Mittlerweile haben sie Campos erreicht, das Städtchen, das alle, die nach Süden oder Südosten fahren, passieren müssen. Doch die wenigsten nehmen sich die Zeit, den alten Ortskern zu erkunden, der ziemlich ursprünglich geblieben ist. Auch diesmal nimmt sich Sven vor, möglichst bald einmal anzuhalten. Aber nicht heute. Schon biegt er auf die Landstraße Richtung Colònia de Sant Jordi ab.
Nach wenigen Kilometern wird die geradlinige Straße schmaler und hügelig. Mal geht es runter, mal rauf, mal ist der Blick auf den Asphalt gerichtet, dann wieder wird in weiter Ferne der Horizont sichtbar.
Wie eine Schneise zerteilt die Straße die Olivenhaine, die zu beiden Seiten durch alte mallorquinische Steinmauern eingegrenzt sind.
Große alte Olivenbäume ragen mit ihren Ästen weit in die Straße hinein und spenden etwas Schatten.
Nachdem Svens alter Porsche den nächsten Hügel gemeistert hat, umgeben sie plötzlich flache Felder, die schon längst abgeerntet sind. Die Sonne knallt nun wieder auf sie nieder. »Das ist ja, als wenn wir von einer Klimazone in die nächste übergewechselt wären.« Sara wedelt sich mit der Hand Luft zu.
Sven lacht. »Faszinierend, nicht? Gerade war es noch angenehm warm, jetzt ist es wieder heiß. Aber das ist noch gar nichts. Wenn wir in den Norden fahren, sind die Unterschiede noch größer. Da hast du es an manchen Stellen fast subtropisch, wie im Regenwald.«
»Du willst mich auf den Arm nehmen.« Sara schubst ihn leicht am Oberarm.
»Nein, keineswegs. Da ist es so satt grün und feucht, da wartest du auf die Moskitos.«
»Moskitos?« Sara fasst Sven am Ohr und zieht ihn zu sich.
»Nein, keine Moskitos.« Er lacht und befreit sich aus ihrem Griff. »Zumindest keine, wie sie in den Tropen einem den Garaus machen, aber schon unangenehme Stechmücken.«
Eine langgezogene Allee mit großen Palmen taucht linker Hand auf, die ins Nichts zu führen scheint, bis an ihrem Ende ein altes Haus sichtbar wird, das viel zu klein für diese pompöse Zufahrt erscheint. Jedes Mal, wenn er hier vorbeifährt, fällt ihm das auf. Doch nun beschleunigt er, denn von Weitem glänzen bereits einige Salzhügel in der Sonne. Gleich daneben sind künstlich angelegte kleine Meerwasserseen zu sehen, deren Blau in wunderschönem Kontrast zu dem Weiß des gewonnenen Salzes steht: den Salinen. Sara legt den Kopf in den Nacken, schließt die Augen und atmet einmal tief ein. Ein zartes Lächeln umspielt ihre Lippen, die Luft riecht leicht salzig.
»Gleich sind wir da«, verkündet Sven und muss noch zwei Kreisverkehre umrunden, dann biegt er auf die Zufahrt zu dem ehemaligen Fischerort ein. Sogleich wird die Hauptstraße von mehrgeschossigen Häusern umrahmt, Apartmenthäuser, die um diese Jahreszeit viele verschlossene Fensterläden zeigen, weil die Wohnungen meist nur in den Sommermonaten vermietet werden.
Sven nimmt die nächste Querstraße und parkt auf dem Platz kurz vor der Strandpromenade von Colònia de Sant Jordi.
Kaum sind sie ein paar Schritte gegangen, kommt ihnen ein älterer Mallorquiner mit einer großen Paellapfanne entgegen. Er hält sie an beiden Griffen fest und trägt sie vor seinem Bauch. Sven winkt ihm zu und der Mallorquiner kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Paella to go«, bemerkt Sven amüsiert, nachdem er Saras fragenden Blick gesehen hat.
»Was meinst du denn damit?«
Er zeigt zum Restauranteingang, der nur noch wenige Meter entfernt liegt.
»Das Restaurant Pep Serra ist für seine köstliche Paella bekannt, da holen sich die Einheimischen schon mal mittags eine für zu Hause«, antwortet er lachend, greift nach ihrer Hand und beschleunigt seinen Schritt. »Komm schnell, dort oben ist nur noch ein Tisch frei.«
Ehe Sara sich versieht, haben sie die wenigen Stufen auf die etwas höher gelegene kleine Terrasse hinter sich gelassen und einen Tisch für zwei Personen in Beschlag genommen.
