Vom Schaumburgergrund ins Lichtental. Gerhard Tötschinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Tötschinger
Издательство: Bookwire
Серия: Wiener Geschichten für Fortgeschrittene
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783903083196
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Haus wurde heftig angefeindet, als Inbegriff schlechten Geschmacks.

      Jedermann wusste etwas dazu zu sagen. Natürlich stimmte vieles nicht – wie die Erklärung der roten Kavalleriehosen, sie seien Restbestände der mexikanischen Armee des unglücklichen Kaisers Max von Mexiko, oder sein Bruder Franz Joseph I. sei 169 cm groß, und er reiche nur Familienmitgliedern die Hand.

      Unter den vielen Gerüchten, die einst die Kaiserstadt durcheilten, als noch kein Google oder ein ähnliches modernes Orakel befragt werden konnte, betraf eines auch das Botschaftsgebäude. Man habe die Pläne für Konstantinopel und Wien verwechselt, daher die merkwürdige Fassade. Und in der Tat wirkt das Haus seltsam und scheint sich selbst nicht ganz wohl zu fühlen, in seiner Umgebung von Hochbarock und geballtem Historismus. Ob in Buenos Aires vergleichbare Gerüchte en vogue waren? Jedenfalls hat Chedanne ein ganz ähnliches Botschaftsgebäude in die argentinische Hauptstadt gestellt.

      À propos – in der Argentinierstraße wurden im späten 19. Jahrhundert mehrere Wohnhäuser und Palais im Stil des Historismus erbaut, die zum Teil heute exterritoriales Gebiet sind.

      Das ehemalige Palais Falkenstein dient als griechische Botschaft. Weiter aufwärts, an der linken Straßenseite, findet sich eine venezianische Spur – ein großes Glasmosaik der berühmten Firma Salviati aus Venedig. Fellner und Helmer entwarfen dieses Haus im Stil der italienischen Renaissance.

      Das Nebengebäude ist der Sitz der Handelsvertretung Russlands. Bald danach ragt aus einem Wohnhaus die Trikolore grün-weiß-rot, Sitz des italienischen Konsulats. Knapp vor dem Ende der Straße, an der Ecke zur Theresianumgasse, hat die Botschaft des Königreichs Spanien ihren Sitz. In der nahen Prinz-Eugen-Straße sind weitere Staaten vertreten – Brasilien, Rumänien, Türkei.

      Ein Gebäude in der Mitte der Argentinierstraße verdient ganz besondere Erwähnung, ein wichtiges Werk des großen Clemens Holzmeister und zweier Partner – das Funkhaus. Ab 1935 erbaut ist es ein Stück bester österreichischer Kulturgeschichte.

      In der nahen Plößlgasse stehen zwei kleine Wohnpalais, die die Namen ihrer ersten Besitzer tragen – Albert Baron Rothschild auf Nr. 5–7, früher ein Teil des Palais Prinz-Eugen-Straße 26, und Nathaniel Rothschild auf Nr. 8.

      Das Palais Alphonse Rothschild stand auf leichter Anhöhe, Ecke Theresianumgasse und Argentinierstraße, und bot über den weit ausgedehnten Park ein prächtiges Blickfeld von der Kuppel der Karlskirche über die Innere Stadt. Von den neuen Machthabern 1938 beschlagnahmt, wurde das Palais Sitz der SS und der Gestapo. Durch Bombentreffer wurde es so schlimm beschädigt, dass es bald nach Kriegsende abgerissen wurde. Im Nachfolgebau ist außer dem Theater Akzent auch das Bildungszentrum der Arbeiterkammer untergebracht.

      Das prächtigste aller Rothschildpalais in diesem Viertel hatte sich Albert Freiherr von Rothschild zwischen 1879 und 1884 in der Heugasse, heute Prinz-Eugen-Straße 20–22, erbauen lassen. Seine Kunstsammlung war weltberühmt, er galt als reichster Mann Europas. Seinem Sohn Louis gelang 1938 die Flucht vor den Nazis nicht, er wurde verhaftet und im Hotel Metropol, dem Gestapo-Sitz, ein Jahr lang misshandelt und zum Verzicht auf den gesamten Besitz gezwungen. Dann konnte er Österreich verlassen, ein gebrochener Mann. Das Palais konfiszierte der SD, eine SS-Dienststelle. In den Rothschild’schen Räumen residierte nun der Inbegriff der hochgebrodelten Unterschicht, Adolf Eichmann mit seinem Spießgesellen Alois Brunner. Sie organisierten den Mord an mehr als 65 000 österreichischen Juden.

      Prinz-Eugen-Straße 26 ist heute der Sitz der brasilianischen Botschaft, auch dieses Haus war und ist in Rothschildbesitz.

      Im Palais Miller-Aichholz, Prinz-Eugen-Straße 28, hatte eine überaus schillernde Persönlichkeit die Nachfolge des Bauherrn, des berühmten Kunstsammlers Eugen von Miller zu Aichholz, angetreten. Im Sommer 1918 erwarb der Glücksritter Camillo Castiglioni den prachtvollen Besitz – mitsamt den fünf großen Tiepolo-Bildern im Stiegenhaus. Den neuen Besitzer treffen wir bald wieder, im 8. Bezirk. Das vom Krieg nur leicht beschädigte Palais wurde wie so vieles in Wien abgerissen, im Jahr 1961. Die Tiepolo-Bilder gehören längst dem Metropolitan Museum in New York.

