»Wieder diese obszöne Ausdrucksweise«, sagt er.
»Wie du meinst.«
»Außerdem ist vielleicht zu viel von Dienstagen die Rede. Aber das soll nur eine Anregung sein. Du bist der Schriftsteller.«
»Nein, vielleicht hast du recht. Ich geh noch mal drüber.«
»Okay. Was kommt jetzt?«
»Ein weiterer Ausschnitt aus deinem Roman über Cassie.«
»Ich dachte, das werfen wir alles weg.«
»Die letzte Passage haben wir weggeworfen, ja. Aber danach ist mir klar geworden, dass diese Ausschnitte eigentlich Liebesbriefe von Karlsson an Cassie sind.«
»Echt?«
»Was willst du jetzt also tun?«
Er zuckt mit den Schultern. »Wir können’s ja mal probieren.«
Sermo Vulgus: Roman (Auszug)
Als junger Mann in Wien wurde Hitler von einer Jüdin abgewiesen. Eine Kugel zerfetzte seinen Ärmel, als er über das Niemandsland stürmte.
Cassie, fünfzehn Zentimeter hätten das Leben der Sechs Millionen retten können.
Cassie, sie behaupten, Hitler hätte sich einst in der Gesellschaft von Juden wohlgefühlt.
Wie können sie dann so unbekümmert von Schicksal, Vorsehung und prokreativem Sex sprechen?
Verdamme die Zukunft, Cassie, dämme sie ein. Mach’s mir mit der Hand, dem Mund, mit dem Arsch. Gib mir deine Achselhöhlen, du Dirne. Lass uns die Körper von Jungfrauen aufreißen, auf dass ihre Wunden sich weiten und uns ficken wie toll, bis Gott aus seinem Himmel fällt. Ergehen wir uns in Schleim, Blut, Mösensaft und Sperma; spar dir deine Tränen für den Essig auf, den wir den durstigen Märtyrern reichen.
»Das soll ein Liebesbrief sein?«, fragt er.
»Es ist ein Liebesbrief von Karlsson.«
»Mit Frauen kennt er sich wohl nicht so gut aus?«
Debs zieht die Patiotür auf und steckt den Kopf heraus.
»He, Hemingway«, ruft sie. »Deine Tochter hat volle Windeln. Hopp-hopp.«
Ich winke ihr zu. »Ich muss los«, sage ich zu Billy. »Familientag. Wir fahren raus nach Drumcliffe zum Mittagessen. Es wird Zeit, dass Rosie dem Grab von Yeats einen Besuch abstattet.«
Er nimmt die Sonnenbrille ab und zwinkert mir mit seinem einen Auge zu. »Wirf ein kaltes Auge auf ihn«, sagt er. Schwer zu sagen, ob er sein strahlend Blaues meint oder die Dörrpflaume.
Ich halte den Auszug aus Sermo Vulgus hoch. »Was willst du jetzt damit machen?«
»Als Liebesbrief finde ich es nicht so gut«, sagt er.
»Ich kann es wegwerfen, wenn du willst.«
»Vielleicht können wir es ja an einer anderen Stelle einbauen. Wo es nichts mit Cassie zu tun hat.«
»Kriegen wir hin. Dann bis morgen.«
»Am Samstag?«
»Oh, stimmt. Also bis Montag.«
»Super«, sagt er. »Ich würde morgen gern mal ausschlafen. Dieses frühe Aufstehen macht mich echt fertig.«
»Versuch mal, ein Kind zu kriegen«, sage ich. »Dann weißt du, was Frühaufstehen bedeutet.«
Er schaut mich kurz an und wirkt irgendwie kämpferisch.
»Das hängt ja wohl ganz von dir ab, oder?«
»Möchtest du, dass Cassie schwanger wird?«
»Das wäre bestimmt gut für uns beide.«
»Aber sie nimmt die Pille, oder?«
»Tut sie. Vielleicht könntest du ihre Pillen ja gegen Folsäuretabletten austauschen oder so.«
»Ohne dass sie es merkt?«
»Manchmal muss man Böses tun, um das Gute zu erreichen«, sagt er. »Die besten Geschichten handeln doch genau davon.«
Buddhistische Mönche ergehen sich darin, komplexe Mosaikkunstwerke aus Tausenden genau umrissenen allerfeinsten Häufchen farbigem Staub herzustellen. Manchmal arbeiten sie jahrelang daran. Wenn sie damit fertig sind, fegen sie den ganzen Staub in eine Ecke und fangen von neuem an.
