Vom Schaumburgergrund ins Lichtental. Gerhard Tötschinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Tötschinger
Издательство: Bookwire
Серия: Wiener Geschichten für Fortgeschrittene
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783903083196
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Pause) hat, so machte ich ein Arpeggio, der erschrak, schaute in die Szene und sah mich. Als es das 2te Mal kam, machte ich es nicht – nun hielt er und wollte gar nicht mehr weiter – ich erriet seinen Gedanken und machte wieder einen Accord, dann schlug er auf das Glockenspiel und sagte Halts Maul. Alles lachte dann.« Und Mozart freute sich schon darauf, mit Constanze in einer Loge zu sitzen, »so bald du zurück kömmst«.

      Doch als sie zurückkam, blieben dem Ehepaar nur noch wenige Tage. Das Publikum war nicht einhellig überzeugt. Am 9. Oktober 1791 hat der Korrespondent im Berliner Musikalischen Wochenblatt berichtet, die Zauberflöte finde den »gehofften Beifall nicht, weil der Inhalt und die Sprache des Stücks gar zu schlecht sind«.

      Das Werk hat seinem Direktor dennoch viele frohe Tage bereitet. Bis zur Schließung des Theaters wurde es 223 Mal gegeben. Schikaneder war von seinem Libretto allerdings mehr als überzeugt. Von ihm ist die Äußerung überliefert: »Welchen Erfolg hätte ich mit meiner Zauberflöte haben können, hätte ich nur einen besseren Komponisten gehabt.«

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      Das Freihausmodell, Außenansicht

      Schikaneder war eine Zeit lang erfolgreich, dann jedoch ereilte ihn das Schicksal vieler seiner Kollegen, das Geld wurde knapp. Da kam ihm ein theaterbegeisterter Amateur gerade recht: der Kaufmann Balthasar Zitterbarth. Er kaufte ihm das Freihaustheater ab, und Schikaneder konnte mit dem Geld ein neues Theater bauen, größer und schöner – das Theater an der Wien.

      So wurde am 11. Juni 1801 zum letzten Mal im Freihaus gespielt, dann übersiedelte die Schikanederische Truppe ins neue Haus. Das Freihaustheater verkam langsam und wurde 1809 abgerissen; brauchbare Teile hat man zu Wohnräumen umgebaut.

      Zurück blieb als leere Erinnerung an lustige Tage das Salettl. Da stand der kleine Holzbau ohne Verwendung, die Freihausmieter werden vielleicht einmal gehört haben, dass er etwas mit Mozart zu tun hatte, aber was, das geriet in Vergessenheit. Hingegen war das Mozarteum in Salzburg weniger vergesslich. 1863 wurde das Häuschen abgebaut, verpackt, nach Salzburg transportiert, und dort steht es nun im Hof des Mozarteums, ein Glanzstück der ohnehin reichen Devotionaliensammlung der Geburtsstadt des Genies.

      Wien könnte das Zauberflötensalettl gut brauchen, aber die Stadt hat ihre Chance gehabt und nicht genutzt. Wolfgang Amadé hat in Wien an vielen Adressen gewohnt, nichts davon ist geblieben außer dem Figarohaus in der Innenstadt; das freilich ist eine Reise wert.

      An die Zauberflöte muss man nicht erinnern, sie ist weltweit lebendig, die Wieden ist natürlich besonders stolz. Tamino und Pamina schreiten, beschützt von der wundersamen Flöte, durch die Wasserprobe im 2. Akt, dargestellt am Mozartbrunnen, einem Werk von Carl Wollek, auf dem Mozartplatz. 1905 wurde diese bedeutende Plastik der Secessionskunst enthüllt. In der Lehárgasse, an Schikaneders prächtigem Theaterbau, sieht man Papageno mit seinen jüngeren Geschwistern, aber da sind wir ja schon im nächsten Bezirk. Ganz nahe, in der Operngasse 26, Ecke Faulmanngasse, gibt es noch einen Papageno, eine bunte Keramik des Jahres 1937. Das war eine Zeit, als Wien Abschied nahm vom dreihundert Jahre alten Kuriosum Freihaus.

      Dieses größte Zinshaus des damaligen Wien hatte drei große Brände überstanden, 1657, 1683 und 1759. Dann ist es noch einmal gewachsen, 1786 wurde ein zweites Stockwerk aufgesetzt, der Hausherr erhöhte seine steuerfreie Einnahme. Man hat errechnet, dass die fürstliche Familie Starhemberg um 1800 pro Stunde einen Dukaten eingenommen hat. In 340 Wohnungen lebte man einen ruhigen Alltag, den großen Markt vor der Haustüre, in den Höfen eine Kirche, eine Apotheke, Werkstätten und eben einige Jahre auch ein eigenes Theater! Man muss sich diese ungewöhnliche Anlage als der Augsburger Fuggerei ähnlich vorstellen, mag dabei auch an die großen Prälatenhöfe der Innenstadt denken, den Melker Hof, den Heiligenkreuzerhof.

