Vom Schaumburgergrund ins Lichtental. Gerhard Tötschinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Tötschinger
Издательство: Bookwire
Серия: Wiener Geschichten für Fortgeschrittene
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783903083196
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Piaristen ein vertrauter Partner. Er hatte schon den Umbau der Kirche in der Josefstadt geleitet. Gerl war ein Mann der Praxis, klarer Entscheidungen, zupackend und hilfreich. 1752 überantwortete ihm Maria Theresia den Umbau der alten Burg von Wiener Neustadt in eine moderne Lehranstalt, die Alma Mater Theresiana, die Militärakademie. Gerl war aber nicht nur Praktikus, er war sehr wohl auch Künstler, das hat er mit der schönen Pfarrkirche von Traiskirchen bei Baden bewiesen.

      Der Piaristenorden hat eine spanisch-italienische Gründungsgeschichte. In Nikolsburg in Mähren hatte er seine erste Niederlassung nördlich der Alpen, bald folgten weiter Klöster in Österreich. In Wien wurde eine erste Kirche erbaut, ihr Baumeister dürfte Johann Lucas von Hildebrandt gewesen sein.

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      Porträt Joseph Missons

      Der herrliche Burgschauspieler Richard Eybner – Sie erinnern sich?! – hat mir in mehreren Vortragsabenden einen Piaristen nähergebracht, der auf der Wiedner Hauptstraße nicht zu vermuten war. Joseph Misson starb 1875 im Kollegium St. Thekla. Seine Herkunft und sein Lebenslauf waren zwar nicht von Abenteuern, aber von aufregender Buntheit geprägt.

      Der Vater war Friulaner aus Udine, Giovanni Battista Misson. In diesem Familiennamen steckt das altitalienische Wort für Pflicht, aus dem später missione wurde. Lebenspflichten und eine spezielle Mission haben den Sohn des Friulaners Joseph geprägt, dessen Mutter aus Zemling am Mannhartsberg stammte. Und dort kam 1803 Misson filius zur Welt, in Mühlbach ist er als achtes Kind des lebensfrohen niederösterreichisch-italienischen Elternpaares aufgewachsen.

      In Krems hat er maturiert, dann wurde er Piaristen-Novize. 1826 trat er seine erste Stelle als Lehrer an, und diese Berufung blieb ihm sein Leben lang, auf diese oder jene Weise. In Horn, Krems und Wien hat Misson unterrichtet, in Stein war er 1848/49 Kaplan der Nationalgarde. Wenige Jahre später übersiedelte er nach Wien und blieb im Kloster St. Thekla bis zu seinem Lebensende als Bibliothekar.

      Und weshalb musste das alles erzählt werden? Weil Joseph Misson neben seinen Priesterfunktionen eine zweite Mission erfüllte. 1850 erschien der erste Teil seines bedeutenden Werks Da Naz. A niederösterreichischer Bauernbui geht in d’ Fremd’.

      In Hexametern erzählt Misson in der Mundart seiner Heimat ein ihm vertrautes Schicksal – ein Denkmal für den niederösterreichischen Dialekt, der nicht gleich dem der Wiener ist – und stellt in immer wieder rührender Weise das einfache Leben im Dorf dar, auch die Schönheit seiner heimatlichen Landschaft.

      Joseph Misson hat nicht die Anerkennung gefunden, die er verdient hätte. Sein Werk soll nicht verloren gehen, vielleicht findet sich noch ein Sprachmeister, der dem Naz zum Weiterleben verhilft. Richard Eybner jedenfalls hat dem Naz viele Vortragsabende gewidmet, das Werk auch auf Schallplatte aufgenommen. In St. Thekla ist Misson am 28. Juni 1875 gestorben.

      Bei St. Thekla mündet die Phorusgasse – die nicht griechisch »Forusgasse« auszusprechen ist, sondern mit stummem H, also Porusgasse, denn … Das soll der bewährte Chronist Franz Gräffer erklären (Kleine Wiener Memoiren, Wien 1845): »Phorus ist ein Wort, welches man weder in einem griechischen, noch in einem Sprachwörterbuch findet. Auch in einem Personenlexikon wird man es nicht antreffen. Neulich aber ward behauptet, das Wort Phorus müsse durchaus hellenischen Ursprungs, wohl gar mythologisch sein. Bei dem Anblick dieser Zeilen werden viele Leser lächeln, nämlich jene, welchen die Komposition des Wortes Phorus bekannt ist; alle aber wissen sie doch nicht. Dieses Wort, welches die erste privilegierte Holzzerkleinerungsanstalt Wiens bezeichnet, ist aus den Anfangsbuchstaben der ersten Unternehmer jener Anstalt zusammengesetzt, nämlich: Palffy, Hackelberg, Offenheimer, Remscher, Unger, Schönfeld.« Diese »Anstalt« hat einfach aus Baumstämmen handliche Scheiter geschnitten und bestand bis 1856. Vom Holz zum Metall: Von der Paulanerkirche führt in Richtung Schwarzenbergplatz die Gusshausstraße, die ihre Geschichte schon im Namen trägt. Das Haus, das ihr den Namen gab, stand auf Nr. 25. Als k. k. Kanonengießerei 1750 erbaut, hat es 1850 diese Aufgabe verloren, im neuen Arsenal wurde nun gegossen. Doch ganz hat das alte Institut seine Funktion nicht aufgegeben, denn 1861 hat man hier eine Fachschule eingerichtet, das k. k. Kunsterzgießhaus zur Ausbildung von gießtechnisch begabten Jungkünstlern. Ihr Leiter war Anton Dominik Fernkorn, ein wirklicher Meister dieses Fachs. Er hatte im selben Gebäude sein Atelier, was seinen Schülern zugute kam. In diesen Räumen sind die beiden prominentesten Reiterstatuen Wiens entworfen und gegossen worden, Prinz Eugen und Erzherzog Carl vom Heldenplatz.

