. Nachdem er mit Schwung den Kräuterlikör abgestellt und die Gläser verteilt hat, befreit er sich noch schnell von seinem Halstuch und dem Vorbinder. Beides wirft er auf den nächsten Stuhl, dann füllt er die Gläser und prostet in die Runde. »Auf uns, auf den gelungenen Abend und«, er lächelt glücklich, »auf Lucía’s Strandbar.« Kaum haben sie den ersten Schluck getrunken, ertönt es hinter Manuels Rücken: »Wie jetzt, bekomme ich keinen?« Lucía wird mit lautem »Hola« begrüßt und muss sich von allen erst einmal in den Arm nehmen lassen, bevor auch ihr ein hierbas eingegossen wird. Sven schaut erst Lucía, dann Manuel an und stellt auch ihnen Sara vor.
»Sind wir uns nicht heute schon einmal begegnet?«, fragt Lucía verschmitzt und Manuel kann sich die Bemerkung nicht verkneifen: »Nehmen Sie sich vor dem in Acht, wenn er jemanden ins Herz geschlossen hat, wird man ihn so schnell nicht wieder los, ich spreche da aus Erfahrung.« Du Blödmann, denkt Sven und merkt, dass er rot wird. Doch in der Dunkelheit fällt es niemandem auf. Nur Christina, die den Ausspruch ihres Mannes gehört hat und sich nun auch dazugesellt, bemerkt Svens Verlegenheit. Sie zieht ihren Mann liebevoll am Ohr und sagt lachend: »Ja, unser Gustario ist nicht nur ein Feinschmecker, er ist auch ein wahrer, treuer Freund.«
Wie immer unterhalten sie sich lebhaft. Sara ist von den tapas so angetan, dass Lucía ihr von der Entstehungsgeschichte der kleinen Appetithäppchen erzählt. Demnach wurden früher alkoholische Getränke mit einem Deckel, der sogenannten tapa, abgedeckt, damit Insekten nicht in den Genuss kamen. Diese Deckel beschwerte man mit Oliven. Später wurden dann die »Beschwerungsmethoden« immer einfalls- und umfangreicher. »Eine von vielen Erklärungen«, schiebt Lucía schnell nach.
Sven freut sich, dass Sara so herzlich in der Runde aufgenommen wird, denn schon bald ist sie mit Alejandro in ein Gespräch vertieft. Es geht dabei um den Adel auf Mallorca, das scheint sie zu interessieren und der Marquis gibt bereitwillig Auskunft. Manuel plant schon die nächsten Events für sein Restaurant und will Svens Einschätzung wissen, sodass er nur Wortfetzen der anderen Gespräche mitbekommt.
Mit der Zeit wird die Runde immer kleiner. Héctor und Carlotta sind, nachdem sie die Küche auf Vordermann gebracht haben, händchenhaltend nach Hause gegangen. Christina hat noch schnell die Einnahmen des Abends an sich genommen und ist dann in der Wohnung über dem Restaurant verschwunden. Auf Gloria, ihre gemeinsame Tochter, passten ihre Eltern auf. Nur schade, dass sie heute nicht dabei sein konnte. Doch Gloria ist einfach noch zu klein, um sie mitzunehmen. Auch Lucía und Salvator sind schon aufgebrochen, denn immerhin müssen sie noch bis Valdemossa fahren. Manuel ist die Anstrengung des Abends anzumerken, immer wieder fallen ihm die Augen zu. Doch Paco, Alejandro und Sara sind noch dabei, sich angeregt auszutauschen, als der Horizont schon eine helle Linie zeigt. Sven betrachtet fasziniert, wie im morgendlichen Dunst der Feuerball immer größer wird und aus dem Meer aufsteigt. Er schaut zu Alejandro herüber und deutet auf die mittlerweile leere Schnapsflasche. Gestenreich gibt er seinem Freund zu verstehen, dass er nicht mehr fahrtüchtig ist. Der Marquis lacht mit tiefer Stimme auf. »Ich hatte schon so etwas befürchtet.« Sogleich erklärt er: »Ich bin mit Fahrer gekommen. Den müssen wir nur suchen. Haben wir ihn gefunden, nehmen wir euch mit!« Als Sven sich von Manuel verabschiedet, flüstert der ihm noch zu: »Das ist eine nette, deine Sara. Ihr passt gut zueinander.«
Kapitel 7
Zürich. Altstadt. Das Arbeitszimmer liegt im Halbdunkel, nur die Tischlampe wirft einen hellen Lichtkegel auf die Platte des wuchtigen antiken Schreibtisches. Die Kanzlei Moser und Partner ist verlassen. Die Mitarbeiter, ebenso die Partner der Sozietät, sind längst gegangen. Nur Hubert Moser ist noch da. Der Namensgeber der renommierten Anwaltskanzlei steht am Fenster des alten Stadthauses und blickt über den Limmat auf die gegenüberliegende Flussseite mit ihren angestrahlten Fachwerkhäusern. Von dort spiegelt sich das Licht auf der Wasseroberfläche und lässt den Fluss an manchen Stellen silbern glänzen.