      Alle diese Anlagen und eben auch das Freihaus hatten Atmosphäre und Charakter einer Kleinstadt. Aber ringsum wuchs die Großstadt und bedrohte mehr und mehr die Idylle. Zu Bürgermeister Luegers Zeit fasste man zum ersten Mal den Plan zum Abbruch. In Wien kann so etwas dauern, zudem gab es eine Fülle aktueller Projekte: die moderne Energieversorgung, die zweite Hochquellenwasserleitung, das Lainzer Krankenhaus, die Elektrifizierung der Pferdetramway und der Stadtbahn – der Abbruch begann erst 1913. Im großen Krieg hatte man erst recht andere Probleme, so dauerte es bis 1937, dann war das Freihaus großteils geschleift. Die Bomben des Zweiten Weltkrieges führten zu weiteren schweren Schäden, nur einige Reste des Monsterbaus standen noch bis in die 70er-Jahre.

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      Freihaus mit dem alten Naschmarkt, Bild von Carl Pippich, 1916

      Das Haus Operngasse 36 vermag den Flaneur in seinem Freihausverständnis zu unterstützen. Ein Sgraffito zeigt laut Inschrift Das alte Freihaus und die neuen Straßenzüge. Mag es auch nicht ganz genau sein, so kann man sich doch ein Bild machen; es zeigt auch die Rosalienkapelle und das Theater.

      An Gebäuden mit großer Vergangenheit herrscht im 4. Bezirk kein Mangel. Freilich sind ebenso viele auf die eine oder andere Weise verschwunden. Wenn sie wie das Freihaus Platz gemacht haben für größeren, gesünderen Wohnraum, so begreift man die Schleifung. Aber in vielen Fällen steckten fehlende Weitsicht oder Spekulation hinter den Abbruchprojekten.

      Ein Paradebeispiel auf der Wieden ist die Geschichte des Palais Erzherzog Rainer. Die Nr. 63 der Wiedner Hauptstraße war das Palais Engelskirchner, erbaut von einem reichen, aus den Niederlanden stammenden Textilgroßhändler. 1724 wurde es verkauft, wechselte oft den Besitzer. Im Biedermeier erwarb Heinrich von Geymüller das Palais und die barocke Gartenanlage. Der Bankier war ein Mann des Fortschritts, sein neuer Besitz bekam als erstes Privatgebäude der Stadt eine Gasbeleuchtung.

      Auch der nächste Hausherr dachte modern. Erzherzog Rainer war ein ungewöhnliches Mitglied des Herrscherhauses. Er kam 1827 in Modena zur Welt, ein Enkel von Kaiser Leopold II. Mit 17 Jahren verließ er Italien und wurde ein Wiener. Er war liberal gesinnt, setzte sich für eine ehrliche Verfassung ein, hatte umfangreiche wissenschaftliche Kenntnisse und Interessen. Zwar trug er bei allen offiziellen Anlässen und sogar privat seine Generalsuniform, doch er besuchte auch gerne in Zivil ein Gasthaus und ging auf ein Krügel Bier.

      Der Haupttrakt seines Palais stand am oberen Ende des steil zur Wiedner Haupstraße absinkenden Grundstücks, Rainergasse 18. Solch ein Standort wurde anderen Möglichkeiten vorgezogen. Diese Landschlösser, in der Sprache ihrer Zeit Villeggiaturen, ahmten einander beziehungsweise den französischen Stil nach. Auf zahlreichen Stichen informierten sich Bauherren und Baukünstler über den Dernier Cri. Und das war vor allem Versailles. Ludwig XIV. war auf seine Schöpfung nicht wenig stolz und förderte die Verbreitung ihrer Abbildungen, um mit der Pracht seiner Schlösser und Gärten seinen persönlichen Glanz zu erhöhen.

      Die Baumeister wussten diese Darstellungen zu deuten und umzusetzen. Das Barock schätzte hügeliges Gelände. Eine gewisse Anhöhe, am besten in den Vorstädten der heutigen Bezirke Landstraße und Wieden, bot einen Blick über die Stadt hinweg zum Kahlenberg, zum Leopoldsberg. Und dieser Blick wurde durch die Gartenkunst gelenkt – das Blumenparterre wird von dunklen Hecken begrenzt, Statuen und Brunnen bieten dem Auge Überraschungen. Wir müssen uns diese noch ländlichen Vorstädte nach der Türkennot vorstellen – Bauer und Stadtbürger mussten nicht unentwegt um Besitz, Leben, Familie zittern. So entstand rund um Wien eine weitläufige Gartenlandschaft voller Landschlösser, deren Erbauer zumeist geschichtsträchtige Namen trugen: Das Kaiserhaus selbst zählte dazu und Liechtenstein, Savoyen, Schwarzenberg, Arenberg, Starhemberg, Schönborn. Als der Residenzstadt durch die Kuruzzen neue Gefahr drohte, wurde 1704 auf Wunsch des Prinzen Eugen ein neues Befestigungssystem angelegt: der Linienwall.

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      Erzherzog Rainer zu Pferd in Baden vor dem Kaiser-Franz-Josef-Museum, 1909

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      Erzherzog Rainer geht über den Naschmarkt. Aquarell von Alfred Gerstenbrand

      Von dieser Anhöhe in der Rainergasse