      Auf Wiedner Hauptstraße 15–17 steht der Habig-Hof. Die 1862 gegründete Hutfirma Peter Habig erzeugte weltweit geschätzte Produkte. Das elegante Verkaufslokal im Parterre und die stolze Fassade grüßen aus dieser vergangenen Zeit. Auf Nr. 29 stand die Fabrik, deren Erzeugnisse sehr populär waren, bis Hüte langsam aus der Mode kamen.

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      Eine Erinnerung in Venedig andie Weltfirma Habig

      Diese uralte Straße in den Süden ist so voller Geschichte, wir bleiben noch. An ihrem Beginn, Haus Nr. 7, steht das alte Hotel »Goldenes Lamm«, sein berühmtester Stammgast war der Komponist Antonín Dvořák, de m eine Gedenktafel gewidmet ist.

      Eine Fußnote: Im Fiakerlied heißt es »Vom Lamm zum Lusthaus fahr’ ich …« Dieses Lamm jedoch ist nicht jenes. Das Fiaker-Lamm stand in der Praterstraße 7, wurde im Krieg zerbombt und hat einem Neubau der Bundesländer-Versicherung Platz gemacht. Von da zum Lusthaus kann der Fiaker durchaus in den im Text genannten zwölf Minuten fahren – »nur allweil trab, trab, trab«. Vom »Lamm« auf der Wieden wäre das unmöglich. Und um zu verhindern, dass mein Verlag böse Briefe von Wienerliedkennern bekommt, noch eine Bemerkung: Im Urtext heißt es »vom Grab’n zum Lusthaus«, doch aus dem Grab’n ist bald das »Lamm« geworden, dessen Portier wird wohl den Liedsängern günstigere Konditionen geboten haben.

      Und jetzt im Galopp zurück zum »Goldenen Lamm«: Der Fernverkehr war in grauer Vergangenheit an bestimmte Gasthöfe angebunden. Von diesem Lamm gingen Stellwagen nach Hainburg, Mödling, Pottendorf. Wer auf die Reise nach Güns oder Steinamanger gehen wollte, bestieg den Stellwagen gegenüber, beim Hotel »Zur Stadt Ödenburg«.

      Auf Nr. 12 stand der »Schwarze Bär«, später Hotel »Stadt Triest«, heute »Das Triest«. So weit fuhren die Stellwagen von hier zwar nicht, man kam aber immerhin nach Laxenburg oder Traiskirchen.

      Habig-Hof und Gluck-Haus haben wir schon besucht, nächste Station: Wiedner Haupstraße 44, »Zum Ritter Sankt Georg«. Hier lohnt es sich, zu verweilen – man lernt Bezirksgeschichte. Ein Sgraffito zeigt den »Klagbaum« und das Wappen von Hungelbrunn, die sagenhaft tapfere Elisabeth und das Schaumburger Wappen, den Laszlaturm und das Wiedner Wappen, den Kampf mit dem Bären, die Osmanen, die Zauberflöte.

      Dieser mutigen Elisabeth begegnen wir gleich wieder, vor dem Café Wortner, auf Nr. 55. Sie war eine Müllerstochter, in diesem Mühlenbezirk sicher eine gute Partie. Die beiden Gauner, zu deren Häuptern sie sich offensichtlich gerade das Haar wäscht, hat sie unschädlich gemacht, der eine hieß Hans Aufschwing, vom zweiten kennen wir nicht den Namen, aber den Beruf, er war Wirt. Nun sitzt er da als eine Warnung für die Inhaber des gastronomischen Betriebs in seinem Rücken.

      Sollten Sie sich schon oft Gedanken gemacht haben, wer denn dieser Sir Edgar Joseph Böhm sein kann, an den eine Gedenktafel am Haus Wiedner Hauptstraße 60 erinnert – Sie sind am Ziel. Vater und Sohn Böhm waren Graveure. Böhm sen., Joseph, war Direktor der Graveurakademie am Hauptmünzamt in Wien.

      1834 geboren, war Böhm jun., nunmehr Boehm, schon mit 22 Jahren außerordentlich erfolgreich – in London, als Bildhauer. Er blieb, hatte weiterhin großen Erfolg mit seinen Statuen, wurde Brite, Mitglied der Royal Academy, geadelt, bekam zahlreiche hoch dotierte Aufträge, wurde Freund und Lehrer einer Tochter von Queen Victoria. Eine Statue dieser Frau, der Königin und Kaiserin, die beinahe die Schwiegermutter Sir Edgar Josephs geworden wäre, schuf er für die Stadt Bristol.

      Nr. 62 ist der Sitz der Freien Bühne Wieden, gegründet von Topsy Küppers und Carlos Springer, seit Jahrzehnten eine mutige Stätte zahlreicher Uraufführungen. An der Stelle von Haus Nr. 64 stand vor langer Zeit der Klagbaum, der nicht nur blühte, sondern eben auch klagte und so vor drohenden Gefahren warnte. Wäre das tatsächlich so gewesen, er stünde als amtliche Institution heute noch hier.

      Nun sind wir bei St. Thekla. St. Thekla an der Wiedner Hauptstraße 82 ist keine Pfarrkirche wie die bisher erwähnten Gotteshäuser. Sie gibt zusammen mit dem Klostergebäude einen Eindruck ihrer Bauzeit. Die Piaristen erwarben 1752 einen