»Ja, und ziemlich unwissend.«
Sven grinst. »Ich zeig dir meine Lieblingsinsel, wenn du magst.«
»Sehr gerne. Das machen wir!«
Svens Augen strahlen. »Wollen wir ein Glas cava trinken?«, schlägt er vor, »ich hätte jetzt große Lust auf einen kühlen Sekt.« Sara ist einverstanden und Sven bestellt zwei Gläser bei der Bedienung hinter der Theke. Sie warten. Irgendwie haben sie den Gesprächsfaden verloren und wissen nicht so recht, was sie sagen sollen. Dann schauen sie sich an und lachen etwas verlegen. Als die Gläser über den Tresen gereicht werden, greifen sie danach und stoßen miteinander an.
»Wo wohnst du im richtigen Leben?«
Sie schmunzelt. »In der Schweiz. Das hört man doch, oder?«
»Ach, nee, wäre ich jetzt nicht draufgekommen«, scherzt Sven. Der Schweizer Akzent ist tatsächlich nicht zu überhören. Er runzelt leicht die Stirn, aber nachbohren will er nicht. Stattdessen fragt er: »Ist die Schweiz nicht sehr teuer?«
»Ja, ziemlich, aber man schlägt sich so durch. Und du wirst es nicht glauben, seit ein deutscher Discounter seine Filialen bei uns eröffnet hat, geht es uns, den nicht so Begüterten, besser.« Sven, der gerade einen Schluck Sekt getrunken hat, verschluckt sich. Nur mühsam bekommt er wieder Luft. Doch bevor er etwas sagen kann, stellt Sara fest: »Aber die Preise auf Mallorca sind auch nicht ohne.«
»Stimmt. Aber es gibt tatsächlich das andere Mallorca. Und das zeige ich dir.« Sven holt sein Portemonnaie aus der Hosentasche und legt es auf die Theke des kleinen Standes.
»Und wo bist du untergekommen?«
»In einem kleinen Hotel in der Altstadt, einfach, aber sauber, und absolut zentral gelegen.« Dass sie ihm den Namen des Hotels nicht verrät, fällt Sven zwar auf, aber er misst dem keine Bedeutung bei.
Sara öffnet ihre Handtasche und reicht ihm eine Visitenkarte. »Ruf mich einfach an, wenn du Zeit hast.«
»Mach ich, versprochen.« Er nimmt die Visitenkarte und steckt sie in die Brusttasche seines Hemdes.
»Leider muss ich jetzt los. Ich helfe bei den Vorbereitungen zur Eröffnungsparty der neuen Tapasbar meines Freundes.« Er hebt bedauernd die Hände, dann kommt ihm ein Gedanke. »Aber vielleicht magst du heute Abend zur Party nach Illetes kommen? Wir feiern in Lucía’s Strandbar. Ich würde mich freuen.«
Sie lächelt. »Das kann ich dir nicht versprechen, vielleicht. Erst muss ich zurück ins Hotel und dann weiß ich noch nicht so genau, was ich mache.« Sven versteht sie und bestellt die Rechnung. Sie verabschieden sich mit einer kurzen Umarmung und dem Versprechen, sich wiederzusehen.
Sara will sich noch etwas in den Markthallen umsehen, deshalb macht sich Sven allein auf den Weg. Er braucht noch Espressokapseln und so geht er in Richtung Passeig des Born, dem von Platanen eingefassten Prachtboulevard Palmas, an dessen Ende der Bus nach Illetes hält. Zugesagt hat sie nicht, aber wer weiß, vielleicht kommt sie doch, geht es ihm durch den Kopf. Es war recht forsch, sie gleich einzuladen. Wir kennen uns kaum. Ach egal. Er wischt die Bedenken mit einer Handbewegung weg. Sie gefällt mir, die hellen blauen Augen, das blonde, schulterlange Haar, die schlanke Figur und sie scheint aufgeschlossen und interessiert zu sein. Sven zieht ihre Visitenkarte hervor. Sara Füssli steht darauf und eine Handynummer.
Kapitel 5
Palma. Altstadt. 12. Mai 1940. Zwei große Schaufenster rahmten den schmalen Eingang zu dem Fotogeschäft ein. Über ihnen stand auf einem die ganze Fassadenbreite einnehmenden Schild: ‚Mestre de la fotografia alemania, fundata 1923‘. In einem Fenster wurden Porträtfotografien in beeindruckenden goldenen Rahmen präsentiert, in dem anderen hingen große Landschaftsaufnahmen. Einige Motive erkannte er wieder, die Kathedrale von Palma, den Hafen von Pollença, das Tramuntanagebirge mit schneebedeckten Gipfeln, die Felsen der Bucht von Palma und darüber die Hügel von El Terreno. Julius Goldschmidt nickte anerkennend.