Sie setzen sich und schauen auf die Bucht. Sven deutet nach rechts. »Dort ist der Hafen. Einige Fischerboote und kleinere Segelyachten liegen hier noch, aber ein richtiges Fischerdorf ist Colònia de Sant Jordi schon lange nicht mehr.«
»Sieht eher nach einem Touristenzentrum aus«, erwidert Sara enttäuscht.
»Ja, in der Hochsaison ist es hier recht turbulent. Viele Apartmenthäuser sind entstanden. Die größeren Hotels befinden sich allerdings am Ende des Ortes in Richtung des Naturstrandes Es Trenc. Doch schau, wie sich auch hier der Strand weit zieht und da hinten ist er noch lange nicht zu Ende. Da geht es weiter bis zu den nächsten Felsvorsprüngen und dann immer weiter. Ich glaube, so lässt sich die südlichste Spitze Mallorcas, das Cap de ses Salines, sogar zu Fuß umrunden.«
»Ausprobiert hast du es aber noch nicht?«
»Nee, aber kann ja noch werden.« Sven versucht davon abzulenken, dass er kein großer Strandspaziergänger ist. Es scheint ihm, Sara hat das sofort erkannt. Er reicht ihr die Speisekarte. Mit einem Lächeln beobachtet er, wie sie konzentriert das Angebot studiert. Dann klappt sie die Karte zu, stützt die Ellbogen auf den Tisch und legt ihr Kinn in die Hände. »Das überfordert mich jetzt aber wirklich.«
»Keine Panik, so schlimm ist es doch gar nicht«, muntert Sven sie auf. »Hier gibt es, bis auf wenige Ausnahmen, nur Fisch. Die Familie hat ein eignes Boot und viele der Meerestiere haben sie selbst in den frühen Morgenstunden gefangen.«
Der Ober fragt nach dem Getränkewunsch und beide entschließen sich zu einem Glas cerveza, einem kühlen, frisch gezapften spanischen Bier.
»Also, ich empfehle dir eine Seezunge oder wir nehmen zusammen eine Paella mit Meeresfrüchten.«
»Ja, aber keine mit Meerspinne, bitte.«
»Wo hast du die denn gesehen?«, fragt Sven und schlägt nochmals die Karte auf.
»Hier.« Sara zeigt mit dem Finger auf die Nummer 32.
Er lacht. »Das ist keine Spinne, das ist eine Krabbe, die sieht fast wie ein Krebs aus, nur ist der Körper kleiner und die Beine sind länger.«
»Eben, die Beine sind länger und bestimmt behaart.« Sara schüttelt sich.
»Wir nehmen Seezunge«, verkündet Sven dem Ober und Sara lächelt.
»Und was gibt es hier noch zu sehen außer dem ehemaligen Fischerdorf?« Sven findet ihr Lächeln äußerst verführerisch, doch er reißt sich zusammen.
»Siehst du die Insel dort? Das ist Cabrera. Zusammen mit der Illa de Conills und weiteren siebzehn kleinen Felseninseln und Riffs sind sie Nationalpark und Wasserschutzgebiet. Und hier von Colònia de Sant Jordi, dem ehemaligen kleinen Fischerdorf«, Sven lächelt amüsiert, »kann mit Booten übergesetzt werden.« Er erzählt noch etwas über die wechselhafte Geschichte der Insel. Piraten hätten sich auf Cabrera versteckt, um Mallorca zu überfallen, und beim spanischen Volksaufstand gegen Napoleon 1809 waren dort 9000 französische Soldaten gefangen gehalten worden, von denen lediglich 3600 überlebten. Bevor Sara noch etwas fragen kann, stellt der Ober die Teller vor ihnen ab. Die Seezunge ist so groß, dass sie über den Tellerrand hinausragt, goldbraun gebraten und garniert mit Zitronenschnitzen. Dazu gibt es in einer Schale gekochte Kartoffeln.
Sven angelt nach der Zitrone und beträufelt den Fisch. Sara tut es ihm gleich. Dann nimmt er das Besteck, schneidet den schmalen Grätenrand um den Fisch herum ab und legt ihn auf einen kleinen Teller. Sara schaut zu. Erst dann greift auch sie zu Messer und Gabel. Es entgeht ihm nicht, dass sie von ihm abguckt, wie sie den Fisch zu filetieren hat.
Kapitel 11
Palma. El Terreno. 10. Juli 1940. Die Bibliothek der herrschaftlichen Villa war in diffuses Licht getaucht. Nur wenig Helligkeit drang durch die Ritzen der hölzernen Fensterläden. Umgeben von hohen Bücherregalen stand der beleibte Gast, das einflussreiche Mitglied der NSDAP auf Mallorca, in