Er wendet sich ab, geht auf seinen Schreibtisch zu und zieht die große Schublade auf. Seine Hände tasten sich durch die Unterlagen. Ganz hinten bekommt er eine Zigarettenschachtel zu fassen. Der erste tiefe Zug lässt ihn schwindelig werden, er reißt das Fenster auf. Nach drei, vier gierigen Zügen beugt er sich hinaus und drückt den Rest der Zigarette in der Erde des Blumenkastens aus.
Es klingelt.
Hubert Moser durchquert sein Büro und geht durch den langen Flur zur Eingangstür.
»Gut, dass du gekommen bist«, begrüßt er Urs Steiner.
Der Privatdetektiv schaut in das angespannte Gesicht seines Freundes.
Ohne ein weiteres Wort fordert der Anwalt den drahtigen kleinen Mann mit einer Handbewegung auf, ihm in sein Büro zu folgen.
»Rauchst du wieder?«, fragt Urs Steiner, als er den Raum betritt. Hubert Moser fingert eine weitere Zigarette aus der Schachtel und zündet sie an.
»Was ist mit dir los? So kenne ich dich gar nicht, schon am Telefon hast du so komisch geklungen.«
»Komm, setz dich.« Moser zeigt auf den Sessel vor seinem Schreibtisch. »Magst du ein Wasser oder etwas Hochprozentiges? Ich brauche jetzt einen Whisky.«
Urs Steiner nickt nur und der wohlbeleibte Jurist öffnet die Schranktür zur Bar. Es ist still im Raum, keine Geräusche dringen von der Altstadt herein, nur das Klirren der Eiswürfel ist zu hören.
»Sara Füssli ist verschwunden«, sagt Moser und reicht Steiner ein Glas.
»Die Tochter deines verstorbenen Freundes, Beat Füssli, des Bauunternehmers?«
»Ja, ich habe dir schon von ihr erzählt.«
»Der tödliche Autounfall ihrer Eltern war damals tagelang Thema in der Presse«, erinnert sich Urs Steiner.
Hubert Moser bestätigt dies und nimmt einen tiefen Zug.
»Aber was heißt verschwunden?« Der Privatdetektiv nippt an seinem Glas.
»Ich kann sie weder über Festnetz noch unter ihrer Mobilfunknummer erreichen.«
»Vielleicht ist sie verreist und will nicht gestört werden.«
»Ja, ja, ihre Assistentin sagte so etwas.« Der Anwalt betrachtet das Glas in seiner Hand, dann nimmt er einen ersten Schluck.
»Was sagte sie genau?«
»Dass Sara für ein paar Tage wegfahren würde.«
»Warum machst du dir dann Sorgen?«
»Weshalb ruft ihre Assistentin an? Das hätte Sara mir auch selbst sagen können.« Er fasst sich an die Stirn. »Ich habe nicht reagiert, da ich in Eile war, und wohl auch nicht richtig zugehört.«
»Woran kannst du dich denn noch erinnern?«
»Nur, dass Sara einige Tage verreisen wollte, wohin, sagte ihre Assistentin nicht. Es war ein sehr knappes Telefonat.«
»Aber wenn sie verreist ist, brauchst du dich doch nicht zu sorgen.«
»Nenn es Bauchgefühl.«