Das Buch der Tiere. Martin Thomas Pesl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Thomas Pesl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005877
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für dessen Auserwählten im Kampf gegen alle anderen Tierarten. Auch die Frage, ob die Menschen nun grundsätzlich helfen oder grundsätzlich schaden wollen, spaltet die Ideologien. Wenn die Tiere nur wüssten, dass diese Frage echt nicht so einfach zu beantworten ist!

      Goth ist schlau, aber empathielos. Seinen Kollegen Throbb unterdrückt er permanent mit der Drohung, ihn aufzufressen. Schatten und Marina lässt er lange in dem Glauben, auf ihrer Seite zu stehen, während er insgeheim schon wie Gargamel das Fledermausmenü plant. Fun Fact: Auf den Seychellen ist bat curry auf den Speisekarten der meisten Restaurants zu finden.

      Wie viele gute Antagonisten wird Goth von den Haupthelden längere Zeit für tot gehalten, ist aber nicht umzubringen. Je nachdem, ob man ihn fürchten oder verlachen möchte, sollte man sich den lateinischen Namen seiner Gattung, Vampyrum spectrum, vor Augen führen oder den prosaischeren deutschen: Große Spießblattnase. image

      GATTUNG: Vampyrum spectrum

      LEBENSRAUM: Dschungel

      GESCHLECHT: Männchen

      ERNÄHRUNG: Glanzflügelfledermäuse

      SCHWÄCHE: friert leicht

      STÄRKE: gute Echoortung

      TIER/SCHURKE-SCORE: hoch

      RELIGIONSBEKENNTNIS: c.z. (Cama Zotz)

       FROSCH

      AUTOR: Haruki Murakami

      TITEL: Frosch rettet Tokyo (aus dem Japanischen von Ursula Graefe)

      ORIGINALFASSUNG: 2000

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      imageNennen Sie mich bitte einfach Frosch«, sagte der Frosch mit kräftiger, sonorer Stimme.

      Es ist verständlich (und »Verständnis ist äußerst wichtig«, sagt Frosch), dass Haruki Murakami nach dem fatalen Erdbeben von Kyoto am 17. Januar 1995 Angst hatte. Gleich mehrere seiner Geschichten kreisten um das Beben, auf Deutsch sind sie im Band Nach dem Beben zusammgefasst.

      Die Schreckensfantasie, es könnte auch Japans Hauptstadt Tokio treffen, teilt Murakami mit einer seiner Hauptfiguren, dem Bankangestellten und Schuldeneintreiber Herrn Katagiri.

      Ihm – uns allen! – zur Erleichterung eilt ein mannshoher Frosch mit Schwimmhäuten zwischen den Händen. Der erklärt Herrn Katagiri, er brauche seine Hilfe beim unterirdischen Kampf gegen Wurm, den Wurm, der nämlich sonst am 18. Februar 1995 die Erde bei Tokio zum Erbeben bringen und 150.000 Todesopfer fordern würde.

      »Sind Sie ein echter Frosch?«, fragt ihn Katagiri. »Natürlich, das sieht man doch«, antwortet Frosch. »Keine Metapher, kein Zitat, keine Dekonstruktion, keine Attrappe oder sonst etwas Kompliziertes. Ein Frosch, wie er leibt und lebt. Soll ich mal ein bisschen quaken?«

      »Keine Metapher«, das ist natürlich gelogen. Der Frosch symbolisiert unsere innere Kaulquappe, indem er sich aus Katagiris Fantasie heraus entpuppt hat und ausgerechnet den gesellschaftsscheuen Durchschnittsmenschen, der keine Freunde und keine Frau hat, zum Anfeuern für den ultimativen Kampf benötigt.

      Ein Superheld auf glitschiger, lurchiger Unterlage. Ein Superheld aber auch, der Tolstoi und Dostojewski liest und selbstironisch sagt: »Es ist eine Frage der Männlichkeit. Ich habe ja leider keine. Hahaha.« Ein perfekter Freund.