Der Fotograf war ein Meister seines Faches, aber das hatte sein Freund Max Horrmann schon angedeutet. Er brauchte lediglich neue Passfotos. Die Fotos von seiner Frau und ihm waren zwar erst zwei Jahre alt und groß verändert hatten sie sich nicht. Doch je aktueller, desto besser, nicht dass ein älteres Foto einen weiteren Antrag sofort wieder zunichtemachte. Als er sich der Eingangstür näherte, fiel sein Blick auf eine Landkarte, die von einem Ständer herabhing: das Deutsche Reich. Er trat näher heran, fast wäre er mit der Stirn an die Scheibe gestoßen. Kleine Hakenkreuzfähnchen zeigten den Frontverlauf.
Er erschauderte.
Farblich auf der Karte in Rot hervorgehoben schwoll das Nazi-Deutschland an. Dänemark und Norwegen waren besetzt, ebenso die Niederlande, Luxemburg und Belgien. Noch bevor er sich abwenden konnte, erschien ein Mann in einem weißen Kittel im Schaufenster und verschob die Fähnchen ein Stück weiter nach Westen und Osten. Als er ihn sah, lächelte dieser und zeigte stolz auf die Karte. Goldschmidt trat einen Schritt zurück, seine Gesichtszüge waren erstarrt. Erst jetzt erblickte er die rote Fahne mit dem schwarzen Hakenkreuz auf weißem Grund, die an einer Stange in das Schaufenster hineinragte. Wie hatte sein Freund noch gesagt? Auf Mallorca haben wir unter den hier lebenden Deutschen die gleichen Strukturen wie in der Heimat.
Es gibt Nazis, Nazigegner, Mitläufer, Juden, Kommunisten und Pazifisten. Goldschmidt murmelte: »Ja, ja, und die Nazis sind auf der Insel ebenso straff organisiert wie im Reich.« Das Wort Heimat kam ihm nicht über die Lippen. Aber wie konnte sein Freund ihm einen Nazi als Fotografen empfehlen? Er wandte sich ab und ging schnellen Schrittes zur Straßenbahn, die ihn zurück nach El Terreno bringen sollte.
Kapitel 6
Cala Illetes. Gemeinde Calvià. Sven geht die Steinstufen vom Parkplatz hinunter und gelangt über die Holzbohlen auf die Terrasse von Manuels Restaurant, das heute geschlossen hat. Nach wenigen Metern erreicht er Lucías Strandbar. Er sieht Salvator, den Ehemann von Lucía, der gerade einen Stehtisch auf die Terrasse schleppt. »Hola«, ruft er. Salvator, der schlanke, großgewachsene Mann mit den ergrauten Schläfen und den unzähligen kleinen Lachfalten um die Augen, dreht sich um und kommt auf Sven zu.
»Schön, dich zu sehen.« Sie umarmen sich. »Alles gut bei dir?«
Sven bejaht. »Und bei dir?«
»Alles bestens«, erwidert Salvator mit einem Lächeln.
»Wie fühlst du dich so ohne Lucía?«
»Jetzt geht es ja, aber als sie damals Manuels Küche unter ihre Fittiche genommen hatte, war das schwer.« Schnell schiebt er nach: »Für uns beide.« Er grinst. »Aber die Tapas-Bar hat ja nur mittags auf. Deshalb werde ich meine Frau abends in die Arme schließen können.«
Sven lacht. »Das hoffe ich für dich.« Er legt Salvator die Hand auf die Schulter. »Aber wie ich deine Frau kenne, wird sie es sich nicht nehmen lassen, ab und an auch abends Manuel Konkurrenz zu machen.«
Salvator seufzt. »Wenn es denn ihr Herzenswunsch ist. Seit sie sich bei euch engagiert, ist sie ausgeglichener, glücklicher. Valdemossa ist eben ein Nest, sehr schön zwar, aber langweilig. Was soll ich machen?«
»Nix!«, antwortet Sven. »Lass ihr den Freiraum, denn deinen Job als Bibliothekar im Kloster wirst du ja wohl nicht aufgeben, oder?«
»Gott behüte. Das wäre eine große Dummheit.«
»Eben.« Sven schaut sich um. »Kann ich dir helfen?«
»Gut, dass du fragst, sonst würde ich glatt an unserer Freundschaft zweifeln.« Salvator zeigt ans Ende der Terrasse. »Dort müssen die Stehtische hin.«
Nachdem Salvator und Sven die Tische aus dem Schuppen nach draußen getragen und aufgestellt haben, betreten sie den großen Essraum der Strandbar. Lange Tische mit weißen Tischdecken darauf bilden ein großes Rechteck. Héctor und Carlotta, die Angestellten von Manuel, decken ein und Christina, Manuels Ehefrau, stellt Kerzen auf. Sven geht dem Duft nach Rosmarin, Zwiebeln, gerösteten Pinienkernen und