Ich erfreue mich an diesem perversen Gedanken, während ich die Fliesen im Krankenhauskorridor wische. Wenn ich das Ende des langen Flurs erreicht habe, sind schon wieder viele Leute über den gewischten Teil getrampelt. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Die Priester sagen das, um die Pferde nicht scheuzumachen. Es wäre korrekter zu sagen Asche von Asche, Staub von Staub.
Es wäre sogar noch korrekter, überhaupt nichts zu sagen und die Leute selbst entscheiden zu lassen.
Die Leute schleppen den Dreck an ihren Schuhen ins Krankenhaus. Sie bringen Staub rein, Hundescheiße, Bakterien, Speichel, sauren Regen, Kohlenmonoxid und dreckige Kaugummireste. Aber sie dürfen nicht auf dem überfüllten Parkplatz rauchen.
Ich erkundige mich, ob ich während der Putzerei einen Mundschutz tragen darf, damit ich nicht die eingeschleppten Krankheitserreger der Besucher einatmen muss. Aber weil ich nur eine Aushilfskraft bin, wird diese Anfrage als witzig gemeinte Anmaßung abgetan. Nur Chirurgen dürfen Masken tragen, mit der offiziellen Begründung, es würde die Patienten schützen, tatsächlich aber fürchten sich die Chirurgen vor den unsichtbaren Gefahren, die einem frisch aufgeschlitzten oder erkrankten menschlichen Körper entweichen.
Ein Mann steht mitten im Korridor, und ich muss um ihn herumwischen. Seine Schultern hängen herab. Er wirkt so schlaff, dass man den Eindruck hat, alle seine Bänder seien ein klein wenig überdehnt worden.
»Entschuldigung«, sage ich. »Wären Sie so nett und treten ein Stück zur Seite?«
Er dreht sich um und schaut mich an. Mit weit aufgerissenen, sehr trockenen Augen. Dann sagt er mit heiserer Stimme: »Meine Tochter ist gerade gestorben.«
»Das tut mir leid«, sage ich. Das könnte jetzt heuchlerisch rüberkommen, aber ich finde ihn ziemlich anmaßend. Ich frage mich, warum die Leute immer glauben, ihr Schmerz sei für andere von Belang. Ich frage mich, warum die Leute heutzutage ständig ihren Schmerz mit anderen teilen wollen. Wenn dieser Typ mitten auf dem Teppich stehen und eine Tüte Süßigkeiten verzehren würde, käme er nie auf die Idee, dem Mann mit dem Staubsauger eins von seinen Karamellbonbons anzubieten.
»Sie war acht Jahre alt«, sagt er.
»Sie müssen sie sich als ein Mosaik vorstellen«, sage ich. »Stellen Sie sich vor, ihre Tochter wäre ein unglaublich komplexes Mosaik, das so schön geworden ist, wie es nur möglich war. Und nun stellen Sie sich vor, wie es beiseitegefegt wird, damit ein neues wunderschönes Mosaik daraus geformt werden kann. Vielleicht hat es ja schon angefangen. Gehen Sie mal nach oben in die Entbindungsstation, vielleicht werden Sie ihr Lächeln dort wiederfinden, dieses besondere Funkeln in ihren Augen. Gehen Sie hin, während die Mutter noch darüber nachgrübelt, wie lange es wohl dauert, bis ihre mütterlichen Gefühle endlich erwachen, vielleicht haben Sie ja Glück. Aber vielleicht wurde sie diesmal auch als Junge geboren, Sie sollten da keine Scheuklappen tragen. Und darf ich Sie jetzt bitten, zur Seite zu treten? Ich habe nämlich schon eine offizielle Verwarnung bekommen.«
Er starrt mich an, ohne etwas zu verstehen. Dann füllen sich seine großen, ausgetrockneten Augen mit Tränen. Sie laufen über seine Pausbäckchen. Er erbebt, schluchzt auf, krampft sich zusammen und beginnt loszuheulen.
»Nichts