      Murakami wäre nicht Murakami, würde diese epische Schlacht tatsächlich stattfinden (dann wäre er J.K. Rowling oder J.R.R.R. Martin oder ein anderer Autor mit Initialen als Vorname). Denn am Abend davor erleidet Katagiri einen Zusammenbruch. Als er im Spital erwacht, ist der Kampf vorbei. Frosch besucht ihn und dankt ihm für seine Mithilfe, die wohl eine rein geistige, traumartige war. Frosch ist daher auch so müde, dass er neben dem Krankenbett einschläft, übersät von Wunden, Beulen und Striemen.

      Und dann, dann platzt Frosch. Ja, einfach so. Und mit wohligem Grinsen erkennen wir, dass Frosch, der Frosch von seinem Schöpfer nur ersonnen wurde, damit der ihn am Ende platzen lassen konnte. Murakami wäre nämlich auch nicht Murakami, wenn er einen Frosch vorkommen ließe, der kein veritabler Knallfrosch ist. image

      GATTUNG: Anura

      LEBENSRAUM: Tokio

      GRÖSSE: > 2 m

      STIMME: kräftig und sonor

      LACHEN: laut und hell

      ERNÄHRUNG: Tee

      SYMBOLFAKTOR: image

      BESTER-FREUND-DES-MENSCHEN-FAKTOR: image

      LIEBLINGSBUCH: Anna Karenina

      NATÜRLICHER FEIND: Wurm

       C. LACHRYPHAGUS

      AUTORIN: Andrea Grill

      TITEL: Das Paradies des Doktor Caspari

      ORIGINALFASSUNG: 2015

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      imageMein Verhältnis zu diesen Schmetterlingen gleicht, könnte man sagen, und nicht einmal nur in Retrospektive, nein, bis jetzt, bis zu diesem Augenblick, in dem ich das niederschreibe, einer Ehe im Sinne Dostojewskis; große Gefühle, endlose Missverständnisse, Enttäuschungen, Erklärungsversuche, Geldknappheit – und all das zu niemandes Nutzen, weder für mich noch für andere.

      Doktor Franz Wilhelm Caspari hat diese Schmetterlinge wiederentdeckt, er hat ihnen das Leben gerettet – kein Wunder, dass da eine besondere Bindung entsteht. Und das, obwohl keiner von ihnen einen Namen hat, alle nur nach Geburtstag, Häutungsdatum und Anzahl der Verpaarungen katalogisiert werden, ein kurzes Leben leben und er sie auch so pragmatisch entsorgt, dass seine Freundin Shambhavi ihn für herzlos hält. Aber schließlich haben Falter ja auch kein Herz, oder?

      Auf der Insel Mangalemi im Indischen Ozean hat er sich verschanzt, wie einer dieser durchgeknallten Wissenschaftler, die an atomaren Weltherrschaftsplänen brüten. Aber Caspari brütet nur Schmetterlinge. Er ist Biologe, arbeitet an seinem großen Durchbruch. Der Haken dabei: Dass die als ausgestorben geltende Art Calyptra lachryphagus von ihm neu belebt wurde, darf noch keiner wissen.

      Auch die Menschen im Ort kennen nicht die ganze Wahrheit. Sie halten den etwas über Dreißigjährigen für einen schrulligen Kulturphilologen, weil er so gerne ihre Begräbnisse besucht. Der wahre Grund für den Trauerfetisch ist aber ein anderer: Casparis Schmetterlinge ernähren sich von den Tränen der Menschen.

      Als daher eine Zeit lang niemand auf der doch überschaubaren Insel stirbt, sieht Franz Wilhelm sich gezwungen, ins Gefühlsleben etwa seiner Haushälterin vorzudringen und sie mit geschürten Sorgen über ihre kranke Mutter zum Heulen zu bringen. Evil scientist und Emo in einem. »Der Tod erleichtert mir das Leben«,