      Aber schon hundert Jahre vor dem aus Erfurt gebürtigen Fernkorn war ein anderer Großer der Bildhauerei im Gusshaus am Werk – Franz Xaver Messerschmidt. Er kam 1736 in Wiesensteig in der Nähe von Stuttgart zur Welt, doch wie Fernkorn wurde auch ihm Wien zur Schicksalsstadt. Ab 1755 studierte er an der Akademie der bildenden Künste und fand einen Förderer im Hofmaler Martin van Meytens. Dieser verschaffte dem jungen Kollegen eine Stelle als Kanonenrohr-Ziseleur im Gusshaus.

      Ein tragisches Schicksal hat beide Gusshaus-Künstler getroffen. Anton D. Fernkorn hat mit der Statue Erzherzog Carls eine bis heute viel beachtete virtuose Meisterleistung vollbracht – das Feldherrnross steht auf zwei Beinen, kein Strauch oder Baumstamm stützt den tonnenschweren Leib, die Gussmasse hatte ein Gewicht von 350 Zentnern. Zum Studium der Bewegungen ließ sich Fernkorn immer wieder Pferde aus den Hofstallungen in sein Atelier bringen. Auch Ernst Renz, der Zirkusdirektor, setzte seine edlen Hengste in der Gusshausstraße in allen Gangarten in Bewegung, um den Bildhauer zu unterstützen.

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      Anton Dominik Fernkorn mit dem Modell des Carl-Denkmals

      Lange Zeit konnte man sich nicht erklären, wie er das Kunststück zustande gebracht hatte – die temperamentvolle Bewegung auf der Hinterhand ohne Stütze. Als das bald abgesagte Projekt einer Garage unter dem Heldenplatz zu Probearbeiten in der Erde führte – da zeigte sich, dass das Geheimnis der Statue unter dem Erdboden lag. Wie ein Segelboot durch ein Kielschwert an Stabilität gewinnt, so auch das Denkmal. Fernkorn hatte eine rund elf Meter lange Metallschiene in den Sockel und den darunterliegenden Boden versenkt.

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      Dieses Kunststück wollte er beim Eugen-Denkmal wiederholen, doch es gelang ihm nicht. Das Pferd des Savoyers kann die Levade nur schaffen, weil der Schweif sich auf den Sockel stützt. In diesen Monaten traf den Meister mehrmals der Schlag – er konnte sein Eugen-Projekt nicht zu Ende führen. Er soll infolge von Überanstrengung und Schwermut den Verstand verloren haben. Fernkorn kam 1868 in eine Irrenanstalt.

      Franz Xaver Messerschmidt wurde neben Hofmaler van Meytens auch von Maria Theresia sehr geschätzt – 1769 bekam er eine Stelle an der Wiener Akademie. Aber 1771 zeigten sich Anzeichen schwerer seelischer Störungen, die 1774 zu seiner Pensionierung führten. Messerschmidt übersiedelte zu seinem Bruder nach Pressburg – und begann mit der Serie seiner weltberühmten Charakterköpfe. Zur selben Zeit brach seine Geisteskrankheit aus. Die Bleigüsse dieser Reihe von grotesken Fratzen sind zum Teil im Besitz des Belvedere.

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      Ein Erzbösewicht

      Und die Gusshausstraße 25? 1900 war Schluss mit der Gießerei, im Haus wurde das Elektrotechnische Institut untergebracht.

      Abschließend sei noch ein Haus mit Geschichte erwähnt: An den außerordentlich seltenen Fall eines Attentats auf einen österreichischen Monarchen mag man an der Ecke Operngasse und Schleifmühlgasse denken. Das Haus »Zum grauen Adler« war im Besitz des Fleischhauermeisters Josef Ettenreich. Er durfte sich »von Ettenreich« nennen, nachdem er einen schwarzgelben Adler gerettet hatte: Er hatte am 18. Februar 1853 mitgeholfen, das Attentat des Schneiders Johann Libenyi auf Franz Joseph I. zu verhindern. Der junge Kaiser war nur leicht verletzt, er wünschte nicht die Todesstrafe für den Attentäter – aber die Minister waren entschieden dafür. Libenyi wurde gehenkt. Franz Joseph setzte der Mutter des jungen Mannes eine lebenslange Rente